Eugenio Pacelli: Selig? Unglückselig?

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Der spätere Papst Pius XII. hätte als Nuntius in Berlin Hitlers Alleinherrschaft stoppen können.

Verfrüht und unangebracht“, meint Ronald S. Lauder vom Jüdischen Weltkongress; „bedauerlich“ findet man bei der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem die Staatsaffäre; „traurig und wütend“ ist Stephan Kramer vom Zentralrat der Juden in Deutschland; als „absolut nicht schockierend“ bezeichnet hingegen der „Nazijäger“ Serge Klarsfeld die Vorgangsweise des Vatikan.

Es geht um die Vorstufe zur Seligsprechung zweier prägender Päpste des 20. Jahrhunderts. Papst Benedikt XVI. hat sowohl Pius XII. (Eugenio Pacelli) als auch Johannes Paul II. (Karol Wojty?a) den „heroischen Tugendgrad“ zuerkannt. Im Oktober, so wird verlautet, könnten beide Persönlichkeiten „im Doppelpack“ seliggesprochen werden.

Während es beim polnischen Papst äußerst rasch ging, zieht sich das Verfahren beim „Weltkriegspapst“ Pius XII. schon mehr als 50 Jahre hin. Zu widerstreitend sind die Urteile über den Kirchendiplomaten. Wütende Verteidiger dieses Papstes, dessen Regentschaft von 1939 bis 1958 dauerte, treffen auf ebenso heftige Kritiker. Der Papst habe zur Judenvernichtung der Nationalsozialisten geschwiegen – aus Furchtsamkeit, aus diplomatischem Kalkül, vielleicht sogar aus religiösem Antisemitismus, wird behauptet. Seine Verteidiger führen ins Treffen, dass Pacelli im Geheimen tausenden Juden das Leben gerettet habe. Eine öffentliche Verurteilung des Hitler-Regimes hätte womöglich die Auslöschung der katholischen Kirche Deutschlands provoziert.

Unter Verschluss

Noch ruhen diesbezügliche Akten streng verwahrt in den vatikanischen Archiven. 1966 wurden Dokumente bis 1933 freigegeben, 2003 die Vatikan-Archive bis 1939. Die übrigen Akten von 1939 bis 1945 sind bisher unveröffentlicht. Einige existieren gar nicht mehr, weil die Apostolische Nuntiatur in Berlin gegen Ende des Zweiten Weltkriegs im Bombenhagel ausbrannte. Dort aber begann Pacellis steiler Aufstieg.

Er bewunderte die Deutschen

Ein abschließendes Urteil über diesen rätselhaften Papst ist der Fachwelt daher noch nicht möglich. Umso deutlicher lässt sich Pacellis diplomatisches Handeln in jenen Jahren nachvollziehen, die ihn als Nuntius in München, dann in Berlin (1917–1930) und dann als Kardinalstaatssekretär in Rom sahen. Der Abkömmling einer päpstlichen Beamtenfamilie agierte schon damals als logischer nächster Papst – zu dem er dann ja auch am 2.März 1939 gewählt wurde: Die 62 Kardinäle benötigten nur drei kurze Sitzungen, bis der berühmte weiße Rauch aufstieg.

Zurück zu Pacellis Zeit als päpstlicher Nuntius in Deutschland, für das er lebenslang tiefe Achtung und emotionale Zuneigung verspürte – ein Wesenszug, den ihm seine Kritiker immer wieder vorwerfen. Hier legte Pacelli den Grundstein für seinen weiteren Aufstieg auf der kirchlichen „Karriereleiter“. Aber um welchen Preis?

Auch auf Pacelli wird zutreffen, was allgemein behauptet wird: dass das familiäre Umfeld, die Schule und das Studium den Menschen für sein weiteres Leben prägen. Das Umfeld war sicher nicht judenfreundlich, die Politik der Päpste ebenso wenig. Dazu kam, dass der Vatikan seit der italienischen Irredenta verzweifelt bemüht war, den territorialen Verlust des Kirchenstaates durch den Anspruch des Papstes auf geistige Führerschaft auszugleichen. Dies gipfelte 1917 im Codex Iuris Canonici.

