Ludwig Steiner: Der letzte Zeuge

Ludwig Steienr letzte Zeuge
Ludwig Steienr letzte Zeuge(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Vor 55 Jahren flog er mit Julius Raab nach Moskau. Der Staatsvertrag vom 15.Mai 1955 war ein Wunder an Improvisation. Heute ist Ludiwg Steiner 88 Jahre alt.

Er saß innen- und außenpolitisch an den Schlüsselstellen der Zweiten Republik. Ein Großer. Christlich-Sozialer, Widerständler, Sekretär des Außenministers Karl Gruber, dann Kabinettschef des „Staatsvertragskanzlers“ Julius Raab. Botschafter Ludwig Steiner, 88, ist der letzte lebende Zeuge der Staatsvertragsverhandlungen von 1955. Später war er Staatssekretär im Außenministerium (unter Kreisky), Botschafter, Tiroler VP-Abgeordneter. Und als solcher in den Achtzigerjahren ein strenger Leiter der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse „Lucona“ und „Noricum“. Als Präsident der Politischen Akademie wollte er in Pension gehen. Dann bat man ihn nochmals: Bis 2005 leitete er den Versöhnungsfonds zur Entschädigung ehemaliger NS-Zwangsarbeiter.

„Die Presse“:
Herr Botschafter, die Bemühungen, Österreich nach der NS-Barbarei wiedererstehen zu lassen, reichen ja weit vor das Jahr 1945. Der Beginn liegt wohl in der Moskauer Deklaration, datiert von 1943?
Ludwig Steiner:
Ja. Es waren damals ja nur drei alliierte Mächte: die Sowjetunion, die Vereinigten Staaten und Großbritannien. Die Franzosen waren da noch nicht dabei. Österreich sollte in den Grenzen von 1938 wiedererstehen; für die Teilnahme am Kriege Hitlers müsse Österreich aber auch selbst einen Beitrag zur Befreiung leisten. Dieser Satz war für uns im Widerstand wesentlich. Denn bis dahin hatten ja alle gemeint, es sei ja sowieso sinnlos. Wir haben diesen Satz über Radio Beromünster gehört, „Feindsender“ abhören war ja unter Todesstrafe verboten.

Der Satz war für uns sensationell, denn es war gar nicht so sicher, dass Österreich als selbstständiges Gebilde errichtet werden sollte. 1938 hatten die Großmächte nach drei, vier Wochen die Einverleibung Österreichs durch Hitler zur Kenntnis genommen.

Aber Mexiko hat doch protestiert!
Steiner:
Ja, die tollen Mexikaner haben protestiert! Na, die haben es halt nur drei Monate später akzeptiert. Kein Mensch hat uns geholfen.

Sie waren am Ende des Kriegs im Widerstand und kamen mit Karl Gruber zusammen.
Steiner:
Ich hörte, da komme ein Widerständler, mit dem wollte ich reden. Er stellte sich als Doktor Hutter vor, worauf ich gesagt hab, nein, du bist der Doktor Gruber, weil ich mit deiner Schwester in die Schul gegangen bin. Wir waren beide unerfahren. Zwar hatten wir eine solide Infanterieausbildung, aber keine in Demokratie. Ich ging in den provisorischen Tiroler Landtag und brachte einen Antrag ein – das trau ich mich heute ohne Weiteres zu sagen: dass man die Regierung Renner in Wien nicht anerkennt. Die war nach unserem Geschmack zu sehr kommunistenlastig. Radio Beromünster meldete ja damals: „In Wien hat sich eine Sowjetregierung gebildet.“ Der Antrag wurde angenommen und hat letztlich zu den Länderkonferenzen geführt. Und dadurch wurden auch die Bundesländer an der Regierung beteiligt.

