Sorge um Frau: Schmerzengeld für Mann

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Schockschaden: Erstmals gibt es Schmerzengeld für eine schlimme Botschaft, obwohl niemand starb. Die Nachricht von der in Lebensgefahr schwebenden Frau habe aber beim Ehemann psychische Probleme ausgelöst, urteilt das Gericht.

Wien. Ein Mann, der die Nachricht von einem schweren Unfall seiner Frau schlecht verkraftet hat, erhält nun sechs Jahre nach dem Unglück Schadenersatz. Zuvor war ein längerer Prozess nötig, galt es doch, rechtliches Neuland zu betreten. Denn das Besondere am aktuellen Fall war, dass der Mann Ersatz für einen sogenannten Schockschaden forderte, obwohl ihm keine Todesnachricht überbracht wurde; nur in solchen Fällen und wegen direkten Miterlebens von Unfällen gab es bisher Schock-Schmerzengeld. Der Gesundheitszustand der Frau war aber sehr beunruhigend, als der Mann über das Unglück informiert wurde.

Der Schockschaden steht nicht im Gesetz. Er wurde von der Judikatur nach und nach aus den allgemeinen Regeln für den Schadenersatz entwickelt. 1994 erhielt erstmals jemand Schmerzengeld, obwohl er selbst nicht in den Unfall verwickelt war. Er musste aber direkt ansehen, wie ein naher Angehöriger einen schweren Unfall erlitt. 2001 bekam erstmals jemand Schadenersatz, obwohl er den Unfall nicht mit ansehen musste. Der Mann hatte aber die Nachricht, dass sein Kind getötet wurde, sehr schlecht verkraftet und einen Kollaps erlitten. Zum nun aktuellen Fall traf der OGH im Vorjahr bereits die Grundsatzentscheidung (2 Ob 136/11f, „Die Presse“ hat berichtet), dass man auch Schadenersatz für schockierende Nachrichten erhalten kann, wenn niemand getötet wurde. Dies aber nur dann, wenn die Verletzungen eines nahen Angehörigen zum Zeitpunkt der Nachricht so schwer sind, dass Lebensgefahr besteht – oder es möglich erscheint, dass der Verletzte ein Pflegefall wird. Zudem müsse die Nachricht selbst und nicht etwa die belastende familiäre Situation danach für die psychischen Leiden ausschlaggebend gewesen sein. Ob das im aktuellen Fall so war, musste nun aber noch in einem neuerlichen Rechtsgang geklärt werden.

Der Unfall war bereits im Februar 2007 passiert. Eine Fußgängerin wurde von einem Lkw erfasst und schwer verletzt. Dafür erhielt sie (bereits rechtskräftig) 70.000 Euro Schmerzengeld. Der Ehemann, ein über den Winter arbeitslos gemeldeter Gleisarbeiter, war zum Zeitpunkt des Unfalls zu Hause. Als er vom Unglück seiner Frau informiert wurde, fuhr er sofort ins Krankenhaus. Er besuchte die Frau jeden Tag im Spital. Der Mann erlitt eine Belastungsreaktion und eine Anpassungsstörung, mit welcher psychische Schmerzen verbunden waren. Er musste in Psychotherapie. Auch sonst sank die Lebensqualität für beide Partner: Das eheliche Sexualleben wurde durch die Verletzungen der Frau eingeschränkt, Reisen waren lange nicht möglich. Erst dreieinhalb Jahre nach dem Unglück konnte das Paar sein Heimatland Türkei und die dort wohnenden Verwandten besuchen. Der Mann forderte 15.000 Euro Schmerzengeld plus 300 Euro Therapiekosten.

Ehepartner „aus der Bahn geworfen“

Im ersten Rechtsgang war der Mann bei den unteren Instanzen noch abgeblitzt, nach der Grundsatzentscheidung des OGH schaute die Welt nun im zweiten Rechtsgang aber ganz anders aus. Das Landesgericht Salzburg sprach dem Mann Schadenersatz zu. Bei der Frau sei akute Lebensgefahr vorgelegen, als der Mann vom Unglück erfahren habe. Die ersten 36 Stunden seien für den Ehemann extrem belastend gewesen, bis die Frau in der Intensivstation aufwachte und klar wurde, dass keine Lebensgefahr mehr bestand. Die Angst um das Leben und um den Zustand der schwer verletzten Beine der Ehefrau hätten zur Traumafolgestörung des Mannes geführt. Dieser sei zuvor ein „zufriedener, glücklicher, in seinem Leben gut etablierter Mann“ gewesen. Er wurde aber durch das Unglück „völlig aus der Bahn geworfen und konnte an nichts anderes mehr denken“, befand das Landesgericht.
Das Schmerzengeld bemaß es mit 10.000 Euro, zudem sprach es dem Mann 300 Euro Therapiekosten zu. Das Gericht ging davon aus, dass der Mann zwei Tage starke, zwei Wochen mittelgradige und zwölf Wochen leichte seelische Schmerzen verspürte.

Unfallnachricht war entscheidend

Das Oberlandesgericht Linz bestätigte das Urteil. Für die psychische Erkrankung des Mannes komme der Unfallnachricht selbst „ein wesentlich höherer Stellenwert zu als seiner Sorge um die zu erwartende Belastungsreaktion“. Der Unfallgegner rief aber noch den OGH an, dieser bestätigte jedoch die Vorinstanzen (2 Ob 72/13x).

„Schon die zeitliche Nähe des Auftretens der festgestellten Symptome zur Unfallnachricht“ spreche dafür, dass die Unglücksbotschaft für das Leiden des Mannes entscheidend war, erkannte der Oberste Gerichtshof. Es spiele auch keine Rolle, dass die Leiden des Mannes durch die nach der Nachricht aufgetretenen familiären und zwischenmenschlichen Belastungen verlängert wurden. Dies sei eine „adäquate Folge der Unfallnachricht“ und damit ebenfalls dem Unfallgegner zuzurechnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2013)

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