An der Lederhose sollt ihr sie erkennen

Lederhose sollt erkennen
Lederhose sollt erkennen(c) APA/BARBARA GINDL (BARBARA GINDL)
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Vor 166 Jahren hat der erste Wiener ein Sommerhaus in Altaussee gebaut. Seither suchen tausende "Wiener-Seer" und "Grazer-Seer" in dem idyllischen Ort im steirischen Salzkammergut einen Lebensstil voll von Lederhosen, Traditionen und Stammtischen. Nicht immer zur Freude der Einheimischen.

Der feine Beobachter erkennt den Unterschied sofort. Man muss gar nicht auf die tiefen Furchen im Gesicht schauen, die Folge der harten Arbeit an der frischen Luft sind. Wiener haben die nicht. Es sind auch nicht die feinen Falten bei den Augen, die davon kommen, dass die Einheimischen im Sommer immer die Augen zusammendrücken gegen die Sonne. Die Wiener tragen Sonnenbrillen. Nein, den Unterschied zwischen einem Wiener und einem Altausseer sieht man an der Lederhose.

„Des“, sagt Stefan, und zeigt über die Straße, „is a Wiener. Und des a.“ Die Lederhose, in der vermeintlich ein Wiener steckt, ist dunkelbraun ohne einen einzigen Fleck. Sie ist nicht abgewetzt, nicht faltig, noch nie hat jemand einen vom Grillhendl fettigen Finger an dieser Lederhose abgewischt und auch auf der Hinterseite hat kein stundenlanges Sitzen auf einer dreckigen Bierzeltbank Spuren hinterlassen. Die Lederhose schaut sauber und wenig benutzt aus, und genau deshalb muss sie einem Wiener gehören. Die Lederhose eines Einheimischen ist abgewetzt und speckig vom vielen Tragen.

Die Tracht ist hier in Altaussee keine Verkleidung. Sie ist auch kein Zugeständnis an den Tourismus, wie auf manchen Almhütten im Tiroler Zillertal, wo man außerhalb der Hochsaison Jeans trägt. Wenn ein Ausseer in der Früh die Lederhose anzieht, dann ist das, wie wenn in Wien einer zur schwarze Stoffhose greift. Es ist ein ganz normales Kleidungsstück. Und deswegen ziehen eben auch die eine Lederhose an, die sie normalerweise das ganze Jahr nicht anziehen, weil es hierhergehört. Und an der Hose erkennt man, dass es keine echten Ausseer sind.

Erster Zweitwohnsitz 1847.
Es ist ein sehr zwiespältiges Verhältnis, das man in Altaussee zu den Zweitwohnsitzern mit ihren sauberen Lederhosen hat, das zurückreicht bis 1847, als der Offizier und Schriftsteller Joseph Christian Freiherr von Zedlitz als erster Gast ein Sommerhaus am Altausseer See gebaut hat. Der kleine Ort im steirischen Salzkammergut mit seinen knapp 1800 Einwohnern ist die Realität gewordene Vorstellung einer österreichischen Postkartenidylle. Eingebettet in dunkelgrüne Wälder und saftig grüne Wiesen, mit einem grünblauen Altausseer See, der so erfrischend ist wie ein Herbstmorgen, und einem Bergmassiv aus Loser, Trisselwand und Sandling.

Es gibt einsame Spazierwege und steile Bergtouren, frühmorgens kann man die Dusche gegen einen Sprung in den See tauschen und abends liegt man in der Wiese und verliert sich im Sonnenuntergang. Dazu kommen die immateriellen Werte eines Ortes, der viele Jahrhunderte von der Außenwelt abgeschnitten war. Das hat Menschen von einem sehr eigenen Schlag hervorgebracht, die ihre Traditionen unverdorben leben und auch heute noch ungekünstelt natürlich sind. Es gibt Stammtische, wie sie sich der Städter in der Anonymität der Millionenstadt erträumt, an denen die wichtigste Sorge das Wetter von morgen ist, und nicht die Politik oder das Geschäft oder der letzte Empfang. Und das alles wird einem keine drei Autostunden von Wien entfernt geboten (Niki Lauda soll schon damit angegeben haben, es in zwei Stunden 15 Minuten nach Altaussee geschafft zu haben).


