Otto, von Adolf Hitler steckbrieflich gesucht

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Habsburg und Hitler: Der Braunauer Landsmann und deutsche Diktator hätte den „Kronprinzen“ gern umgarnt. Doch der 20-jährige Thronanwärter wich clever aus und blieb ein erbitterter Nazi-Gegner. Das erst recht nach 1938.

Im Winter 1932/33 begann eine der spannendsten Episoden im turbulenten Leben Otto Habsburgs. Der des Landes verwiesene österreichische (und ungarische) Thronprätendent war zwanzig Jahre alt, hatte seine Studien so gut wie abgeschlossen und lebte mit Mutter Zita und den sieben Geschwistern im belgischen Schloss Steenockerzeel. Zita träumte immer noch von einem europäischen Thron für ihren Erstgeborenen, es musste absolut nicht der österreichische oder der ungarische sein. Rund um den jungen Mann war nicht nur eine kleine, aber feine Hofhaltung eingerichtet worden, es tummelten sich ebenfalls monarchistische Bewunderer aus der Heimat, bisweilen auch nur Karrieristen, die auf eine ungewisse Zukunft spekulierten.

Umgarnungsversuche

Otto war neugierig. Mindestens ebenso wie Adolf Hitler, der sich in Berlin schon fast am Ziel sah. In Deutschland war es dem NS-Agitator gelungen, einen der vielen preußischen Kaisersöhne vor seinen Karren zu spannen und ihm eine SA-Uniform samt Ehrenrang zu verpassen. So wollte er es auch mit dem österreichischen „Kronprinzen“ halten. Doch der war auf der Hut. Er wollte mehr über die Stimmung in Deutschland wissen, sich aber nicht arrangieren.

Otto, ein entschiedener Gegner seines Braunauer Landsmannes, reiste also auf Einladung des Zentrumsabgeordneten Graf Galen nach Berlin und traf den preußischen Kronprinzen zum Essen. Gordon Brook-Shepherd schildert, was dann geschah. Der jüngere Prinz, August Wilhelm, voll adjustiert in SA-Uniform, lud zu sich nach Hause ein. Und sang dort Loblieder auf die NSDAP, sprach ständig vom „Führer“, während der Habsburger demonstrativ vom „Herrn Hitler“ sprach.

Der „Führer“ wollte Otto sprechen. Der wollte nicht: Er sei nur zum Studium in Berlin und gehe politischen Gesprächen aus dem Weg, ließ er die Emissäre wissen. Dass er schon zahlreiche Politiker des konservativen Lagers getroffen hatte, verschwieg er. Später versuchte es Hitlers mächtiger Intimus Hermann Göring nochmals, in seiner Eigenschaft als Präsident des Berliner Landtags. Er schickte Baron Perreira aus, in dessen Wohnung Otto logierte. Aber Otto wich aus. Die Avancen blieben erfolglos.

Konversation abgelehnt

„Ich hatte den großen Vorteil“, erzählte Otto bei einem unserer Interviews, „dass ich ,Mein Kampf‘ schon von Anfang bis zu Ende gelesen hatte und seine Ziele kannte. All dies bestärkte mich nur in meiner Weigerung, ihn zu treffen. Auf der anderen Seite wäre es eine interessante Erfahrung gewesen. Dies war tatsächlich die einzige interessante Konversation, die ich jemals in meinem Leben vermieden habe.“

Getroffen hat sich Otto allerdings wenig später mit dem alten Reichspräsidenten von Hindenburg. Für diese Audienz hatte der greise General eine Höflichkeit an den Tag gelegt, die den „Führer“ vor Wut wohl hätte schäumen lassen: Für den jungen Erben der habsburgischen Dynastie hatte der Feldmarschall eine österreichische Uniform angelegt, die er noch im Fundus fand. Dazu trug er sämtliche österreichischen Orden. Politisiert wurde nicht. Hindenburg erzählte hauptsächlich über den Deutsch-Französischen Krieg 1870, in dem er als junger Offizier gefochten hatte.

Die Gestapo sucht ihn

Gleich nach Hitlers Machtergreifung am 30.Jänner1933 betrat Otto wieder deutschen Boden, freilich nur für kurz: Von Lindau nach München führte ihn eine konspirative Reise zu österreichischen Monarchisten. Schon tags darauf wollte ihn die Gestapo in Geiselgasteig sprechen. Die Nazis hatten die Redaktion einer oppositionellen Zeitschrift gestürmt und deren Redakteur umgebracht. Aus dessen Korrespondenz ging die Bekanntschaft mit dem Habsburger hervor. Doch Otto hatte Glück: Der Gestapo-Mann war gebürtiger Kroate und heimlicher Monarchist. „Ich verließ das Dorf mit dem nächsten Zug Richtung Belgien und sah Nazi-Deutschland nicht mehr wieder, bis nach seiner Niederlage im Jahr 1945.“

„Unternehmen Otto“

Doch Adolf Hitler blieb ihm auf den Fersen. Die Rache für seine Abfuhr folgte im Jahr 1938, als Hitler das kleine Österreich – alleingelassen von seinem bisherigen Protektor Mussolini – dem Deutschen Reich anschloss. Der triumphale Einmarsch in Österreich trug bezeichnenderweise den Namen „Unternehmen Otto“.

