"OGH weicht wichtiger Aufgabe aus"

  • Drucken

Experte wirft dem Obersten Gerichtshof vor, mit Formalargumenten Sachentscheidungen zu vermeiden, um mündlichen Verhandlungen zu entgehen.

Wien. Der Oberste Gerichtshof irritiert die Fachwelt nicht nur dann, wenn er – wie im Fall Strasser – einem Rechtsmittel auf eine eher unerwartete Weise Rechnung trägt. Der Gerichtshof steht vielmehr auch in der Kritik, weil er umgekehrt Rechtsmittel auf seine eigene Weise abblockt. „In dieser Situation stellt sich die Frage, ob der OGH mit einer solchen Erledigung nicht eine wesentliche ihm zugedachte Rolle verfehlt“, schreibt der Salzburger Strafrechtsprofessor Kurt Schmoller in einem wissenschaftlichen Aufsatz.

Schmoller liefert die Antwort mit: Wenn der Gerichtshof Nichtigkeitsbeschwerden mangels „methodengerechter Begründung“ zurückweise, nehme er die Rolle als Wahrer einer einheitlichen Rechtsauslegung nicht hinreichend wahr. „Er weicht in solchen Fällen somit– wenngleich im Bemühen um eine schnelle Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde – seiner wichtigen Aufgabe, Maßstäbe für eine einheitliche Rechtsauslegung zu setzen, aus“, so Schmoller in der im November erschienenen Festschrift für Harald Stolzlechner (Verlag Österreich).

Für Schmoller geht die Berufung des OGH auf das Fehlen einer „methodengerechten Begründung“ auf das Bestreben zurück, öffentliche Verhandlungen möglichst zu vermeiden. Denn diese sind zeitaufwendig, und OGH-Präsident Eckart Ratz zweifelt an ihrer Sinnhaftigkeit überhaupt, wenn es um die Lösung von Rechtsfragen geht: Die mündliche Verhandlung spiele in dieser Situation „kaum eine Rolle“, erkenntnistheoretisch gesehen könne sie gegenüber den Schriftsätzen kaum Zusätzliches leisten.

Schulmeister für Anwälte

Freilich: Nach dem Gesetz können Nichtigkeitsbeschwerden, mit denen die materiellrechtliche Beurteilung einer Straftat angefochten wird, immer nur nach einer öffentlichen Verhandlung verworfen werden. Deshalb, schreibt Schmoller, habe der OGH eine Strategie entwickelt, materiellrechtlichen Einwänden mit einer formalen Antwort zu begegnen: Er erhöhe die argumentativen Anforderungen an Nichtigkeitsbeschwerden, um dann, wenn das geforderte Niveau nicht erreicht sei, die Beschwerde als nicht ordnungsgemäß eingebracht zurückzuweisen (mit Mehrheitsbeschluss nach nicht öffentlicher Sitzung). Das geforderte Niveau besteht in der „methodengerechten Begründung“.

Schmoller kritisiert, dass so materiellrechtliche Fragen gezielt offen gelassen werden. Der OGH würde, statt Linien der Rechtsauslegung vorzugeben, die Rolle eines Schulmeisters für Anwälte einnehmen, indem er deren juristisches Niveau prüft. Der Wissenschaftler bezweifelt, dass sich Methodengerechtigkeit so einfach definieren lässt, wie der OGH vorgibt. Außerdem hält er dem Gerichtshof vor, seine Kompetenz unnötig selbst zu beschränken, wenn es gilt, die Wahl zwischen zwei verschiedenen, aber ähnlich plausiblen Auslegungsmöglichkeiten zu treffen. Schließlich betont er auch den großen Wert mündlicher Verhandlungen bei der Erörterung von Rechtsfragen. (kom)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.