13 lange Jahre arbeitete sich der emsige Sekretär Pacelli durch einen Dschungel von Dekreten, Regeln, Verfügungen und schuf einen Kodex, der ihm später dann als Kirchenoberhaupt von enormem Nutzen sein sollte. Es ging um strikte Konformität und Zentralisierung, um straffe Disziplin. Jeder katholische Priester wurde diesem Loyalitätsinstrument unterworfen.

Pacelli leistete ganze Arbeit. Wo sich im Laufe der Jahrhunderte zu viel Eigenständigkeit breitgemacht hatte, wurde jetzt nachgeschärft: Die Nominierung von Bischöfen wurde im Kanon 329 §2 wieder als alleiniges Recht des Papstes dekretiert – so ist es bis heute gültig.



„. . . Hunderttausende, die ohne eigenes Verschulden, bisweilen nur aufgrund ihrer Nationalität oder Rasse dem Tod oder fortschreitender Vernichtung preisgegeben sind.“

Pius XII. in seiner Weihnachtsansprache vom
24. Dezember 1942

Als daraufhin das Kölner Domkapitel aufbegehrte, wusste Pacelli schlauen Rat: Rom schickte einen genehmen Dreiervorschlag nach Deutschland, die Kölner durften pro forma auswählen, der Papst bestätigte. Und alle hatten das Gesicht gewahrt.

Eugenio Pacelli strebte nach schwierigeren Aufgaben. Geheimdiplomatie mit dem Königreich Serbien war sein Fall, und unter Benedikt XV. (ab 1914) ging sein Stern auf. 1917 weihte ihn eine kleine Schar mächtiger Männer zum Titularbischof. Kurz darauf reiste der extravagante Pacelli in großem Stil zur neuen Arbeitsstätte nach München: Der neue Nuntius für Bayern ließ 60 Kisten Lebensmittel in den Zug verladen, denn in Bayern herrschten Not und Hunger – und Pacelli hatte einen nervösen Magen.

Er fürchtete den Bolschewismus

Die diplomatische Tätigkeit blieb für sein gesamtes weiteres Leben wirkmächtig. Er bewunderte die tüchtigen Deutschen, er liebte deren Kultur, er setzte sich für deren Kriegsgefangene ein. Die Angst vor dem Bolschewismus ging um. Auch der päpstliche Nuntius fürchtete das Äußerste. Kommunisten, Sozialdemokraten, Juden: für viele Deutsche ein Feindbild.

1917 hatte Italien die Ausfuhr von Palmwedeln ins feindliche Deutschland gesperrt. Die Münchner Juden benötigten sie aber für ihr Laubhüttenfest. Ob nicht der Vatikan vermitteln könnte, fragte Münchens Oberrabbiner beim Nuntius vorsichtig an. Dieser berichtete nach Rom, wie er den jüdischen Bittsteller höflich hingehalten habe. Das hätte ja bedeutet, „. . . den Juden besondere Hilfe zu leisten“, „ihnen in positiver und direkter Weise bei der Ausübung ihres jüdischen Kultus beizustehen“.

Pacelli blieb solcherart Liebling der vatikanischen Behörden in Rom. Erst recht, als er sich vorsichtig daranmachte, mit der Weimarer Republik ein Konkordat auszuhandeln, das seinesgleichen in der Welt suchen sollte. Es war Pacellis Meisterstück und rückte ihn schließlich dem Thron Petri ein gehöriges Stück näher.

Aber da war die recht eigenwillige katholische Kirche Deutschlands mit ihrer einflussreichen Parlamentspartei „Das Zentrum“ – am einfachsten vergleichbar mit den österreichischen Christlichsozialen. Der Nuntius, inzwischen in Berlin residierend und für ganz Deutschland zuständig, hegte wenig bis gar keine Sympathien für eigenständig politisierende Kleriker. Auch das Deutsche Reich nicht. Also sah der Nuntius tatenlos zu, als die Zentrumspartei immer mehr geschwächt wurde.

