EuGH-Urteil: Frau zu früh pensioniert

Frauen dürfen nicht gezwungen werden, mit 60 in Pension zu gehen. Der EU-Gerichtshof ortet erneut in Österreich eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts.

Wien/Kom. Der EU-Gerichtshof hat erneut eine Diskriminierung einer Österreicherin geortet (C-614/11). Anneliese Kuso war bei der NÖ Landeslandwirtschaftskammer unbefristet tätig. 1980 vereinbarte sie mit ihrem Arbeitgeber, unkündbar gestellt zu werden; nach der Dienstordnung war damit eine Befristung zum Ende des Jahres, in dem sie 60 wurde, verbunden. Die Kammer lehnte Kusos Wunsch weiterzuarbeiten ab. Für Männer liegt das Alter bei 65 Jahren. Der Fall unterschied sich vom Fall „Kleist“, in dem der EuGH bereits eine Zwangspensionierung einer 60-Jährigen als Diskriminierung erkannt hatte: Kleist war erstens aufgrund eines Kollektivvertrags und zweitens gekündigt worden, während Kuso einzelvertraglich das Ende ohne Kündigung vereinbarte. Der EuGH sieht keine wesentliche Differenz: Die Befristung komme einer Entlassung gleich, diskriminiere unmittelbar. Auch dass Kusos Vertrag aus der Zeit vor dem EU-Beitritt stammte, hilft der Kammer nicht.

Kusos Anwalt Christoph Henseler sieht nun dem ungleichen Pensionsalter in Österreich „den Boden entzogen“. Arbeits- und Sozialrechtsexperte Gustav Wachter widerspricht: „Frauen sind sozialversicherungsrechtlich nicht gezwungen, mit Erreichung ihres gesetzlichen Pensionsalters in Pension zu gehen.“ Sie könnten laut ASVG ohne Weiteres weiterarbeiten, weitere Beitragszeiten und eine höhere Pension erwerben. Diskriminiert seien sie bloß arbeitsrechtlich, wenn sie wegen ihres privilegierten Pensionsalters bereits mit 60 durch den Arbeitgeber – egal, ob öffentlich oder privat – aus dem Arbeitsverhältnis entfernt würden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2013)

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