Rauchensteiner schreibt, der Staatsvertrag hätte schon 1949 abgeschlossen werden können. Aber die USA hatten Sorge wegen eines militärischen Vakuums in Ostösterreich.
Steiner:
Die Gefahr war in den westlichen Bundesländern durchaus virulent. Die Leute haben den Eindruck gehabt, das aggressivere Element sei immer die Sowjetunion. Und ob die Westmächte dagegen aufgetreten wären, da war man sich nicht sicher. Eine durchaus richtige Einschätzung.
Nun kam es zur Staatsvertragsunterzeichnung 1955. Ein Ereignis, ein Jubel für uns, die wir das miterleben durften, nur vergleichbar mit dem 9.November 1989 in Berlin.
Steiner: Im Jänner 1954 hatten die Sowjets bei der Berliner Konferenz das erste Signal gegeben, dass sie irgendwie gesprächsbereit sein könnten. Julius Raab hat in ganz kleinen Schritten eine Vertrauensbasis geschaffen. Früher musste sein Amtsvorgänger Figl alle acht Tage beim russischen Hochkommissar ins Imperial zum Rapport. Raab sagte nach dem zweiten Mal – ich war dabei: Das nächste Mal kommen S' zu mir. Und der kam. Die wirklichen politischen Gespräche wurden im Kanzleramt geführt, weil der sowjetische Botschafter natürlich gewusst hat, dass das Imperial total vom KGB verwanzt war. Raab war listig. Er hat sich für jedes kleinste Entgegenkommen bedankt. Das hat ihm bei uns keine gute Presse eingebracht. „Raab nix gut“, schrieb die „Arbeiter-Zeitung“. Aber die Sowjets erkannten: Das macht Sinn.

Wir hatten ja keinen Einblick, was sich in Moskau tat. Fünfundfünfzig Jahre später wissen wir, dass dadurch im Kreml ein Flügel entstand – um Chruschtschow –, der eine Öffnung zur Welt suchte.

Die Einladung zu Gesprächen im April in Moskau kam dann doch überraschend?
Steiner:
Das war vielen in Österreich und den Westmächten verdächtig. Man musste sehr vorsichtig sein, dass man nicht den Rückhalt aus dem Westen verliert. Daher saß ja auch der Proamerikaner Gruber als Botschafter in Washington. Mit zwei Flugzeugen sind wir Österreicher nach Moskau geflogen. Ich war sozusagen der Sekretär der Delegation.

Schärf schreibt in seinem Tagebuch, dass man sich auf der Fahrt zum Flugplatz Vöslau nicht bei der „Spinnerin am Kreuz“ treffen wollte, sondern weiter stadtauswärts, weil laut Sage dort eine Frau jahrelang auf die Rückkehr ihres Mannes gewartet habe. Also kein gutes Omen.
Steiner:
Schlimmer noch. Das war ein Hinrichtungsplatz!

Aber die Erzählung stimmt?
Steiner:
Ja, so war es. Dem Raab war das eigentlich ganz wurscht. Er war in Gedanken schon in Moskau. Man muss sich vorstellen: Da reist eine Delegation in einer irrsinnig wichtigen staatspolitischen Mission nach Moskau, und da hat kein Ausschuss des Parlaments, keine Bundesregierung beschlossen, was der Grundzug dieses Ausflugs sein sollte! Im ÖVP-Klub hat der Raab kurz angedeutet, worum es da gehen könnte, alle haben geklatscht, der Figl hat noch ein paar Details über die zwei Flugzeuge erzählt. Sehr blumenreich.

Im sozialistischen Klub wurde lediglich beschlossen, dass das Wort „Neutralität“ in den Verhandlungen nicht vorkommen darf. Es war unglaublich – da fährt eine Koalition nach Moskau ohne eine gemeinsame Linie!

Technisch und juridisch war die Sache allerdings von den Beamten großartig vorbereitet. Aber politisch gab's keine Entscheidung. Und die war auch nicht in Moskau bei unserer Ankunft da. Die entscheidende Frage der Sowjets war: Wie sieht die zukünftige österreichische Politik aus? Weil eines war klar: Bisher hatte die Rote Armee nie ein Stück eroberten Landes freiwillig hergegeben. Ein Rückzug aus Mitteleuropa war eine Sache, die die Kremlführung ihren Leuten ja erst erklären musste.

Das Außenministerium war auf diese Gretchenfrage vorbereitet. Der Staatssekretär Kreisky legte eine Liste mit 26 Punkten vor, was wir alles tun und was wir nicht tun würden. Aber das Wort „Neutralität“ kam nicht vor. Worauf der russische Außenminister Molotow sagte: „Das sind alles schöne Worte, aber mehr nicht.“ Mit dem war nicht auszukommen.

Nächsten Samstag:
Wer hat die „Neutralität“ erfunden?
Und: Als Figl Molotow sprachlos machte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.05.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.