Ort der Künstler. Es ist also nur natürlich, dass es die Städter in den Ort zieht, in dem sie einen Lebensstil suchen, den sie gern führen würden, es aber nicht können, weil die Karriere drängt und der neue BMW lockt und die Kredite bezahlt werden müssen für das schön traditionelle Ausseer-Haus mit Herrgottswinkel im Wohnzimmer und Swimmingpool im Keller. Zuerst war es der Adel, der ab Mitte des 19. Jahrhunderts dem Kaiser in Bad Ischl nahe sein wollte. Später kamen die Künstler, Schriftsteller wie Hugo von Hofmannsthal und Arthur Schnitzler, auch Richard Beer-Hofmann, Leopold Andrian und Theodor Herzl machten sich den Kopf im Naturidyll frei.

Heute sind es wohlhabende Geschäftsleute, Politiker, Diplomaten, jene, die sich als Wiener Gesellschaft verstehen. Die Zweitwohnbesitzer machen mehr als ein Drittel der Einwohner aus: Von 1100 Häusern, die in Altaussee stehen, sind etwa 400 reine Zweitwohnsitze. Auch wenn die Wiener und Grazer dem Ort Wohlstand gebracht haben und dafür sorgen, dass in Bad Aussee 15 Hut-, Lederhosen-, Dirndl- oder auch Messermacher finanziell überleben können, werden sie von den Einheimischen „Wiener-Seer“ oder „Grazer-Seer“ genannt. Man gesteht ihnen nur den See zu, aber nicht das „Altaus“.

Geradezu zelebriert wird der Unterschied zwischen den Wiener-Seern und den Altausseern beim traditionellen Kiritag, dem Altausseer Bierzelt, das die Freiwillige Feuerwehr jedes Jahr veranstaltet. Das Bierfest findet immer am letzten Augustwochenende statt und dauert untypischerweise von Samstag bis Montag. Seit vielen Jahren sieht man am Samstag im Zelt nur schöne und saubere Lederhosen, am Montag dagegen die alten und abgewetzten. Am Montag fängt nämlich in Wien die Schule wieder an, die Sommerfrischler aus dem Osten sind also wieder daheim, Altaussee – und damit das Bierzelt – gehört wieder ganz den Einheimischen. Und deswegen sind am Samstag die sauberen Lederhosen dort und am Montag die abgewetzten.


Die „Dosigen“. „Man muss wahrscheinlich 1000 Jahre hier leben, um als echter Einheimischer zu gelten.“ Der, der das sagt, urlaubt seit 1942 hier; trug schon als kleines Kind eine Lederhose; hat sich um die Gegend verdient gemacht, indem er bedrohte Industrieanlagen aufkaufte und trägt sogar den Ehrenring der Gemeinde Altaussee. „Einer“, erzählt Hannes Androsch, „hat zu mir gesagt: Jetzt bist a schon a halber Altausseer. Das war eine Auszeichnung.“ Gesagt hat er das erst vor einigen Jahren, als der ehemalige Vizekanzler schon seinen ungefähr 70. Sommer in der Ortschaft verbrachte.

Wie strikt man hier ist mit dem Kriterium, wer als „Dosiger“ gilt, musste auch schon Klaus Maria Brandauer erleben, der weit gereiste Schauspieler. Über den wohl berühmtesten Altausseer erzählt man sich folgende Geschichte: An einem Samstagvormittag kam Brandauer ins Gasthaus und wollte sich zum Stammtisch setzen, wo noch ein kleines Platzerl frei war. „Kann i mi zuwisetzen?“, soll Brandauer höflich gefragt haben. „Der Platz is nur für Dosige“, kam die kühle Antwort. „Aber“, sagte der Schauspieler etwas irritiert, „ich bin ja a Dosiger.“ „Ja, schon“, meinte man am Stammtisch, „aber nicht oft g'nug.“


Stammtisch als Ritterschlag. „Das dauert, bis man hineinkommt und akzeptiert wird“, sagt Thomas Fuhrmann. Der Wiener sitzt beim Schneiderwirt in Altaussee am Stammtisch beim Frühschoppen mit den Einheimischen. Fuhrmann war in den 1990er-Jahren Pressesprecher des damaligen SPÖ-Wissenschaftsministers Rudolf Scholten, davor und danach war er ORF-Redakteur. Viel wienerischer geht es nicht mehr, inklusive Wohnung im ersten Wiener Gemeindebezirk.