(Fast) alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen in Österreich hatte Hitler hinter sich gebracht. Da war einerseits die katholische Bevölkerung, deren höchster Repräsentant, Kardinal Theodor Innitzer, der dem Diktator nach dessen Heldenplatz-Rede im Hotel „Imperial“ seine untertänigste Aufwartung machte. Schon zuvor, während des Triumphzuges quer durch Österreich hatte der Wiener Erzbischof eine Willkommensbotschaft geschickt und angeordnet, dass entlang der Route Hitlers alle Kirchenglocken geläutet wurden. Es war dies ein „bemerkenswerter Salto“ (Brook-Shepherd), hatte Innitzer doch noch eine Woche vorher die Gläubigen zum Gegenteil aufgefordert, nämlich zu einem „Ja“ für Schuschniggs Volksabstimmung gegen Hitler.

Renners „freudiges Ja“

Und da waren die „Sozis“, die es noch zu gewinnen galt. Als Steigbügelhalter diente der unwahrscheinlich wandelbare Karl Renner, eine Galionsfigur der gemäßigten Sozialisten. Dem Druck hielt Renner nur bis zum 3.April stand. Dann warb der „Vater des Vaterlandes“ mit seinem „freudigen Ja“ für die Volksabstimmung über die „Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“. Das war also gelungen.

Und die Monarchisten? Habsburg hielt sich während dieser Zeit in Paris auf und feuerte aus vollen Rohren gegen den Usurpator, freilich waren diese nur aus Zeitungspapier. „Le Jour“ gab er ein legendäres Interview: „Im Augenblick, da die Österreicher sich vorbereiteten, der Welt ihren Willen nach Unabhängigkeit durch eine freie Volksabstimmung zu beweisen, ist das Deutsche Reich einmarschiert und hat Österreich durch militärische Gewalt annektiert. In meiner Eigenschaft als Nachkomme einer Dynastie, die Österreichs Größe und Wohlstand durch 650 Jahre geleitet hat, als Sprecher der Gefühle von Millionen Österreichern, die für ihr Vaterland die reinste und glühendste Liebe empfinden, erhebe ich den empörtesten Protest gegen die unerhörte Aggression von deutscher Seite, der Österreich zum Opfer gefallen ist.“

Österreicher protestierten nicht

Eine mutige Ansage, wenngleich sie die Stimmung „von Millionen Österreichern“ sicher falsch wiedergab. Denn sie waren anderer Ansicht als der Habsburger. Man mag darüber spekulieren, ob nicht der Hass, der Otto nach dem Krieg in Österreich entgegenschlug, hier seine Ursache hatte: Man nennt es schlechtes Gewissen.

Otto, setzte fort: „Diese Aggression ist eine Herausforderung der grundlegenden Prinzipien des Völkerrechts. Ich protestiere gegen die gewaltsame Annexion Österreichs durch Deutschland und weise eine Volksabstimmung zurück, die unter der Kontrolle der deutschen Truppen die vollzogene Tatsache nach dem Gewaltakt legalisieren würde.“

„Die durch den flagranten Rechtsbruch entstandene Situation kann niemals meine oder des österreichischen Volkes Zustimmung finden. Ich setze meine ganze Hoffnung in Gott und glaube, dass am Ende das verletzte Recht siegen wird. Im Namen des unterdrückten österreichischen Volkes appelliere ich an das Gewissen aller Völker, denen Freiheit, Friede und Gerechtigkeit keine leeren Worte sind. Ich fordere sie auf, das österreichische Volk in seinem unbeirrbaren Willen nach Wiedergewinnung der Unabhängigkeit und der Freiheit zu unterstützen.“

Steckbrief wegen Hochverrats

Als Otto am 29.März dem „Petit Parisien“ ein ähnlich flammendes Interview gab, war das Maß für Hitler voll. Am 20.April 1938, an des „Führers Geburtstag“, veröffentlichte das Justizministerium in Wien, das bereits Berlin unterstellt war, einen Steckbrief. Der Kronprinz wurde zur Fahndung ausgeschrieben: wegen Hochverrats, begangen am 29.März. Der „Völkische Beobachter“ berichtete darüber wie folgt: „ Wie Dienstagmittag bekannt wird, ist vom österreichischen Landesjustizministerium gegen Otto von Habsburg, den ehemaligen Anwärter auf den österreichischen Thron, wegen des Verbrechens des Hochverrates am 29.März d.J. ein Haftbefehl erlassen worden. Da der Hochverräter landesflüchtig geworden ist – er hielt sich in den letzten Wochen in Paris auf und flennte um Hilfe für das ,arme unterdrückte österreichische Volk‘ gegen Hitler–, wurde ein Steckbrief gegen ihn erlassen.“

Habsburgs Fehleinschätzung

Habsburg hatte sich verschätzt. Als die Wahlurnen am 10.April geöffnet wurden, stellte sich heraus, dass über 99 Prozent der Wähler mit „Ja“ für Hitlers Coup gestimmt hatten. Nur 12.000 von den viereinhalb Millionen Stimmberechtigten waren dagegen, weitere 5776 gaben ungültige Zettel ab.

Allein diese zwei geschilderten Episoden hätten genügt, Otto von Habsburg nach Kriegsende auf einer unsichtbaren Ehrentafel unbeugsamer österreichischer Patrioten anzuführen. Diese Anerkennung erfolgte erst mit gewaltiger zeitlicher Verzögerung. Aber er hat sie noch erlebt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2011)

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