Als Adolf Hitler Ende Jänner 1933 an die Macht gelangte, glich die Zentrumspartei nur noch einem Schatten ihrer selbst. Aber es gab sie – Kommunisten und Sozialdemokraten waren schon bald verboten, lediglich die Zentrumspartei hätte Hitlers Diktatur noch stoppen können. Pacelli hätte es in der Hand gehabt, Unterstützung zu leisten. Er tat das Gegenteil.



„Sei mir gnädig, o Herr, nach deiner großen Barmherzigkeit. Die Vergegenwärtigung der Fehler, die während eines so langen Pontifikates und in solch schwerer Zeit begangen wurden, hat mir meine Unzuläng-
lichkeit klar vor Augen geführt.“

Schlusssatz des Testaments von Pius XII.

Inzwischen war er, 1930, nach Rom zurückgekehrt und trug mit römischer Eleganz den Kardinalshut. Mehr noch: Er hatte – noch nicht 54-jährig – die mächtigste Position hinter dem Papst, er war Kardinalstaatssekretär. Das deutsche Konkordat war immer noch nicht unterschriftsreif. Aber jetzt ging alles recht flott vor sich. Beide Seiten konnten sich letztlich als Sieger feiern. Hitler erzielte, was ihm am wichtigsten war: dass sich die Kirche nicht in staatliche Belange einmischte. Und der Vatikan erhielt die Zusicherung des finanziellen Überlebens der deutschen Kirche, die Tolerierung des katholischen Glaubenslebens durch den österreichischen Taufscheinchristen Hitler. Dieses Konkordat überdauerte alle Akteure. Es ist das einzige Verfassungsgesetz aus der NS-Ära, das von der Bundesrepublik Deutschland übernommen wurde und noch heute im wiedervereinigten Deutschland gilt.

Der erste Medienpapst

So bleibt dieser Papst der Nachwelt in Erinnerung als ein zutiefst frommer Diener seiner Kirche, die er zur höchsten Machtentfaltung in der Neuzeit geführt hatte. Er war der erste Medienpapst, seine Beisetzung war die erste, die gefilmt und per Eurovision übertragen wurde, das Leichenbegängnis war das größte in der langen Geschichte Roms.

Die Zeit, in die er geworfen wurde, konnte er sich nicht aussuchen. Ob er zu schwach war, in den furchtbaren Kriegsjahren das Richtige zu tun – wer will darüber richten? Das sollte jener Nachwelt überlassen bleiben, die hoffentlich schon bald in alle päpstlichen Archive Einsicht nehmen kann. Und zwar wirklich in alle.

PIUS XII. – EINE KARRIERE

Eugenio Pacelli, * 2. März 1876 in Rom, † 9.Oktober 1958 in Castel Gandolfo.

Studium der Philosophie und Theologie an der „Gregoriana“. Neben Deutsch lernt er sechs weitere Fremdsprachen.

Aufstieg ab 1901 im päpstlichen Staatssekretariat. 1917 Nuntius in Bayern und Titular-Erzbischof.

Konkordat. Ab 1920 erster Nuntius für das Deutsche Reich; ihm gelingt der Abschluss der Staatsverträge mit Bayern, dann Preußen (1929). Er wird Kardinal.

„Ministerpräsident“. 1930 Rückkehr nach Rom als Kardinalstaatssekretär. 1933 handelt er das Reichskonkordat aus: keine politische Betätigung des Klerus, dafür materielle Sicherung der Kirche.

NS-Gegner. 1937 verfasst Pacelli für Papst Pius XI. die Enzyklika „Mit brennender Sorge“, in der die NS-Kirchen- und Rassenpolitik scharf verurteilt wird. Am 10. Februar 1939 wird er Papst („Pius XII“).

Schweigsam bleibt der Vatikan im Zweiten Weltkrieg, auch angesichts der Deportation katholischer Juden aus Rom.

Antimarxist. 1949 droht Pius XII. jedem Katholiken mit Exkommunikation, der den Kommunismus unterstützt.

Rolf Hochhuth entfacht nach Pacellis Tod mit dem Drama „Der Stellvertreter“ eine Diskussion über diesen „Weltkriegspapst“, die noch immer andauert. [AP]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2010)

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