VfGH-Bedenken gegen halbes Stimmrecht von Konzipienten

VfGH-Vizepräsidentin Brigitte Bierlein führte den Vorsitz
VfGH-Vizepräsidentin Brigitte Bierlein führte den VorsitzFabian Hainzl
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Der Verfassungsgerichtshof prüft eine Bestimmung der Rechtsanwaltsordnung und Regelungen der Anwaltskammer Wien über die Beiträge von Rechtsanwaltsanwärtern zur Altersvorsorge.

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) sorgt sich um die demokratischen Rechte der Rechtsanwaltsanwärter in den Anwaltskammern. Die Berufsanwärter haben (nach § 24 Abs 3 der Rechtsanwaltsordnung) nur ein halbes Stimmrecht: Zwei Stimmen von Konzipienten zählen also so viel wie eine eines eingetragenen Anwalts. Läge eine sachliche Rechtfertigung vor, hätte der VfGH dagegen gar nichts einzuwenden. „Die für alle Entscheidungsgegenstände geltende Stimmgewichtung in § 24 Abs. 3 letzter Satz RAO scheint jedoch gegen diese verfassungsrechtlichen Anforderungen zu verstoßen, weil die dem demokratischen Prinzip innewohnende grundsätzliche Gleichheit der Stimme generell durchbrochen wird, ohne dass hierfür ein entsprechend sachlicher Grund bestehen dürfte“, heißt es in einem Beschluss des Gerichtshofs (B 1021/11 und andere). Das Höchstgericht prüft nun nicht nur das Gesetz, sondern auch Verordnungen der Rechtsanwaltskammer Wien, die auf dessen Basis erlassen wurden.

Heiß und hitzig im Leopold Museum

Das Verfahren vor dem VfGH geht auf eine denkwürdige Plenarversammlung der Rechtsanwaltskammer Wien am Abend des 29. April 2010 zurück. Denkwürdig nicht deshalb, weil sie entgegen der langjährigen Übung statt im Hotel Marriott im Leopold Museum stattfand – sondern deshalb, weil erstmals Rechtsanwaltsanwärter als (halb) stimmberechtigte Mitglieder dabei waren. Es war heiß und ging hitzig zu, die Abstimmung verlief zum Teil chaotisch. Als über die Einbindung der Konzipienten in die kammereigene Alterversorgung abgestimmt wurde, lag auch ein Abänderungsantrag einiger Rechtsanwaltsanwärter vor. Diese wollten erreichen, dass die Beiträge zur Versorgungseinrichtung der Kammer (damals 234 Euro monatlich) jeweils zur Hälfte vom Ausbildungsanwalt und vom Anwaltsanwärter getragen werden.

Protest gegen Auszählung

Nach einer langwierigen Auszählung verkündete Präsident Michael Auer das Ergebnis: Der Antrag, wonach die Berufsanwärter allein zahlen müssten, sei angenommen, der Zusatzantrag der Konzipienten jedoch abgelehnt worden. Der Protest ließ nicht lang auf sich warten: „Rechtsanwaltsanwärter Dr. Sebastian Schumacher meint, dass nach seinem Verständnis PRO abgestimmt wurde“, heißt es im Protokoll der Plenarversammlung.

Dieser Dr. Schumacher, mittlerweile eingetragener Anwalt (und Ö1-Hörern als „Help-Rechtskonsulent“ bekannt), hat dann zusammen mit einem Kollegen den VfGH angerufen, und zwar mittels Beschwerden gegen die Vorschreibung der Beiträge zur Versorgungseinrichtung. „Es geht mir nicht um die 700 Euro (für ein Quartal, Anm.), sondern darum, dass der Abänderungsantrag ernst genommen wird“, sagt Schumacher zur „Presse“. Der VfGH bezweifelt, dass gerade in einem Bereich, der so unmittelbar die Berufsanwärter betrifft, das halbierte Stimmrecht gerechtfertigt ist: „Nach der vorläufigen Auffassung des Verfassungsgerichtshofes scheint gerade bei den die Rechtsanwaltsanwärter betreffenden Regelungen der Umlagenordnung und der Beitragsordnung eine die Stimmgewichtung der Rechtsanwälte gegenüber jener der Rechtsanwaltsanwärter bevorzugende Regelung sachlich nicht gerechtfertigt zu sein.“

„Beschwerdeführer dürften im Recht sein"

Ähnliche Bedenken hegt der Gerichtshof gegen die Ermittlung des umstrittenen Ergebnisses der Abstimmung. Um zu ermitteln, ab wie vielen Stimmen eine Mehrheit erreicht war, hat die Kammer zu den abgegebenen Stimmen der Anwälte die ungewichteten Stimmen der Anwaltsanwärter hinzugerechnet; das führte aber dazu, dass sich die Pro-Stimmen der Rechtsanwaltsanwärter (RAA) zwangläufig neutralisierten, wie Schuhmacher vorrechnet. „Jeder mit 50% gewichteten und also nur als halbe Stimme zählende Pro-Stimme eines RAA steht der zu 100% gewichtete Kopf des nämlichen RAA als Mitglied gegenüber, dessen nicht stimmberechtigter 50%-Anteil nicht als zustimmende, sondern offenbar als ablehnende Stimme gewertet wird.“ Die Höchstrichter unter Vorsitz von Vizepräsidentin Brigitte Bierlein folgten Schumachers Argumentation: „Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass die Beschwerdeführer mit ihrer Ansicht, der Abänderungsantrag sei angenommen worden, im Recht sein dürften.“

Einladung über Intranet - aber ohne Zugang

Der Gerichtshof bemängelt nicht nur diese inhaltliche Rechtswidrigkeit, sondern auch, dass „die Umlagenordnung und die Beitragsordnung auf Grund von Verstößen gegen Organisations- und Verfahrensvorschriften gesetzwidrig zustande gekommen“ sein dürften. So erfolgte die Einladung zur Plenarversammlung via Intranet, zu dem die Rechtsanwaltsanwärter noch gar keinen Zugang hatten. Außerdem lief die Stimmabgabe an, bevor noch der Abstimmungsgegenstand überhaupt für alle erkennbar feststand.

Schumacher und sein Kollege haben gute Chancen, die angefochtenen Vorschreibungen nicht begleichen zu müssen. Nicht angefochtene Bescheide bleiben hingegen wohl jedenfalls rechtskräftig. Bestätigen sich die Bedenken des VfGH gegen die Rechtsanwaltordnung im nun eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren, so muss die Regelung über das Stimmrecht geändert werden. Und dementsprechend über die künftige Umlagenordnung abgestimmt werden.

Zum VfGH-Beschluss im Wortlaut

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