Bürgerkrieg: "Es war eine Diktatur. Punkt."

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Umstrittenes Gedenken an 1934: Vor 75 Jahren war Bürgerkrieg in Österreich, ideologische Gräben verhindern eine gemeinsame Aufarbeitung. Prominente Historiker wollen jetzt die Opfer des Ständestaates rehabilitieren.

Es war ein Jahr der Jahrestage. Die Tiroler ehrten ihren Widerstandskämpfer Andreas Hofer, der sich vor 200 Jahren Napoleon entgegengestellt hat. Europa feierte das 20-jährige Jubiläum des Falls der Berliner Mauer. Die Welt gedachte des Beginns des 2. Weltkrieges vor 70 Jahren. Und auch 90 Jahre Friedensvertrag von Versailles war ein paar Ansprachen und Essays wert. Nur ein Jahrestag wurde bisher seltsamerweise kaum wahrgenommen: Im Februar vor 75 Jahren brach in Österreich der Bürgerkrieg zwischen Austrofaschisten und Sozialisten aus. Diskussionen zu dem für die Regierungsparteien hochsensiblen Thema gab es de facto nicht. Das dürfte sich jetzt, kurz vor Ende des Gedenkjahres, aus mehreren Gründen ändern.


Kampf um die Stadt. Da ist zunächst einmal die Großausstellung des Wien Museums im Künstlerhaus, die unter dem Titel „Kampf um die Stadt“ genau jene Atmosphäre zu verdichten sucht, die letztlich im Bürgerkrieg mündete – und wohl letztlich auch den Nationalsozialismus förderte. Wien hatte Anfang der 1930er Jahre eine kurze urbane Blüte, als „rotes Wien“ wurde es in der Zeit endgültig auch zur politischen Legende. Benito Mussolini empfahl Bundeskanzler Engelbert Dollfuß damals, der sozialdemokratischen Partei „in ihrer Felsenfestung Wien einen Schlag zu versetzen“.

Wien – als urbanes Gegenstück zum bäuerlich-klerikalen Ideal der Faschisten – wurde zu deren Opfer, nachdem die öffentlichen Repressalien gegen die Sozialdemokraten am 12. Februar 1934 in bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen ihnen und der – von der christlichsozialen Heimwehr unterstützten – Exekutive mündeten. Am Ende der Kämpfe, die sich drei Tage lang von Linz aus über alle industrialisierten Städte Österreichs ausgebreitet hatten, zählten Exekutive und Heimwehr 128 Tote und 409 Verwundete, die Sozialdemokratie mit ihrem „Schutzbund“ dagegen 200 Tote und mehr als 300 Verwundete.

Daraus und aus einzelnen Kriegsszenen wie dem Beschuss des roten Karl-Marx-Hofes in Wien entstand ein Bild, das viele Sozialdemokraten auch heute noch gerne bemühen: Die Arbeiter als erste, heldenhafte Opfer des Faschismus. Eine Rolle, die ihnen bis heute Teile der Christdemokraten, die in der ÖVP zu Hause sind, streitig machen– mit einem kleinen, aber wesentlichen Unterschied: In ihren Augen sei Dollfuß – und damit der österreichische Ständestaat, der nach seinem Tod noch vier Jahre lang weiterbestand– das erste Opfer des Nationalsozialismus gewesen.


