VwGH erweitert den Grundrechtsschutz

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Verwaltungsgerichtshof eröffnet Beschwerdeführern die Berufung auf die EU-Grundrechtecharta. Steuergesetze könnten mitunter leichter ausgehebelt werden.

Wien/Kom. Der Verwaltungsgerichtshof betätigt sich ab sofort als ein weiterer Hüter der Grundrechte neben dem Verfassungsgerichtshof. In Anwendung der EU-Grundrechtecharta leistet der Gerichtshof erstmals der Beschwerde eines Steuerpflichtigen Folge, die nach der bisherigen Judikatur praktisch aussichtslos gewesen wäre. „Durch das Unionsrecht ist jedes Gericht eines Mitgliedstaats der EU, also auch der Verwaltungsgerichtshof, verpflichtet, uneingeschränkt die Wahrung der unionsrechtlichen Grundrechte, insbesondere der Grundrechte der Grundrechtecharta, sicherzustellen“, so der Gerichtshof wörtlich (2010/15/0196). Einzige Voraussetzung ist, dass das Gericht eine EU-rechtliche Materie behandelt.

Die bahnbrechende Entscheidung erging in einem harmlos wirkenden Streit um eine mündliche Verhandlung vor dem Unabhängigen Finanzsenat (UFS). Der Beschwerdeführer – es ging um den Vorsteuerabzug für ein Cabrio – war zur beantragten Verhandlung nicht korrekt geladen worden. Um wegen dieses Fehlers eine Aufhebung des Bescheids durch den VwGH zu erwirken, hätte er bisher nachweisen müssen, dass die Abhaltung der Verhandlung zu einem anderen Ergebnis geführt hätte. Das ist praktisch unmöglich.

Recht auf mündliche Verhandlung

Die Grundrechtecharta sichert das Recht auf eine öffentliche Verhandlung aber ohne Rücksicht auf einen hypothetischen Verfahrensausgang in EU-rechtlich geprägten Angelegenheiten wie dem Umsatzsteuerrecht. Zumindest derjenige, der eine mündliche Verhandlung beantragt, hat ein Recht darauf; nur aus bestimmten Gründen darf davon abgesehen werden.

Die Tragweite der Entscheidung ist unabsehbar: Wer sich in irgendeinem Fall mit Bezug zum EU-Recht beispielsweise im EU-Gleichheitssatz verletzt sieht, kann dies in Verwaltungssachen etwa vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat, dem UFS, in letzter Instanz dem VwGH geltend machen (in Straf- und Zivilsachen vor den ordentlichen Gerichten, letztlich dem OGH). Einschränkungen des Gleichheitssatzes durch österreichisches Verfassungsrecht wären unwirksam. Daneben bleibt selbstverständlich der Grundrechtsschutz durch den VfGH aufrecht.

Im Vergleich zu ihm kann in besonderen Konstellationen der Weg über den VwGH vorteilhaft sein. Ginge es darum, eine Privilegierung im Steuerrecht mit EU-Bezug zu bekämpfen, würde ein benachteiligter Beschwerdeführer aus verfahrensrechtlichen Gründen abblitzen. Denn die begünstigende Bestimmung ist auf ihn nicht anwendbar, somit nicht präjudiziell. 2012 ist eine Offensive gegen die Landwirtepauschalierung aus diesem Grund gescheitert.

Der VwGH wäre nach EuGH-Rechtsprechung verpflichtet, den Benachteiligten die Begünstigung zuzusprechen und so die Grundrechtswidrigkeit zu beseitigen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2013)

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