Griss: "Verstehe, warum sich die Leute beschweren"

(c) Clemens Fabry
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Vier Monate nach Beginn des Pilotprojekts "Schlichtung für Verbrauchergeschäfte" zieht deren Leiterin, Ex-OGH-Präsidentin Griss, erste Zwischenbilanz: Die Einrichtung sei sinnvoll, Querulanten blieben aus.

Wien. Kaputte Waschmaschinen, Handys mit echten oder angeblichen Feuchtigkeitsschäden, Fremdwährungskredite, die sich während ihrer langen Laufzeit als doch nicht so günstig erweisen wie anfangs angenommen: Solche Fälle beschäftigen Konsumenten tagtäglich, doch diese wissen sich oft nicht zu helfen. Steht es dafür, wegen eines kaputten Handys zu klagen, hat man schon allein wegen der Sorge, dass der Kredit am Ende das private Budget sprengt, irgendeine Chance vor Gericht? In dieser Situation kann und soll eine neue Stelle helfen: Die „Schlichtung für Verbrauchergeschäfte“. Knapp vier Monate nach Beginn des Testbetriebs zieht deren Leiterin, die ehemalige OGH-Präsidentin Irmgard Griss, im Gespräch mit der „Presse“ eine erste und positive Zwischenbilanz: „Es macht Sinn, so eine Einrichtung zu haben, und ich habe das Gefühl, dass man zwar nicht in allen, aber doch in einigen Fällen etwas bewirken kann.“

Es ist eine der vielen Neuerungen auf dem Gebiet des Konsumentenschutzes, die von der Europäischen Union vorgegeben werden, und – auf diesem Gebiet ebenfalls kein Einzelfall – Österreich gibt den Musterschüler: Lange vor der verpflichtenden Einführung im Jahr 2015 hat das Sozialministerium Mitte Mai das Pilotprojekt einer unabhängigen Schlichtungsstelle für Streitigkeiten zwischen Konsumenten und Unternehmen gestartet. Der von manchen befürchtete Ansturm von Querulanten, die gerne alle Beschwerdemöglichkeiten ausreizen, ist bisher ausgeblieben: „Nach den bisherigen Erfahrungen haben wir nicht das Problem, dass Leute aus Jux und Tollerei Beschwerden einbringen“, sagt Griss. „Die weit überwiegende Zahl der Beschwerden ist nachvollziehbar.“ Ob alles, was vorgebracht werde, stimme, sei eine andere Frage, aber: „Man versteht, warum sich die Leute beschweren.“

Wer kann die neue Stelle anrufen?

Die Schlichtungsstelle befasst sich mit Verbrauchergeschäften, das sind solche zwischen einem Konsumenten und einem Unternehmen. Ausgenommen sind Patientenrechte, Wohnungs- und Hausmietverträge, öffentliche Bildung und grenzüberschreitende Fälle. Besteht in einem Bereich bereits eine Schlichtungsstelle – etwa die Rundfunk- und Telekom-Regulierung RTR oder die E-Control –, werden die Beschwerdeführer dorthin verwiesen.

Was sind die Voraussetzungen, wie läuft das Verfahren ab?

Der Verbraucher muss bereits versucht haben, sich mit dem Unternehmen zu einigen. Ist er gescheitert, kann er sich – möglichst online – an die Schlichtungsstelle wenden, und zwar mit einer konkreten Aussage darüber, was er erreichen will. Die Schlichtungsstelle fordert die Gegenseite zu einer Stellungnahme auf. Im zweiten Schritt versucht die Geschäftsstelle – bestehend aus zwei jungen Juristinnen – eine Einigung zu vermitteln. Gelingt auch das nicht, kommt Griss persönlich ins Spiel. In einer Schlichtungsverhandlung stellt sie den Fall aus ihrer Sicht dar, erörtert ihn mit den Parteien und schlägt eine Lösung vor.

Welche Fälle kommen vor die Schlichtungsstelle?

Das Spektrum ist groß, aber zwei Fallgruppen dominieren klar: Gewährleistungsfälle und – mehr noch – Fremdwährungskredite. Kreditnehmer sind häufig schon in Sorge, bevor die Darlehen noch endfällig sind und es daher möglich ist, den konkreten Schaden zu beziffern. In mehreren Fällen wollten die Betroffenen erreichen, dass der Vertrag in einen Euro-Abstattungskredit umgewandelt wird.

Wie viele Fälle hat die Stelle registriert, wie viele gelöst?

Bis Mitte August waren 300 Beschwerden eingetroffen. Zwei Drittel davon fielen allerdings auch in die Zuständigkeit anderer Schlichtungsstellen, oder die „Schlichtung für Verbrauchergeschäfte“ war überhaupt unzuständig, etwa weil ein grenzüberschreitender Sachverhalt vorlag. Blieben an die 100 Fälle, von denen bisher etwa ein Fünftel positiv, also mit einer Einigung, erledigt werden konnte. Der Rest ist noch in Bearbeitung. Bis ins letzte Stadium sind bisher vier Fälle vorgedrungen: In der Schlichtungsverhandlung konnte ein Fall bereits endgültig erledigt werden; in den drei anderen müssen die Vertreter der Unternehmen noch deren Zustimmung zur gütlichen Lösung einholen.

Was sind die Vorteile gegenüber gerichtlichen Verfahren?

Die Beschwerde vor der Schlichtungsstelle kostet nichts, und mit der beabsichtigten Beschränkung auf maximal 90 Tage läuft das Verfahren rascher ab als ein Prozess. Das schafft auch einen Anreiz für Unternehmen, sich (freiwillig) am Schlichtungsverfahren zu beteiligen: Seine Ressourcen werden weniger lang gebunden.

Auf einen Blick

Irmgard Griss (66) war bis 2011 Präsidentin des Obersten Gerichtshofs; sie ist Ersatzmitglied des Verfassungsgerichtshofs und Honorarprofessorin der Universität Graz (Zivil- und Handelsrecht). Seit Mitte Mai leitet sie die „Schlichtung für Verbrauchergeschäfte“.

Die neue Schlichtungsstelle ist ein auf neun Monate angelegtes Pilotprojekt. Beschwerden sollen nach Möglichkeit online abgewickelt werden. Alle Informationen dazu sowie zur Registrierung und zum Online-Formular sind auf www.verbraucherschlichtung.at
zu finden. [Clemens Fabry]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2013)

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