Nach dem Krieg: Österreichs kleine Oligarchen

Korruption (1). Illegale Parteispenden sind seit dem Bestehen der Republik fester Bestandteil der „Realverfassung“. Nur wer es besonders naiv anstellte, wurde ertappt. Der Wirbel war dann enorm. Wie einst um Johann Haselgruber.

Das Jahr 1945 – die „Stunde null“. Das Kriegsende brachte nicht nur den befreiten KZ-Häftlingen die Rückkehr ins zivile Leben, auch die Soldaten kehrten nach und nach in ihre Heimat zurück – sofern sie das grausame Schlachten überlebt hatten. Einer davon hieß Johann Haselgruber, war 26 Jahre jung, hatte in Linz das Greißlergeschäft erlernt und schon sehr bald gewittert, woher der Wind wehte. Also hatte er sich – wie viele seiner Altersgenossen – der Hitlerbewegung angeschlossen. Als Soldat bewährte er sich mit seinem Organisationstalent: Er requirierte Metall für die Rüstungswirtschaft.

So wurde aus dem früheren Einzelhandelskaufmann nach 1945 ein Metall- und Schrotthändler in großem Stil, zunächst in der Bundesrepublik Deutschland, im Land der – damals – unbegrenzten Möglichkeiten. Die Ostgeschäfte begannen bald zu laufen, Haselgruber war voll dabei. Bald auch wieder in der Heimat.

Denn 1951 war die Konjunktur in Österreich günstig. Die beiden Großparteien hatten gleich nach Kriegsende begonnen, sich herrenloses Besitztum paritätisch anzueignen. „Brüderlich“ nannte man das in der großen Koalition. Oberster „Aufseher“ über den gigantischen Beutezug von ÖVP und SPÖ war der steirische Jurist Dr. Peter Krauland, Minister für „Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung“. Er war schon vor 1938 eine „große Nummer“ gewesen: Im christlich-sozialen „Ständestaat“ ab 1934 bis 1938 steirischer Finanzlandesrat, dann von den Nazis abgesetzt und zeitweise im Konzentrationslager.

Unter seinen Augen wurde verteilt, was 1938 den jüdischen Besitzern weggenommen worden war und seitdem – weil die Eigentümer entweder ermordet worden waren oder sich im ausländischen Exil befanden – zur Selbstbedienung da lag.

Die Großparteien bedienten sich

Proporz, Parteibuchwirtschaft, verdeckte Parteienfinanzierung, Korruption: Man war mit Krauland durchaus zufrieden. Die Großparteien eigneten sich die wichtigsten Druckereien an, die SPÖ bekam ihren Vorwärts-Verlag samt Druckereigebäude zurück, in Graz die Leykam-Druckerei. Die ÖVP versuchte, sich die Druckerei Waldheim-Eberle unter den Nagel zu reißen, die früher dem jüdischen Ullstein-Verlag gehört hatte. In der zweitgrößten Wiener Druckerei, die von der US-Besatzungsmacht beschlagnahmt worden war, produzierte man den „Wiener Kurier“ und das „Neue Österreich“. Lächerliche 16 Millionen Schilling zahlte man den Vorbesitzern für dieses 70 Millionen schwere Unternehmen. Der Deal ging an ein Proporzgremium, das sich „der Kreis“ nannte. Und in der Strozzigasse ging die Herold-Druckerei wieder in den Besitz der ÖVP über. Vor dem Krieg hatte sie den Christlichsozialen, dann dem Ständestaat gehört.

Zwei Waggons fürs „Dritte Lager“

Und das sogenannte „Dritte Lager“? Was war mit den hunderttausenden ehemaligen NS-Mitgliedern, die sich (zum Teil) im „Verband der Unabhängigen“ (VdU) organisiert hatten? Ein VdU-Parlamentarier sprach ganz forsch beim SPÖ-Innenminister vor: Sollte für seine Partei nichts abfallen, sehe man sich leider gezwungen, eine Ministeranklage gegen Krauland vorzubereiten. Der Innenminister kalmierte: Druckerei habe er zwar keine mehr zu vergeben – aber zwei Waggons Rotationspapier stünden zur Bedienung frei. Dafür jedoch bitte keinerlei Wirbel im Nationalrat!

