NS-Verbrechen: Demjanjuk verurteilt - und freigelassen

NSVerbrechen Demjanjuk verurteilt freigelassen
NSVerbrechen Demjanjuk verurteilt freigelassen(c) EPA (TOBIAS HASE)
  • Drucken

Der ehemalige KZ-Wächter wird wegen Beihilfe zum Massenmord an Juden zu fünf Jahren Haft verurteilt. Dennoch kommt er zumindest vorerst frei: Nach zwei Jahren U-Haft sei eine weitere Zeit im Gefängnis nicht verhältnismäßig.

Einer der letzten großen NS-Kriegsverbrecher-Prozesse ist zu Ende: Das Landgericht München hat den ehemaligen KZ-Wachmann John Demjanjuk am Donnerstag wegen Beihilfe zum Mord an mindestens 28.060 Juden im Vernichtungslager Sobibor zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der 91-jährige gebürtige Ukrainer von März bis September 1943 zu den "Trawniki" in Sobibor gehörte - das waren "fremdvölkische Hilfswillige", wie sie bei den Nazis hießen. Er sei dabei gewesen, als insgesamt 16 Transporte mit Juden in dem Lager ankamen und die Menschen systematisch und auf grausame Weise in den Gaskammern umgebracht wurden. Besonders schwerwiegend wertete das Gericht den sogenannten Kindertransport, bei dem im Juni 1943 rund 1000 Kinder unter 14 Jahren getötet wurden.

Demjanjuks Verteidiger Ulrich Busch kündigte Revision gegen das Urteil an.

Weitere Haft "nicht verhältnismäßig"

Trotz der Verurteilung wird Demjanjuk - zumindest vorerst - aus dem Gefängnis entlassen. Nach genau zwei Jahren in Untersuchungshaft sei eine weitere Zeit im Gefängnis für den 91-Jährigen nicht verhältnismäßig, sagte Richter Ralph Alt. Da Demjanjuk staatenlos sei, bestehe auch keine Fluchtgefahr: "Der Angeklagte ist freizulassen."

Sollte das Urteil rechtskräftig werden, müsste die nächste Instanz auch über die Haftfrage neu entscheiden. Demjanjuk könnte dann doch noch ins Gefängnis kommen, sollte er noch haftfähig sein. Allerdings müsste auf eine Haftstrafe jedenfalls die Dauer der Untersuchungshaft angerechnet werden.

"Er war Teil der Vernichtungsmaschinerie"

Der Prozess hatte Ende November 2009 begonnen und zog sich vor allem wegen immer neuer Beweisanträge der Verteidigung hin. Als Beweismittel legten die Ermittler unter anderem den Dienstausweis Demjanjuks vor. Sobibor-Überlebende schilderten in dem Verfahren, wie KZ-Wächter die mit Zügen deportierten Juden mit Gewehren in die Gaskammern trieben. Demjanjuk persönlich als KZ-Wächter identifizieren konnte allerdings niemand.

Das Gericht schloss sich in seinem Urteil der Argumentation der Anklage an: Da Sobibor allein zur planmäßigen Ermordung von Menschen diente, habe sich jeder mitschuldig gemacht, der dort Dienst tat.

"Wie alle Trawniki-Männer wusste er, was im Lager geschah, und zwar vom ersten ihm vorgeworfenen Transport an", sagte Richter Alt. Der Feuerschein der Krematorien sei überall zu sehen gewesen, der Geruch verbrannten Fleisches sei in der ganzen Region in der Luft gehangen. "Der Angeklagte war Teil dieser Vernichtungsmaschinerie." Die Juden seien aus Rassenhass grausam ermordet worden. Die "Trawniki" hätten die Möglichkeit zur Flucht gehabt, um sich diesem Morden zu entziehen. Demjanjuk habe diese Chance aber nicht genutzt.

Das Gericht blieb mit dem Urteil leicht unter der Forderung der Staatsanwaltschaft zurück. Diese hatte sechs Jahre Haft beantragt. Die Verteidigung hatte Freispruch gefordert.

Während einigen Nebenklägern bei der Verlesung der Transporte und der Namen ihrer getöteten Angehörigen die Tränen in den Augen standen, nahm Demjanjuk das Urteil ohne sichtbare Regung auf. Er hatte das Verfahren von einem Rollbett neben der Richterbank mit einer Sonnenbrille über den Augen schweigend verfolgt.

Wiesenthal-Zentrum empört über Freilassung

Das israelische Wiesenthal-Zentrum begrüßte zwar die Verurteilung Demjanjuks, zeigte sich aber empört über seine Freilassung.  "Er gehört ins Gefängnis", sagte der Leiter der Jerusalemer Einrichtung, Efraim Zuroff.

Demjanjuk sei wegen der Beteiligung an der Ermordung von rund 30.000 Juden verurteilt worden. "Ist es da angemessen, ihn freizulassen, so dass er die Gastfreundschaft der ukrainischen Gemeinde in Deutschland genießen kann?" Frauen aus der ukrainischen Gemeinde Münchens haben angekündigt, sich um Demjanjuk zu kümmern.

(Ag./Red.)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Gericht verurteilt ehemaligen KZ-Waechter Demjanjuk zu fuenf Jahren Haft
Zeitreise

Fall Demjanjuk: Staatsanwalt legt Revision ein

Wie auch die Verteidigung ist die Staatsanwaltschaft mit dem Urteil von fünf Jahren Haft für den ehemaligen KZ-Wachmann nicht zufrieden.
Gesucht Neues Zuhause fuer
Zeitreise

NS-Verbrecher Demjanjuk verlässt Gefängnis

Am Tag nach seiner Verurteilung verlässt der ehemalige KZ-Wachmann das Münchner Gefängnis Stadelheim. Seine künftige Bleibe ist geheim.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.