Zehn Jahre danach: Der Österreich-Konvent trägt späte Früchte

30. Juni 2003, Bundesratssaal: Rechnungshof-Präsident Franz Fiedler bei der feierlichen Eröffnung des – zunächst erfolglosen – Österreich-Konvents.
30. Juni 2003, Bundesratssaal: Rechnungshof-Präsident Franz Fiedler bei der feierlichen Eröffnung des – zunächst erfolglosen – Österreich-Konvents.(c) FABRY Clemens
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Die geplanten neuen Verwaltungsgerichte gehen auf Vorarbeiten des 2003 einberufenen Österreich-Konvents zurück. Auch Verfassungsbereinigung und neues Haushaltsrecht folgten Vorschlägen von damals.

Bregenz. Am 30. Juni 2003 startete der so bezeichnete Österreich-Konvent mit seiner ersten Sitzung das wohl ambitionierteste Reformprojekt der Zweiten Republik. Das 71-köpfige Gremium hatte keine geringere Aufgabe, als, wie es im Gründungsauftrag wörtlich lautete, „Vorschläge für eine grundlegende Staats- und Verfassungsreform auszuarbeiten, die auch Voraussetzungen für eine effizientere Verwaltung schaffen soll. Die künftige Verfassung soll eine zukunftsorientierte, kostengünstige, transparente und bürgernahe Erfüllung der Staatsaufgaben ermöglichen.“

Auffallend ist die Betonung des Gründungsauftrags, dass die neue Verfassung eine effiziente und kostengünstige Staatstätigkeit ermöglichen sollte.

Die Aufbruchsstimmung unter den Mitgliedern des Konvents, dem Vertreter der Bundesregierung, des Parlaments, der Höchstgerichte, der Länder und Gemeinden, der Kammern und nicht zuletzt neun „handverlesene“ Experten angehören, war groß. Ihr entsprach eine ebensolche mediale Erwartungshaltung. Im Anschluss an die erste Sitzung nahmen die insgesamt zehn Ausschüsse, die sich mit Themen wie Staatsaufgaben (1), Verfassungsbereinigung (2), Kompetenzverteilung (5) und Finanzen (10) befassten, unverzüglich ihre Arbeit auf.

Als der Konvent gut eineinhalb Jahre später, im Jänner 2005, seine Tätigkeit beendete, ohne einen Konsens in den zentralen Punkten erzielt zu haben, hatte sich schon längst Katzenjammer verbreitet. Jene, die schon immer gewusst hatten, dass dem Konvent der viel beschworene „große Wurf“ nicht gelingen würde, beklagten Reformunfähigkeit und eine aus ihrer Sicht falsche Zusammensetzung des Konvents. Gegenseitige Schuldzuweisungen dominierten sein Ende.

Heute kann die Bilanz des Österreich-Konvents aus der Distanz betrachtet werden. Ist der Konvent wirklich, wie es zumindest in den Medien überwiegend kolportiert wurde, gescheitert? Die Antwort lautet wie so oft: Es hängt vom Standpunkt ab.

Konflikte um Föderalismus

Der Konvent konnte dem Parlament tatsächlich keine neue Bundesverfassung vorlegen. Maßgeblich waren zwei wesentliche Konfliktlinien: Der Föderalismuskonflikt, der nicht nur Bund und Länder trennte, sondern teilweise auch die Parteien, insbesondere die ÖVP, spaltete, und der Konflikt um soziale Grundrechte, der sich im Wesentlichen entlang der Linie Regierungsparteien (ÖVP und FPÖ) und Opposition (SPÖ und Grüne) abspielte.

Der Entwurf, den der Vorsitzende, der ehemalige Präsident des Rechnungshofes Franz Fiedler, der Öffentlichkeit im Jänner 2005 vorlegte, verfolgte eine eigenwillige Linie: Der Bundesrat wäre ohne wirkliche Stärkung in seiner bisherigen Form bestehen geblieben, das Gesundheits- und Bildungswesen wären vollständig zentralisiert worden. Von einem Kompromiss im Föderalismuskonflikt war der Entwurf meilenweit entfernt.

Debatte um soziale Grundrechte

Zu den Grundrechten lieferte der Fiedler-Entwurf eine Diskussionsgrundlage, die auch soziale Grundrechte enthielt, auch wenn er weder die eine noch die andere Seite zufriedenstellte.

Der Föderalismuskonflikt sowie jener um die Grundrechte wurden auch von den nachfolgenden Bundesregierungen (seit 2006 wird Österreich wieder von Koalitionen aus SPÖ und ÖVP regiert) nicht gelöst. Eine von der Bundesregierung eingesetzte Expertengruppe legte im Jahre 2008 einen Entwurf einer neuen Kompetenzverteilung vor. Zu einer intensiveren Debatte kam es schon deshalb nicht, weil die Legislaturperiode 2008 vorzeitig beendet wurde und die nachfolgende, gegenwärtige Bundesregierung wenig Interesse zeigte, das spröde Thema wieder aufzugreifen.