Diskussionsmüde Koalition. Eine Diskussion, so alt wie die Zweite Republik, die vor allem über Symbole geführt wird: Noch immer hängt das Bild von Bundeskanzler Dollfuß im ÖVP-Parlamentsklub. Noch immer gedenken vor allem die Wiener Sozialdemokraten Jahr für Jahr ihrer Opfer durch die Kugeln der Klerikalen. Doch manche wollen die Diskussion nicht mehr hören und führen: Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ), ehemaliger Stadtrat und Herr über Gemeindebauten wie den Bürgerkriegsschauplatz Karl-Marx-Hof, erklärte die Debatte zu einer „Frage für Historiker“. Und für die Junge Volkspartei musste sich deren Obmann Sebastian Kurz erst schlau machen und verblüfft fragen: „Haben die keine anderen Probleme?“

Auch der Historiker Florian Wenninger, der im Rahmen der Kulturhauptstadt Linz '09 eine Diskussion zum Bürgerkrieg in Österreich geleitet hat, erzählt, dass es nicht einfach gewesen sei, Gesprächspartner zu finden. „Zu den Bürgerkriegen in Spanien und Italien konnten wir ohne Probleme Diskutanten auftreiben. In Österreich haben viele abgewunken – auch von den Sozialdemokraten, die damals eigentlich Opfer waren.“

„Burgfrieden“ nennt der Historiker und Chef des Instituts für Zeitgeschichte Oliver Rathkolb diese stillschweigende Übereinkunft zwischen SPÖ und ÖVP über den einstigen österreichischen Bruderkampf. Das soll nun anders werden. Rathkolb und andere führende Zeithistoriker fordern eine allgemeine Rehabilitierung der Opfer des Ständestaates: Neun Österreicher waren hingerichtet, Hunderte waren wegen Hochverrats verurteilt, Tausende zumindest kurzfristig inhaftiert worden.

Für Rathkolb sind dies die Opfer einer Diktatur, die danach häufig stigmatisiert wurden und daher eine Geste des offiziellen Österreich verdient hätten. In den meisten Fällen würde ein solcher symbolischer Akt nur mehr posthum erfolgen. Der prominenteste Fall ist der Bruno Kreiskys. Der legendäre SPÖ-Kanzler war wegen Hochverrats verurteilt worden, eine Tatsache, die er selbst häufig anmerkte, sich immer wieder als einzigen Kanzler mit einer derartigen Verurteilung nannte. Zwar gab es nach 1945 eine indirekte Annullierung der Urteile des autoritären Regimes, ausdrücklich wurden die Opfer jedoch nicht rehabilitiert.

Als Vorbild für den Umgang mit den Ständestaat-Opfern nennt Rathkolb die eben auf den Weg gebrachte Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure, die für viel Aufsehen gesorgt hatte. Dabei wurden auch pauschal die Urteile der NS-Militärgerichtsbarkeit aufgehoben. Auch bei den Deserteuren war es eine Ausstellung, die die Debatte entfachte. Dahinter stand eine Gruppe von Aktivisten, die den Grünen nahesteht und die Forderung mit enormen Lobbying-Aktivitäten durchsetzte.

Nun wollen eben diese Aktivisten – und mit ihnen die Grünen – das Thema Ständestaat aufs Tapet bringen, ein Entwurf ist dem Vernehmen nach in Ausarbeitung, der im Justizausschuss eingebracht werden wolle. Die Grünen als Schutzheilige der sozialdemokratischen Opfer? Die SPÖ wird Flagge zeigen und die Frage der Historiker entgegen der Hoffnung Faymanns doch angreifen müssen. Auch die Sozialistische Jugend sieht die Zeit für ein entsprechendes Gesetz gekommen: „Es wäre eine wichtige Geste für die Angehörigen und Nachkommen der Menschen, die 1934 verurteilt worden sind“, sagt SJ-Vorsitzender Wolfgang Moitzi, der schon seit Längerem auf die Rehabilitierung der Opfer des Ständestaates drängt – wovon die SPÖ aus Gründen der Koalitionsräson nichts wissen will.


