Wenn Kommunalpolitiker über Hexen streiten

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In Deutschland wollen Kommunen das Unrecht an „ihren“ Hexen wiedergutmachen. Ein Vorbild für Österreich? Über Sinn und Unsinn historischer Rehabilitierungen.

Wenn Sie es ernst gemeint hätten, hätten Sie recherchieren sollen. Die von Ihnen aufgeführte Katharina Voll hieß Margarete Vollen, Christine Helben hieß Christine Halben.“ Man werde den Antrag auf Rehabilitierung dieser Frauen vorerst ablehnen, verkündet die SPD im Wiesbadener Parlament. In Düsseldorf ist die CDU gegen die Rehabilitierung zweier Hexen, sie verweist auf einen Theologen: Die Frauen seien wirklich „in abergläubische Praktiken verwickelt“ gewesen. Dafür hat in Köln ein Ratsausschuss Stadtrat und Erzbistum aufgefordert, sich von den Hexenverbrennungen zu distanzieren. Auch in Münster wird beraten. Kurz: Allerorten beschäftigen derzeit Hexenverbrennungen die deutsche Kommunalpolitik.

Hat Österreich etwas verschlafen? In der Schweiz wurde schon vor vier Jahren die „letzte Hexe“, Anna Göldi, durch ein Parlament rehabilitiert, in Österreich noch gar keine. Hier kennt man Rehabilitierungen historischer Personen vor allem in Bezug auf die Zeit des Nationalsozialismus. Wenn es um die NS-Zeit geht, sind derlei symbolische Wiedergutmachungen auch leicht einsichtig: Sie sind ein Trost für die Nachkommen der Opfer und ein wichtiges Urteil über Geschichte, die die Gesellschaft noch betrifft. Aber wie sehr betrifft uns die Hexenverfolgung?

45 Prozent der Opfer waren Männer

Seit dem Spätmittelalter kennen Juristen die „Rehabilitatio“. Damals hätte wohl keiner von ihnen daran gedacht, dieses Verfahren auf vor Jahrhunderten Verstorbene anzuwenden; und noch weniger wohl hätten sie sich vorstellen können, dass einmal einige ihrer Zeitgenossen von Menschen rehabilitiert würden, die über ein halbes Jahrtausend später leben.

Auch für heutige Zeitgenossen können solche Versuche kurios anmuten. Sie sind Zeichen eines Trends, diesen symbolischen Akt immer weiter in die Vergangenheit zu verlegen. Aber wo hören öffentliche Rehabilitierungen auf, sinnvoll zu sein? Nicht bei den Hexen, ist Hartmut Hegeler überzeugt. Sein Engagement ist der Hauptgrund dafür, dass sich deutsche Kommunalpolitiker plötzlich für die Hexenverfolgung interessieren. Der evangelische Pfarrer erforscht seit Längerem die Geschichte eines Gegners der Hexenverfolgung, des ebenfalls evangelischen Pfarrers Anton Prätorius. Seinen Kampf sieht er in der Nachfolge dieses Mannes. Über ein Dutzend Kommunen in Deutschland hätten „ihre“ Hexen bereits rehabilitiert, sagt Hegeler. Am liebsten wäre ihm, wenn das alle machten.

Gerechtigkeit für die Ermordeten ist das Ziel, aber ganz gerecht geht es dabei nicht zu. So hat sich die mediale Aufmerksamkeit bei der Kölner Aktion ganz auf eines der „prominentesten“ Opfer fokussiert: die reiche Kölner Witwe und Postmeisterin Katharina Henot. Ihr wurde unter anderem vorgeworfen, einem Kloster eine Raupenplage angezaubert zu haben, sie wurde erdrosselt und dann verbrannt. „Mit Katharina Henot hat man gezielt eine reiche Frau, die ein Witwengewerbe ausübte, eliminiert“, sagt die österreichische Historikerin Isabella Ackerl. „Vor allem für Österreich aber gilt, dass Reiche kaum verfolgt wurden. Es ging viel mehr darum, randständige Schichten zu eliminieren. Da wurden etwa kleine Bettelbuben unter dem Motto ,Weg mit dem G'sindel!‘ hingerichtet.“

Auch dass die Rehabilitierungsanträge gern in den Ausschüssen für Frauenangelegenheiten landen, zeigt, wie wenig seriös die politische Hexenrehabilitierung abläuft. „In Österreich zum Beispiel waren 40 bis 45 Prozent der Opfer von Hexenprozessen Männer“, sagt Isabelle Ackerl.

Es gab keine Millionen Opfer

Aber bis heute hält sich im Kollektivbewusstsein jenes seit Jahrzehnten widerlegte Bild der Hexenverfolgung, das eine feministische, an historischem Material ebenso wie an wissenschaftlichen Ansprüchen arme Forschung in den 1970er-Jahren etabliert hat: Millionen von Frauen (heute spricht man von 60.000 männlichen und weiblichen Opfern europaweit) seien verfolgt worden, weil sie „weise Frauen“ gewesen seien und über geheimes Naturwissen verfügt hätten.

Paradoxerweise führen solche linken Rehabilitierungsbefürworter in Deutschland damit eine Argumentationslinie aus der Zeit des Nationalsozialismus weiter. Damals war die Hexe zur Symbolfigur urgermanischer Naturverbundenheit und Religion geworden, die Hexenverbrennung wurde als jüdisch-christlicher Feldzug interpretiert. Letztlich steht in der Rehabilitierungsmanie für historische Personen auch ein Stück Unfehlbarkeitsanspruch, die Illusion einer Gesellschaft, letztgültige Urteile über die Geschichte und Beschaffenheit der Welt fällen zu können. In diesem Fall mit dem Ergebnis, dass teilweise Menschen für unschuldig erklärt werden, die das seinerzeit selbst bestritten hätten. Immerhin gab es auch Opfer, die selbst von ihren Hexenkünsten überzeugt waren und diese vermeintlichen Fähigkeiten gegen Feinde einsetzten.

Moralisch rehabilitiert sind die Opfer der Hexenverfolgung ohnehin durch jahrzehntelange Forschung, Öffentlichkeitsarbeit und Schulunterricht. Ackerl kann einer offiziellen Wiedergutmachung trotzdem etwas abgewinnen – aber vor allem als mahnende Erinnerung an die zerstörerische Kraft menschlicher Gefühle. „In sehr vielen Fällen ging es nicht um Aberglauben, sondern einfach um Neid, Rachedurst oder Gewinnsucht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2012)

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