Kein treuer Sohn der Kirche

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Der 8. Dezember. Im Jahr 1984 provozierte ein Landeshauptmann den Konflikt mit der Gewerkschaft. Wilfried Haslauer wurde dafür vom Verfassungsgerichtshof verurteilt.

"Ministeranklage“: Eine scharfe Waffe, eine schreckliche Drohung, die in Österreich so gut wie nie angewendet wird. Nur ein Politiker musste das ausbaden: Wilfried Haslauer sen. (1926 – 1992), als Salzburger Landeshauptmann im Protokoll den Ministern gleichgestellt.
1984 hatte der klein gewachsene Wirtschaftsbündler mit seiner ÖVP-Liste einen fulminanten Wahlsieg gefeiert: Knapp über 50 Prozent der Stimmen brachten ihm 19 von 36 Sitzen im Landtag. Daß ihm dabei die allgemeine „Großwetterlage“ zugutekam, die schlechte Stimmung in den ÖVP-regierten Ländern angesichts der rot-blauen Koalition Sinowatz/Steger in Wien, das mag erheblich dazu beigetragen haben.
Jedenfalls verschlechterte sich das Klima zwischen Haslauer und der Kleinen Koalition weiter dramatisch. Im Hochgefühl seines Wahlsieges ließ es der Salzburger Landesherr im Herbst 1984 darauf ankommen: Er verordnete – nach langem Hin und Her und auf Drängen der Handelskammer –, dass am bevorstehenden Marienfeiertag, dem 8. Dezember, die Geschäfte offenhalten können. Es sei absurd, so argumentierte die Geschäftswelt, daß an diesem Tage ganze Heerscharen von Salzburgern ihre Weihnachtseinkäufe im benachbarten Reichenhall tätigen und so viele Millionen an Kaufkraft ins benachbarte Bayern abfließen.
Haslauer, dieser sonst so treue Sohn seiner Kirche, riskierte den Konflikt. Aber nicht die Bischöfe waren es, die den Landeshauptmann „Mores lehrten“. Es war die Regierung in Wien. Der dortige Handelsminister hieß Norbert Steger, Obmann der FPÖ. Nichts war dem liberalen Vizekanzler lieber, als endlich einmal ein Exempel gegen die bewegungsunlustige Gewerkschaft zu setzen, die davon absolut nichts wissen wollte.

Dallinger gegen Steger

Doch die Macht Stegers war begrenzt, wie das bei einem Juniorpartner in der Regierung eben so ist. In der dominierenden Regierungspartei SPÖ hatte Sozialminister Alfred Dallinger das gewichtigste Wort. Seine „Hausmacht“, den Vorsitz bei der Angestelltengewerkschaft, hatte er aus diesem guten Grund nie aufgegeben. Und er erteilte in seiner Funktion als Minister dem Salzburger Landeshauptmann die Weisung, seine Verordnung rückgängig zu machen.
Der penible Jurist Haslauer wusste zwar um die „mittelbare Bundesverwaltung“, deren ausführendes Organ ein Landeshauptmann ist, – aber da spielte er nicht mit. Die Geschäfte blieben am 8. Dezember 1984 wirklich offen, das Weihnachtsgeschäft lief optimal – aber das alles war kein Argument für Dallinger. Die Koalitionsregierung in Wien klagte den Salzburger Querkopf beim Verfassungsgerichtshof: „Ministeranklage“ heißt das. Und es traf Haslauer tief, obwohl er seit Wochen damit hatte rechnen müssen.

