Der U-Häftling Bruno K. war eine Leseratte

(c) Bruno Kreisky Archiv
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Das Tagebuch des späteren Bundeskanzlers während seiner Haft in den Jahren 1935/36. So konnte man die komplette Geschichte rekonstruieren, die aus den Kopien nicht klar ersichtlich war.

Es war reiner Zufall: Das Manuskript über ein Tagebuch, das Bruno Kreisky 1935 im Gefängnis geführt hatte, war im Herbst des Vorjahres gerade fertiggestellt. Man hatte sich dabei auf Kopien stützen müssen, die im „Bruno-Kreisky-Archiv“ an der Rechten Wienzeile verwahrt werden. Dort hüten Maria Mesner, Maria Steiner und Remigio Gazzarri das Schriftgut, das der Staatsmann hinterlassen hat. Ende März wird das Buch im Mandelbaum Verlag erscheinen.

Das Tagebuch selbst galt als verschollen. Da langte zu Weihnachten 2008 bei Margit Schmidt, der langjährigen engsten Kreisky-Mitarbeiterin, eine anonyme Zusendung ein. Im Kuvert: ein Plastikumschlag mit dem originalen Tagebuch. Und so konnte man die komplette Geschichte rekonstruieren, die aus den Kopien nicht klar ersichtlich war: Der Häftling B. K. hatte sich aus dünnem, gefaltetem Schreibpapier ein Heft gebastelt, in dem die letzten 17 Seiten leer geblieben sind. Die Eintragungen beginnen am 27. Juni 1935 und enden mit dem 31. August. Und die Schriftzüge gleichen bereits frappant jener flüssigen, bestimmten Handschrift, die uns so vertraut anmutet: So schrieb auch der Bundeskanzler später. Und er schrieb gern.

1935: Der christlichsoziale Bundeskanzler des „Ständestaates“, Kurt (von) Schuschnigg regiert ohne parlamentarische Demokratie. Er kämpft an drei Fronten zugleich: gegen die Nationalsozialisten, die immer aggressiver auftreten; gegen die Sozialdemokraten, die noch Kanzler Dollfuß 1934 verboten hatte; gegen die Kommunisten, die auch nur im Untergrund agitieren können.

Der 1911 geborene Sohn einer jüdischen Fabrikantenfamilie ist glühender Aktivist der Sozialdemokraten. Schon in der Mittelschulzeit hat er sich bewusst deren „proletarischer“ Jugendorganisation angeschlossen, der sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ). Wohl auch aus Trotz gegenüber dem reichen Vater, der das gar nicht goutierte.

„Die Partei braucht Juristen“

1929 begann der junge Mann das Studium der Rechtswissenschaften, obwohl er eigentlich Mediziner werden wollte. Doch ihn lockte die Aussage „Die Partei braucht gute Juristen.“ 1934 gründete er mit Franz Olah und Roman Felleis die „Revolutionäre Sozialistische Jugend“. Die offizielle – aber natürlich auch illegale – Sozialdemokratie erschien ihnen zu feig.

Doch mit dem jugendlichen Spaß an konspirativer Agitation ist es sehr rasch vorbei: Die ganze Gruppe fliegt auf und am frühen Morgen des 30. Jänner wird der 24-jährige Bruno K. als „Präsidialhäftling“ in die „Liesl“, ins Polizeigefangenenhaus an der Kaiserin-Elisabeth-Promenade überstellt (heute Rossauer Lände).

16 lange Monate lässt man die jungen Leute nun bis zur Hauptverhandlung „dunsten“. In dieser Zeit tiefer Niedergeschlagenheit verfertigt Kreisky sein Tagebuch: 48 eng beschriebene kleinformatige Seiten. Immerhin ist „Hochverrat“ keine Kleinigkeit. Schwere Kerkerstrafen drohen, zwei der Genossen sind sogar Todeskandidaten. Der junge Student weiß: Aus dem Spiel ist tödlicher Ernst geworden.