Kein gemeinsames Gedenken. Auf der anderen Seite tut man sich mit dem Thema ebenfalls schwer. Andreas Khol, der innerhalb der ÖVP in der Aufarbeitung der jüngeren Zeitgeschichte ebenso federführend im Ringen um Restitution geraubten jüdischen Vermögens war, sieht auf den ersten Blick wenig Parallelen, kann sich eine Rehabilitierung der Ständestaat-Opfer aber vorstellen, wenn die Zahlen und Fakten auf dem Tisch liegen und klare Kategorien von Fällen erarbeitet werden. Generell ist ihm ein moderner Blick wichtig: Die ÖVP habe sich in dieser Frage verändert. „Es war ein Diktatur. Es war keine nationalsozialistische, sondern eine weiche, aber es war eine Diktatur.“ Darüber hinaus hat sich die Volkspartei nach dem Zweiten Weltkrieg neu gegründet und sich so von der Christlichsozialen Partei, der Dollfuß angehörte, distanziert.

Und trotzdem: „Ein gemeinsames Gedenken an Dollfuß kann es nicht geben“, sagt Karl Blecha, als SPÖ-Pensionistenverbandschef heute einer von Kohls Verbündeten in vielen politischen Fragen. Der 76-Jährige sieht in Dollfuß, der am 25. Juli 1934 von Nationalsozialisten ermordet wurde, einen Putschisten: „Dollfuß hat 1933 das Parlament aufgelöst, er war gegen die Demokratie.“ Blecha verordnet sich und seiner Partei aber mehr Entspanntheit beim Gedenken an 1934: „Es ist mehr unsere Aufgabe, nach den Ursachen zu forschen, wie es überhaupt zu diesen Gewaltausbrüchen kommen konnte.“

In diesem Zusammenhang seien die Großkoalitionäre schon weiter gewesen, findet Blecha: Unter Bundeskanzler Alfons Gorbach (ÖVP) und Vizekanzler Bruno Pittermann (SPÖ) habe eine Kommission die Geschehnisse der Zwischenkriegszeit und des Ständestaates aufgearbeitet. Freilich nicht in einem Ausmaß, das gemeinsame – oder gar: nationale – Gedenkfeiern zu den Ereignissen von 1934 zulassen würde. Zu sehr polarisieren die definierenden Elemente dieses Jahres: der Bürgerkrieg im Februar und die Ermordung des Kanzlers im Juli, zu verschieden sind die Ansichten der Parteien. „Die Formel von der ,geteilten Schuld‘ beider Lager ist einfach nicht angebracht, sagt der sozialdemokratische Historiker Harald Troch, stellvertretender SP-Klubchef im Wiener Gemeinderat. „Die größere Verantwortung für die Toten in diesem Jahr liegt bei den Christdemokraten“ – und damit auch die Verantwortung für die Schwächung des Landes, die 1938 die Machtergreifung durch die Nazis zur Folge hatte, so Troch.


Jeder gedenkt für sich. So feiern die Volksparteien ihr Andenken auch weiterhin getrennt: Sozialdemokraten gedenken am 12. Februar in mehreren Veranstaltungen der Toten im Bürgerkrieg. Und das nie, ohne – auch im Hinblick auf kommende Auseinandersetzungen mit einer immer extremeren FPÖ – vor radikalen Tendenzen in der politischen Kultur zu warnen.

Andererseits versammeln sich jedes Jahr um den 25. Juli VP-Politiker auf dem Hietzinger Friedhof, um dort Kränze für Dollfuß abzulegen – für den Kanzler, der sich den Nationalsozialisten entgegenstellte, nebenbei aber auch die Demokratie in Österreich abschaffte und die Sozialdemokratie verbot.

„Es geht bei dem Themenfeld 1934 eben nicht nur um politische Identitäten von Sozialdemokratie und Christdemokratie – sondern auch um die grundsätzliche Fragestellung, ob man dem Faschismus mit faschistischen Mitteln entgegentreten darf“, fasst Historiker Wenninger zusammen. Und das sind zutiefst ideologisch geprägte Fragestellungen – mit denen man sich in einem öffentlichen Diskurs auseinandersetzen könnte, anstatt sie zu verschweigen. Theoretisch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2009)

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