Was die Modernisierung des Grundrechtekataloges betrifft, so zeigten sich die Bundesregierungen an diesem Projekt bemerkenswert uninteressiert. Ein Grund dafür mochte sein, dass der Vertrag von Lissabon 2009 mit seiner Grundrechtecharta, die genau solche Garantien enthielt, um die in Österreich jahrzehntelang vergeblich gerungen worden war, das Thema nationale Grundrechtsgarantien zunehmend obsolet machte.

Was blieb also vom Österreich-Konvent? Eine nähere Betrachtung ergibt ein weitaus positiveres Bild als die Konflikte an der Oberfläche vermuten lassen:

•Bereits 2008 erfolgte eine Bereinigung der Bundesverfassung von überflüssigem Verfassungsrecht, wie dies im Konvent vorgeschlagen worden war. Seither bedarf auch nicht mehr jede Weisungsfreistellung eines Verwaltungsorgans einer Verfassungsbestimmung. Änderungen von Bundes- und Landesgrenzen bedürfen keiner Verfassungsgesetze des Bundes und der Länder mehr.

•Praktisch zeitgleich wurden mit einer weiteren Novelle 2008 die verfassungsrechtlichen Grundlagen für das neue Haushaltsrecht des Bundes geschaffen. Dieses Modell, das vom Finanzministerium in den Konvent eingebracht worden war, wird nun auch nach und nach von den Ländern übernommen.

•2011 wurden neue bundesverfassungsrechtliche Grundlagen für Gemeindekooperationen geschaffen. Auch diese Bestimmungen waren Resultat der Beratungen des Konvents. Gemeindeverbänden können nunmehr auch ganze Aufgabenbündel übertragen werden.

•Der wohl größte Erfolg gelang mit der Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle 2012. Das sogenannte 9+2-Modell der Verwaltungsgerichte (neun Landesverwaltungsgerichte, ein Bundesverwaltungsgericht und ein Bundesfinanzgericht, die insgesamt 120 Sonderbehörden des Bundes und der Länder ersetzen) war im Konvent entworfen worden. Am 1. Jänner 2014 wird diese bedeutsamste Änderung der österreichischen Verwaltungsorganisation seit 1920 in Kraft treten. Im Zuge dieser Novelle gelang es auch, einige andere Konsense aus dem Konvent umzusetzen: So wurde etwa das schon lange überflüssige Einspruchsrecht der Bundesregierung gegenüber Gesetzesbeschlüssen der Landtage abgeschafft.

•Auch die Gesetzesbeschwerde, mit welcher es nun auch den Parteien eines Verfahrens vor den Gerichten möglich sein wird, Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, und die vor wenigen Tagen im Parlament beschlossen wurde, war Gegenstand der Beratungen des Konvents gewesen.

Teilreformen, kein großer Wurf

Der Österreich-Konvent hat, auch wenn er den „großen Wurf“ nicht realisierte, wichtige Grundlagen für einzelne Reformen geliefert. Sie bieten auch Potenziale für Einsparungen, wie etwa das Haushaltsrecht oder die Gemeindekooperationen. Spätestens seit der Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle 2012 wäre es jedenfalls falsch, zu behaupten, dass der Konvent gescheitert sei.

Der Konvent konnte freilich nicht alle Verfassungsfragen klären: Über die Sinnhaftigkeit der Verankerung von Tierschutz, Wasser und Forschung als bloße Staatsziele in der Verfassung, welche jüngst im Parlament beschlossen wurde, wurden schon unter den Experten im Konvent hitzige Debatten geführt. Die Befürworter solcher Staatsziele propagierten eine „Werteverfassung“, ihre Gegner eine „Spielregelverfassung“. Der Verfassungsgesetzgeber hat sich in den Jahren seither immer wieder für erstere Variante entschieden, ungeachtet aller Kritik an dieser so bezeichneten „Verfassungslyrik“.

Univ.-Doz. Dr. Peter Bußjäger ist Direktor des Vorarlberger Landtages und Direktor des Instituts für Föderalismus.

Auf einen Blick

Der Österreich-Konvent wurde am 30. Juni 2003 unter Schwarz-Blau einberufen. Unter dem Vorsitz des damaligen Rechnungshof-Präsidenten Franz Fiedler sollten 71 Vertreter des Parlaments, der Höchstgerichte, der Länder und Gemeinden, der Kammern und Experten Vorschläge für eine grundlegende Staats- und Verfassungsreform ausarbeiten. Im Jänner 2005 endete der Konvent ohne Konsens in den zentralen Punkten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2013)

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