„Die herrliche Jugendbewegung“

„Ich werde zu meinen Richtern treten“, vertraut er am 30. Juni dem ärmlichen Tagebuch an „und ihnen von meinem Leben erzählen, wie die herrliche Jugendbewegung zum Lebensinhalt für mich geworden ist, was sie aus mir gemacht hat. Ich werde mein politisches Bekenntnis ablegen . . .“

Das sind – wohlgemerkt – die Zeilen eines 24-Jährigen. Eines Studenten und Jugendfunktionärs, der genau weiß, was er will. Und auch zu artikulieren versteht, was ihn und seine Gruppe von den Kommunisten abgrenzt, die nebenan ebenfalls in den Zellen auf ihre Aburteilung warten.

Er hält auf strenge Disziplin, lässt sich nicht gehen. „Ich hatte Hunger, wollte rauchen, wollte mich wieder einmal kämmen. Man verlernt das so rasch – was die Äußerlichkeiten betrifft. Aber wenn die Gleichgültigkeit kommt, dann haben die drüben am Schottenring verloren...“ Er meint die Freunde, die „drüben am Schottenring“ auf Nr. 11 in der Polizeizentrale immer wieder einzeln verhört werden.

Im Nachhinein hat Kreisky diese lähmenden 16 Monate als sein „eigentliches Studium“ bezeichnet. Er verschlingt eine Unzahl von Büchern, arbeitet von 6 Uhr bis 18 Uhr ohne Unterlass, die dem Tagebuch beigelegten Bücherbestellungen bei der Gefängnisverwaltung geben darüber anschaulichen Aufschluss. Und er lernt eine Klientel kennen, die dem Großbürgersohn völlig fremd war: „Ich habe mit folgenden ,Berufen' Bekanntschaft gemacht: Einbrecher (Kassen, Villen, Juwelen etc.), Diebe, intern. Taschendiebe, Betrüger, Passfälscher, Hehler, Kridatare, Schmuggler. Viele waren im Nebenberuf auch Zuhälter. Ich habe mich mit allen recht gut vertragen. Es gibt ganze Kerle unter ihnen [. . .] Wir, die 25-Jährigen, haben also auch schon eine Vergangenheit, wir haben unser ,Fronterlebnis‘!“

Ein „Kummerl“ und ein Nazi

Nicht nur aus Büchern lernt der Häftling, sondern auch von seinen Zellengenossen. So dringt er in die Gedankenwelt der Kommunisten ein, als der junge Rudolf Auerhahn mit ihm den engen Raum teilt. Und dann wieder lernt er einen „typischen antisemitischen Kleinbürger“ kennen: Josef Weninger. Dieser junge Nazi sollte ihm letztlich 1938 die Emigration nach Schweden ermöglichen.

Bedrückend ist nicht nur die Beengtheit in der Zelle, die er mit fremden Menschen teilen muss. Das Gefühl, allein gelassen zu werden, ist noch viel ärger. Auch nach der Überstellung ins Landesgericht nach vier Monaten ändert sich daran nichts. Die Kontakte zu den Freunden draußen sind gekappt, keiner weiß, wie es um die Bewegung steht. Und niemand kann sagen, welche Geständnisse die Freunde gemacht haben.

Die Parteiführung bleibt stumm

Da haben es die Kommunisten um eine Spur besser: Die bekommen von der Partei Anweisungen, wie sie sich im Prozess verantworten sollten. Die sozialistische Parteiführung hingegen bleibt untätig. Intern ist die Absprache aber mit den Mitgefangenen relativ leicht. Vor allem die Nähe des Freundes Roman Felleis beruhigt Kreisky: „Wir sind in tägl. Verbindung, wenn wir wollen.“

Nach zehn Monaten vergeblichen Wartens auf die Anklageschrift überfällt den Häftling Bruno K. „eine Mordswut“. Man beschließt einen Hungerstreik. Beginn: 1. Jänner 1936. Im hinausgeschmuggelten Kassiber an die Funktionäre schreiben die Gefangenen: „Nun bitte nehmt zur Kenntnis, dass wir mit Aktion beginnen, um Anklageschrift zu erzwingen.“ Am 17. Jänner wird den Beschuldigten dann die Anklage übergeben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2009)

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