Der Filius als Verteidiger

Der Landeshauptmann nahm sich zur Verteidigung vor dem Höchstgericht einen Anwalt, dessen Fähigkeiten er wahrscheinlich so gut wie kein anderer kannte: Seinen Sohn gleichen Vornamens, heute LH-Stellvertreter in Salzburg. Der Filius arbeitete eine Verteidigungsstrategie aus, die dem Vater gefiel: Das Arbeitszeit-Ruhegesetz sei in „mittelbarer Bundesverwaltung“, also vom Landeshauptmann, zu vollziehen. Aber – so der Junior – das Gesetz normiere in seinem Paragrafen 13 ausdrücklich, dass die Kompetenz für Ausnahmen beim Landeshauptmann liege. Außerdem, so die beiden Haslauers, sei der Sozialminister allein gar nicht zuständig gewesen, das hätte nur im Zusammenspiel von Dallinger und Handelsminister Steger erfolgen dürfen.
Und noch einen Pfeil hatten die beiden im Köcher: Die Paragrafen 12 und 14 sagten eindeutig, daß ein Offenhalten von Geschäften dann möglich gemacht werden könne, „wenn dies einem Bedürfnis der Bevölkerung entspricht“, oder „im öffentlichen Interesse liegt“. Die Lage war heikler, als Haslauer senior und junior öffentlich zugeben wollten: Die Verfassungsrichter waren nämlich durchaus berechtigt, den Landeshauptmann des Amtes zu entheben, sollten sie von seiner Schuld überzeugt sein.
Dagegen freilich war Haslauer ebenfalls gewappnet: Seine Hausjuristen hätten ihn hinlänglich davon überzeugt, dass eine einseitige Weisung des Sozialministers allein nicht genüge: Steger hätte auch unterschreiben müssen. Und so könnte er, meinte Haslauer, notfalls immer noch auf „entschuldbaren Rechtsirrtum“ plädieren, was ihm das Amt retten würde.
Nach fast einem Jahr mussten die beiden Haslauers wirklich – unter medialem Trommelwirbel – vor den Höchstrichtern am Judenplatz erscheinen. Die Verhandlung selbst verlief einigermaßen kurios: Man nahm zwar die Argumente der Salzburger ad notam, verurteilte den Herrn Landeshauptmann dennoch – und das Ganze hatte keinerlei rechtliche, politische oder finanzielle Folgen. Beiden Streitparteien war recht getan – oder doch keiner? Noch Monate danach sezierten juristische Feinspitze das Erkenntnis des VfGH, der selten zuvor jemals so realpolitisch urteilte wie in diesem Fall. Ein „Erkenntnis“ war es. Das steht fest. Ob's eine „Erleuchtung“ war, darüber mag man streiten.
Wilfried Haslauer, felsenfest von totalem Sieg überzeugt, war verbittert. Weniger über die Herren in der ehemaligen Böhmischen Hofkanzlei als über die rot-blaue Koalitionsregierung, die ihm diese Schmach antat. Seitdem ließ er nichts unversucht, um diese Regierung aus dem Amt zu bugsieren.
Lange musste er damit nicht warten. 1986 krönte die FPÖ den Kärntner Landesrat Jörg Haider zum neuen Bundesparteichef; Norbert Steger verschwand in der Versenkung; die Koalition wurde aufgelöst; es folgte eine Regierungszusammenarbeit zwischen SPÖ unter Franz Vranitzky und der ÖVP unter Alois Mock.

Rache ist süß . . .

Das war nicht ganz, was Haslauer anstrebte: Eigentlich hätte er am liebsten die Sozialisten aus der Regierung gedrängt und mit den Freiheitlichen eine Zusammenarbeit bevorzugt. Etwa mit einem Vizekanzler Norbert Gugerbauer. Doch sein Antrag, eine solche bürgerliche Kleine Koalition anzustreben, erhielt bekanntlich im Bundesparteivorstand nur zwei Stimmen: seine – und jene von Alois Mock.
Übrigens: Erst 1995 einigten sich die Sozialpartner über die Ladenöffnung am 8. Dezember. Seither hat sich der Marienfeiertag als eine Art „fünfter Weihnachtseinkaufssamstag“ etabliert, obwohl auch heuer wieder Protest dagegen angemeldet wird.

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