Untreue: Libro-Urteil als Auftakt zu neuer Prozesslawine?

André Rettberg, Libro
André Rettberg, Libro(c) APA/ROLAND SCHLAGER (ROLAND SCHLAGER)
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Die Bestätigung der Verurteilung des früheren Libro-Chefs André Rettberg wegen Untreue lässt die Alarmglocken läuten: Die Strafbestimmung ufert aus, sollte sie jede Schädigung der Gesellschafter mit deren Willen und Wissen erfassen.

Wien. Zahlreiche Strafverfahren haben in letzter Zeit eine Tendenz erkennen lassen, die sorgfältige Unternehmensjuristen hellhörig, wenn nicht gar besorgt werden lässt. Alles ist anscheinend Untreue, wenn einer Gesellschaft vorhersehbar ein Nachteil entsteht. Doch so banal ist die Sache leider nicht. Viele – nämlich gerade auch die in aktuellen Strafverfahren behandelten – Fälle weisen einen Konzernsachverhalt auf, das heißt, die betroffenen Manager waren in einem Geflecht von Gesellschaften an über- oder auch bloß an untergeordneter Stelle tätig. Häufig handelte ein Manager auf Weisung seiner Muttergesellschaft und fühlte sich – vor allem als GmbH-Geschäftsführer – mit gutem Gewissen daran gebunden. Diesen Managern wird nunmehr seitens der erstinstanzlichen Gerichte meist erklärt, sie hätten das im Konzernverbund als gewollt Erkannte gar nicht tun dürfen, mit anderen Worten, der erklärte Wille der Muttergesellschaft zähle nicht.

Paukenschlag mit Missklang

Daher herrschte letzten Donnerstag bei Juristen gespanntes Warten, ob der Oberste Gerichtshof (OGH) in der Causa Libro den von der Generalprokuratur präferierten Weg beschreiten und die Verurteilungen wegen Untreue aus der Welt schaffen würde. Die Entscheidung kann als Paukenschlag bezeichnet werden, wenngleich mit einem wohl von vielen unerwarteten Missklang: Die Ausschüttung der Sonderdividende an die Alleinaktionärin stelle einen Fall der Untreue dar. Mit großer Spannung wird man die schriftliche Ausfertigung der Urteilsbegründung erwarten dürfen.

Nach den medial wiedergegebenen Ausführungen argumentierte der OGH, für Untreue sei nicht der unmittelbare Schaden der Gesellschafter, sondern der Schaden der Gesellschaft relevant, und die von der Generalprokuratur vertretene Ansicht setze sich über die Rechtssubjektivität der AG hinweg. Nun gehört das Vermögen der Gesellschaft zwar dieser, letztlich ist aber, wie zutreffend gesagt wird, die Gesellschaft eine „Veranstaltung der Gesellschafter“. Die Gesellschafter – erst recht ein Alleingesellschafter – bilden folglich den Willen der Gesellschaft. Ein Handeln mit Wissen und Wollen aller Gesellschafter muss in aller Regel auch den Machtmissbrauch ausschließen, weil jene letztlich über Bestand und Auflösung der Gesellschaft entscheiden und sich ferner im Ergebnis die Befugnis des Managers auf die Gesellschafter zurückführen lässt.

Bei Kapitalgesellschaften kommt jedoch – und das mag zur Verwirrung beitragen – ein Umstand hinzu: Gesellschaftsrechtlich verboten ist aus Gläubigerschutzgründen, dass Gesellschafter (abseits einer Gewinnausschüttung oder einer Kapitalherabsetzung) der Gesellschaft Vermögen entziehen – es handelt sich um das mittlerweile berühmt-berüchtigte Verbot der Einlagenrückgewähr (§ 82 GmbH-Gesetz, § 52 Aktiengesetz). Die Konsequenzen eines Verstoßes sind eine Rückgabepflicht und unter Umständen eine zivilrechtliche Haftung des Managers, der das Vermögen herausgegeben hat. Eine strafrechtliche Sanktion im Wege der Anwendung des Untreuetatbestandes ist – so möchte man meinen – in diesem Zusammenhang nicht in Sicht, solange alle Gesellschafter die Einlagenrückgewähr wünschen.

Strafe für Einlagenrückgewehr

Die Nuancen des mündlich verkündeten Urteils werden in ihrer Tragweite wohl erst hinreichend zu erkennen sein, wenn die schriftliche Ausfertigung vorliegt. Wäre aber das Urteil so zu verstehen, dass Maßnahmen eines Managers, die einen Verstoß gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr verwirklichen, trotz Zustimmung aller Gesellschafter (sogar der Alleinaktionärin!) Untreue bedeuten, so hieße dies nun, das Verbot der Einlagenrückgewähr strafrechtlich zu bewehren. Freilich, diese Ansicht wurde – ganz zutreffend – bislang im Schrifttum abgelehnt, denn eine strafrechtliche Sanktionierung ist fehl am Platz, gibt es doch die strafrechtlichen Kridadelikte. Den Gläubigerschutz durch die Hintertür der Einlagenrückgewähr in die Untreue einzuführen, sprengt wohl deren strukturelle Grenzen.

Abzuwarten bleibt auch, ob der OGH in der Mehrstöckigkeit der Gesellschafts- bzw Aktionärsstruktur ein Problem gesehen hat. Es ist zu hoffen, dass daraus nicht der Schluss gezogen wurde, dass entweder eine Zustimmung gar nicht möglich sei oder aber nur von den wirtschaftlichen Eigentümern auf oberster Stufe erteilt werden könne, um einen Befugnismissbrauch auszuschließen. Stattdessen müsste man die Zustimmung des unmittelbaren Gesellschafters oder eines bevollmächtigten Konzernlenkers als ausreichend erachten; denn sonst hätte ein Manager die Zustimmung der obersten Eigentümer einzuholen, was freilich – etwa bei börsenotierten Gesellschaften – praktisch kaum möglich ist.

Von Spenden bis zur Bad Bank

Besonders heikel wäre es, wenn der OGH meinte, dass eine Nachteilszufügung zulasten der Gesellschaft mit Willen und Wissen der Gesellschafter jedenfalls Untreue verwirkliche, auch wenn kein Verstoß gegen das Einlagenrückgewährverbot vorliegt. Denn wenn dieses Tor aufgestoßen wird, könnte es der Auftakt zu einer noch größeren Prozesslawine sein: Von schlichter Spendentätigkeit bis zu einem Entgegenkommen der Kreditinstitute im Zusammenhang mit staatlichen Bankenbeerdigungen (Stichwort: Bad Bank) könnte ein Untreuevorwurf erhoben werden. Sollten die Gerichte diesen Weg tatsächlich einschlagen, sei der nunmehr hoffentlich ebenfalls hellhörig gewordene Gesetzgeber aufgerufen, ehestmöglich Abhilfe zu schaffen.

Mag. Wilhelm Milchrahm ist Rechtsanwalt und Partner bei mslegal milchrahm stadlmann rechtsanwälte,

IM WORTLAUT

Dr. Roman Alexander Rauter ist Habilitand an der Universität Wien und RAA bei mslegal milchrahm stadlmann rechtsanwälte.Untreue.§ 153. (1) Wer die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, wissentlich missbraucht und dadurch dem anderen einen Vermögensnachteil zufügt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

(2) Wer durch die Tat einen 3000 Euro übersteigenden Schaden herbeiführt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, wer einen 50.000 Euro übersteigenden Schaden herbeiführt, mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2014)

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