Seit drei Jahren wohnt Fuhrmann ganzjährig in Altaussee, weil es einfach viel schöner sei als in Wien. Obwohl er viele Jahre immer wieder im Sommer Urlaub in dem Ort machte und die Menschen kannte, saß er am Anfang nur am Nebentisch. „Man muss eingeladen werden zum Stammtisch.“

Und diese Einladung muss man sich verdienen. Fuhrmann half beim Altausseer Bierzelt mit; im Winter, wenn wirklich nur noch die Hartgesottenen die trüben, kalten Monate überstehen, stand er mit den Einheimischen beim Eisstockschießen auf dem Altausseer See; im Sommer pendelte er mit ihnen eine Holztaube auf eine Zielscheibe (eine weltweit einzigartige Form des Taubenschießens), und irgendwann kam dann der Ritterschlag: „Setz di her da zum Stammtisch.“

Es sind kleine Rituale und kleine Besonderheiten, die man beachten muss. Bei der Tracht etwa, da dürfe man „nicht zu übertrachtig sein“, erklärt Androsch. Das sind die, „die so tun als ob. Das merkt man und das ist peinlich.“ Wenn einer aufgedonnert daherkomme wie aus einem Katalog, dann hat er schon verloren. Androsch hat drei Lederhosen, eine ist älter als er selbst (der ehemalige SPÖ-Politiker wird heuer 75), für jeden Anlass eine.

Auch im Lokal muss man aufpassen, wenn man es zum Stammtisch geschafft hat und vielleicht einmal eine Runde bezahlt. „Das darf nicht mehr sein, als sich jeder andere am Stammtisch auch leisten könnte.“ Denn wenn die Ausseer etwas überhaupt nicht mögen, dann ist das Protzerei und Angeberei. Wahrscheinlich, weil sie es so oft erleben.

An den Stammtischen im steirischen Salzkammergut zählt auch nicht, was man hat oder wer man ist. Die Prioritäten sind hier ganz andere, das hat auch Hannes Androsch schon erlebt, als er einmal beim Nachbarn vorbeischauen wollte auf einen kurzen Besuch. Wir sprechen hier vom ehemaligen Vizekanzler der Republik und einem angesehenen, bekannten Geschäftsmann. „Der Großvater hat gleich gesagt, er hat jetzt keine Zeit für mich. Er muss nämlich zur Musikprobe.“


Wohnen wie im Katalog. Wenn man von Bad Aussee kommend vor der Kirche links abbiegt und hinauf auf den Hügel fährt mit Blick auf den See, kommt man sich vor wie in einem Schöner-Wohnen-Magazin. Die Häuser, die hier auf großzügigen Grundstücken stehen, würden auch für drei Familien reichen. Dabei wohnen meist nur zwei Menschen drinnen, und das vielleicht zwei Wochen im Sommer und eine Woche zu Weihnachten.

„Die, die ein Grundstück haben, und die Baufirmen, die mögen die Zweitwohnsitzer sehr“, sagt ein Altausseer, der „lieber nit“ mit Namen in der Zeitung stehen will, weil er auch folgenden Witz erzählt: „Was ist das liebste Autokennzeichen eines Ausseers? Ein M – ein Auto aus Wien, das auf dem Dach liegt.“

Der Mann sucht vielleicht ein Haus, das könnte seinen bösen Humor erklären. Denn die Zweitwohnsitzer sind dafür verantwortlich, dass die Preise für Grundstücke und Wohnungen in Altaussee für Einheimische langsam unerschwingliche Höhen erreichen. „In Bad Aussee bekommen Sie einen Quadratmeter Baugrund für 80 bis 170 Euro“, erzählt Alexander Kubon, Makler bei der Firma „Ausseer Immobilienmakler“. „In Altaussee sind es 150 bis 400, 500 Euro.“

Und das sind die Grundstücke, die man den Maklern gibt. „Die mit Blick auf den Altausseer See und den Dachstein werden untereinander gehandelt. Die bekommt man nur, wenn man jemanden kennt“, sagt Ernst Kammerer, der den Tourismusverband leitet. Manchmal nicht einmal dann: Die Gössler Bauern haben sich geschworen, ihre Grundstücke nur an Einheimische zu verkaufen. Bisher hat man das durchgehalten, obwohl man weitaus niedrigere Preise bekommt.