Das war das Biotop, das nicht nur Haselgruber nützte. Er gründete 1951 in St. Andrä-Wördern ein Eisen- und Stahlwerk, die Zentrale befand sich in Wien. Das blühende Unternehmen beschäftigte bis zu 1400 Arbeitskräfte. Dann brach der Absatz ein, die Krise konnte nur mit Krediten bewältigt werden. Die bekam der Osthändler zunächst anstandslos, schließlich ging es ja auch um Arbeitsplatzsicherung. Als seine Lage immer bedrohlicher wurde, nützte er seine guten Kontakte zur ÖVP, namentlich zu seinem Freund Fritz Polcar, der Landesparteiobmann der Wiener Volkspartei war. Gegen Spenden wurden immer wieder neue Kreditlinien eröffnet, und zwar von der Girozentrale, die es heute nicht mehr gibt.

Medial war die SPÖ immer schon besser

Doch die sozialistische „Arbeiter-Zeitung“ bekam Wind davon – und sie entfachte eine prächtige Medienkampagne, der die VP hilflos gegenüberstand. Sie reagierte genauso, wie kürzlich der ÖVP-Klubobmann Kopf, nämlich „kopflos“. So wie die Partei jetzt am liebsten den Grafen Ali nie gekannt hätte, so distanzierte sie sich damals von Haselgruber, einem ihrer größten „Sponsoren“.

Es nützte wenig. Noch im Jahr 1958 – da war das Werk längst von der Alpine-Montan übernommen – hallte das Echo im Nationalrat nach. Der kommunistische Abgeordnete Ernst Fischer etwa: „Es ist bekannt, dass die Girozentrale dem unersättlichen Haselgruber an die 250 Millionen Schilling zuschanzte, also Kredite, zu denen man nur gelangen kann, wenn man ein ausgewählter Liebling der Volkspartei ist, jener Partei, die den kleinen Leuten immer Sparsamkeit und Genügsamkeit predigt!“

Wie bei Elsner und der Bawag

Waren es zunächst nur 4,9 Millionen, erinnerte es wenig später an die heikle Lage Helmut Elsners im Bawag-Skandal: Wie beim Roulettespiel begann es mit bescheidenen Einsätzen, dann kam eine Verdoppelung, eine Verdreifachung, eine Verzehnfachung, in der verzweifelten Hoffnung, doch noch das verspielte Geld zurückzugewinnen.

Und der Abgeordnete Franz Olah höhnte: „Uns Sozialisten hat man gesagt, man solle doch über diese Sache nicht so viel reden; die Sparer würden misstrauisch werden, die Bevölkerung könnte das Vertrauen in die Sparkassen verlieren! Ja, da wird man auf einmal sehr feinfühlig – wenn man darüber redet, wie die Gelder verwendet worden sind!“

Die Bürgerlichen distanzieren sich

Auch die Industriellenvereinigung wollte zu diesem Zeitpunkt nichts mehr von ihrem einst hofierten Mitglied und Leitartikler wissen. Ihr Verbandsorgan schrieb: „Haselgruber verstand es, maßgebende Personen und Institutionen des öffentlichen Lebens in einem solchen Maß zu korrumpieren, dass schließlich sogar eines der größten Geldinstitute des Landes, ob genötigt oder nicht, ihm seine Kassen öffnete und sich gemeinsam mit ihm in das denkbar riskanteste industrielle Abenteuer stürzte.“

Gegengewicht zur Verstaatlichten?

Ernst Fischer, der messerscharf formulierende KP-Intellektuelle, übertrieb freilich mit seiner Vermutung, die Volkspartei habe Haselgruber deswegen so verhätschelt, weil sie ein Gegengewicht zur übermächtigen sozialistisch dominierten verstaatlichten Stahlindustrie aufbauen wollte. Dazu reichten Haselgrubers Kapazitäten nicht. Für 22,4 Millionen Schilling an Parteispenden reichte es allemal. Welche die Wiener Landespartei in erstaunlicher Naivität auch in ihrer Jahresbilanz für 1955 sauber anführte.

Das Ende ist schnell erzählt. Die Alpine-Montan führte das Werk mit zweihundert Mitarbeitern noch bis 1967, dann kaufte die Gemeinde das Gelände und errichtete dort Wohnungen. Haselgruber, der 1959 wegen fahrlässiger Krida zu acht Monaten Haft verurteilt worden war, versuchte sich danach erneut im Schrotthandel, ohne Erfolg. Im November 1967 beging er Selbstmord.
Nächsten Samstag:
SP-Bauring und VP-Müllner

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.04.2012)

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