Der junge Kreisky auf der Studentenbude

(c) Michaela Bruckberger
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Ein korporierter Onkel nahm einst den Neffen Bruno zu einer Burschenschafter-Kneipe mit. Der Jüngling blieb stumm – und kam nie wieder, wie er in einem ausführlichen Brief bestätigte.

Wien/Hws. Im April 1985 veranstalteten Wiener Couleurstudenten eine Gedenk-Kneipe zum 100. Geburtstag von Egon Erwin Kisch. Der einstige Journalist der „Neuen Freien Presse“ und als „rasender Reporter“ berühmt Gewordene war nicht nur jüdischer Herkunft und (später) Kommunist, er hatte auch die Kloster-Mittelschule bei den Piaristen in Prag absolviert. Und er war dann während seiner Studentenzeit in Prag auch Mitglied der schlagenden deutschen Burschenschaft „Saxonia Prag“, sodass er sogar eine Abhandlung über das Prager Mensurwesen verfasste.

„Nicht getrunken, nicht gesungen...“

Bei der Gedenk-Kneipe in Wien waren Angehörige von schlagenden deutschnationalen, von freisinnig-liberalen und von nicht schlagenden katholischen Verbindungen anwesend. Sogar einige „Alte Herren“ von jüdischen Verbindungen waren extra aus Israel und den USA angereist.

Einer von ihnen erzählte folgende Geschichte: „Eines Tages ist mein Bundesbruder, ein gewisser Oskar Kreisky, zu uns auf die Kneipe gekommen, und hat ein schmales Bürschchen im Schlepptau gehabt. ,Das ist mein Neffe Bruno‘, hat er gesagt, ,schaut ihn euch einmal an.‘ No, der junge Mann hat nicht getrunken, er hat nicht gesungen, ist nur still dagesessen – er ist nie mehr wiedergekommen.“ Und dann fügte der alte Herr noch scherzhaft hinzu : „Was aus dem wohl geworden ist...?“

Dem anwesenden Martin Haidinger, damals noch sehr jung, ließ die Sache keine Ruhe, und er schrieb an den alten Bruno Kreisky einen Brief mit der Frage, ob denn das stimme und ob er jemals Fühlung mit dem Couleurstudententum gehabt habe.

Daraufhin erhielt Haidinger, heute Wissenschaftsredakteur im ORF-Radio, folgenden Brief: „Lieber Herr Haidinger! Einer meiner Onkel, Dr. Otto Kreisky, Rechtsanwalt in Wien, wurde mit seiner Frau aus Wien deportiert und in Auschwitz vergast. Der zweite Onkel war Professor Oskar Kreisky, der nach kurzer Haftzeit in Amerika arbeitete, nach dem Krieg aber zurückgekehrt ist, nicht zuletzt deshalb, weil er hier viele Freunde aus seiner schlagenden liberalen, deutsch-freiheitlichen Studentenverbindung hatte. Es war die ,Budovisia‘, und dies deshalb, weil beide in Budweis in der Mittelschule waren.

„Schon sehr früh Sozialdemokrat“

Ich möchte noch hinzufügen, sie war nicht jüdisch-deutschnational orientiert, viele von denen, die dem Corps angehörten, waren Katholiken und Protestanten. Ich selbst habe – wie Sie richtig annehmen – keiner Studentenverbindung angehört. Ich war schon sehr früh Sozialdemokrat.

Beeindruckt hat mich jedoch die verlässliche Freundschaft, die die Angehörigen dieses Corps verbunden und sich auch in schwerer Zeit bewahrt hat. Wahrscheinlich war das auch mit ein Grund für die Rückkehr meines Onkels aus Amerika. Ich freue mich, Ihnen die Auskunft geben zu können.
Ihr Bruno Kreisky.“

Der SPÖ-Kanzler auf einer Studentenbude – eine reizvolle Vorstellung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2012)

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