Für ein einfaches Einfamilienhaus mit 220 Quadratmetern Wohnfäche, ohne Blick auf See und Dachstein, verlangt Makler Kubon 425.000 Euro. Eine Wohnung in Altaussee mit 63 Quadratmetern wird um 800 Euro Nettomiete angeboten – ohne Betriebskosten und Mehrwertsteuer. Und man muss dankbar sein, wenn man sie bekommt: „Viel ist nicht auf dem Markt“, sagt Kubon. Das hat dazu geführt, dass in den vergangenen fünf Jahren die Immobilienpreise in Altaussee um 40 Prozent gestiegen sind.

„Für Einheimische wird das immer mehr zu einem Problem“, sagt Herbert Pichler, Bürgermeister von Altaussee. Der Zimmerer und ÖVP-Politiker hat im April 2010 eine kleine Revolution geschafft, als er bei der Gemeinderatswahl nach 60 Jahren die SPÖ aus dem Bürgermeistersessel kippte. Doch auch als Konservativer kommt er an bestimmten staatlichen Eingriffen nicht vorbei: „Wir als Gemeinde müssen dafür sorgen, dass die Einheimischen es sich noch leisten können, hier zu wohnen.“ Und das bedeutet unter anderem, dass man Grundstücke nur dann in Bauland umwidmet, wenn sich der Antragsteller auf einen Deal einlässt: „Er muss der Gemeinde einen Teil zu einem günstigeren Preis verkaufen. Wir geben das Grundstück dann an Einheimische weiter, die hier bauen wollen.“ Sogar sozialer Wohnbau ist notwendig: Sechs günstige Wohnungen hat man bereits nach strengen Kriterien an einheimische Familien vergeben, sechs weitere sind in Bau.

Doch auch damit kann man ein anderes Problem nicht lösen: Es gibt immer weniger Junge, die sich überhaupt ansiedeln wollen. Arbeitsplätze sind rar und die Arbeit, die es im Überfluss gibt – im Tourismus beispielsweise und im Pflegebereich –, will nicht jeder machen. Die Jungen ziehen also weg, zurück bleiben die Alten.

Deshalb fehlen auch die Schüler, etwa für die Handelsakademie in Bad Aussee, die jetzt zugesperrt wird. Auch das Landesschülerheim, das bisher mit günstigen Unterkünften sichergestellt hat, dass Kinder von auswärts in den Ort kamen, wird mit dem heurigen Schuljahr geschlossen.

„Das ist ein Teufelskreislauf“, meint Kammerer. „Es sind weniger Kinder da, also schließt wieder eine Schule.“ Irgendwann werden die Zweitwohnsitzer die Mehrheit ausmachen, mit allen Nebeneffekten. „Die Ortschaften veröden, weil die Häuser die meiste Zeit im Jahr leer stehen.“ Das ist auch einer der Gründe, warum es in Bad Aussee keine Spitzengastronomie mehr gibt.


Chauffeur Wallner.
Christian Raich sitzt in seiner Werkstatt in Bad Aussee und näht mit einem grünen Faden eine dicke Naht an einer Lederhose. Raich ist einer der Letzten in Österreich, die Lederhosen noch von Hand machen. Wer im Ausseerland etwas auf sich hält, und das tun die meisten, kauft seine Lederhose bei ihm und akzeptiert dafür auch Wartezeiten von ein, zwei Jahren. Bevorzugungen gibt es keine, nicht für die Reichen, nicht für die Berühmten und die Großkopferten aus Wien kennt man ohnehin nicht.

Es gibt eine schöne Geschichte dazu: Hannes Androsch kam einst mit dem damaligen Casinos-Austria-Chef Leo Wallner, der am Steuer saß, zu Raichs Großvater zum Maßnehmen. Ein paar Monate später kam Wallner wieder vorbei, um nachzufragen, ob die Lederhose schon fertig sei. „Sie erinnern sich vielleicht noch an mich“, hob der Casino-Chef an. „Sicher“, kam die Antwort von Raich. „Sie san der Chauffeur vom Androsch.“

Wer also ist besser geeignet für ein Urteil über die Wiener, die Grazer, die Deutschen und die vielen anderen Zweitwohnsitzer hier in Altaussee als deren Lederhosenmacher? Raich schaut kurz von seinem grünen Faden auf, überlegt gar nicht lange, und macht mit einem Satz klar, wie das wirklich ist mit den Wiener-Seern und den Altausseern: „Es is völlig egal, ob aner a Wiener is oder a Dosiger. A Mensch is a Mensch, und a Unguater is a Unguater.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2013)

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