Mauerrisse: Haftung für Lkw-Fahrten

(c) FABRY Clemens
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Beim Bau einer Wohn- und Bürohausanlage bemerkte eine Nachbarin Mauerrisse. Laut OGH kann der Errichter haften, auch wenn Transporte auf öffentlicher Straße die Ursache waren.

Wien. 30 Lkw pro Tag, beladen jeweils bis zu 40 Tonnen schwer, und das Monate hindurch allein zum Abtransport des ausgehobenen Erdmaterials: Das ungewöhnliche Verkehrsaufkommen in der Sackgasse vor ihrem Haus blieb offenbar nicht ohne Folgen für eine Anrainerin. Sie stellte zahlreiche massive Rissschäden sowohl im Inneren als auch an der Außenfassade ihres zweistöckigen Hauses fest. Kann sie dafür den Errichter einer großen Wohn- und Bürohausanlage verantwortlich machen, die seit 2009 gebaut wurde und deren Zufahrt an ihrem Haus vorbeiführte?

Ja, sie kann – unter der Voraussetzung, dass die Schäden tatsächlich auf die zu- und abfahrenden Schwerlaster zurückzuführen waren. Das hat der Oberste Gerichtshof entschieden (6 Ob 216/13b). Das ist insofern bemerkenswert, als die Fahrten auf einer öffentlichen Straße erfolgten. Das Oberlandesgericht Wien hatte angesichts dieser Situation vor einer „unzulässigen und unabsehbaren Weiterung der nachbarrechtlichen Ausgleichsverpflichtung“ gewarnt und den gegenteiligen Standpunkt eingenommen, die Klage der Frau also abgewiesen. Mit den Beweisfragen rund um die Schäden und deren Verursachung hatte es sich deshalb erst gar nicht auseinandergesetzt.

Zurück an den Ort der Handlung, die erwähnte Sackgasse. Um eine reibungslose Zufahrt zur Baustelle zu haben, suchte der Betreiber des Projekts um eine Genehmigung der öffentlichen Verkehrsflächen für private Zwecke an und ließ von der Behörde Halte- und Parkverbotsbereiche verfügen. Und dann ging's los: Der Altbestand an Gebäuden wurde geräumt, Erde ausgehoben, Baumaterial herangeschafft. Fast täglich fuhren beladene oder unbeladene Lkw durch die Gasse, manchmal im Minutentakt.

Was gegen eine Haftung spricht, ist der Umstand, dass der Verkehr allgemein zunimmt und eine daraus folgende Schädigung schwer einem einzelnen Straßenbenützer zuzuordnen ist. „Überspitzt formuliert“, so führte das Oberlandesgericht deshalb aus, „müsste dann jeder Benützer einer öffentlichen Straße für etwaige aufgrund des Straßenverkehrs und der damit verbundenen Emissionen und Immissionen auftretende Gesundheitsbeeinträchtigungen der Nachbarn haften, sobald sich die Benutzungsart der gegenständlichen Straße erheblich geändert hätte“.

Der OGH sieht jedoch in diesem konkreten Fall kein Problem, die Schäden einem einzelnen Verursacher zuzuordnen. Denn hier gebe es kraft behördlicher Maßnahmen wie Halte- und Parkverbot, Sperre für den allgemeinen Verkehr und Umkehrzone eine Sondernutzung der Straße, die den Bauherrn speziell verantwortlich macht. „Dass vergleichbar schwerwiegende Beeinträchtigungen auch durch eine Steigerung des allgemeinen Verkehrsaufkommens eintreten könnten, erscheint im Hinblick auf die konkrete Örtlichkeit (Sackgasse) denkunmöglich“, so der Gerichtshof wörtlich.

„Baulärmprivileg“ hilft nicht

Möglicherweise hätten also leichtere Lkw für die Transporte eingesetzt werden müssen, was freilich ebenso die Kosten erhöht hätte wie der drohende Ersatzanspruch der Nachbarin (sie verlangt knapp 24.000 Euro). Der Einwand, dass sich damit die Lärmbelastung weiter erhöht hätte, zählt nicht: Es gilt nämlich das „Baulärmprivileg“. Demnach muss man in einem geschlossenen Siedlungsgebiet auch bei gleichbleibendem Charakter mit gelegentlichen Baumaßnahmen rechnen, sodass die dadurch ausgelösten Immissionen grundsätzlich als ortsüblich anzusehen sind.

Das gilt aber nur für den Lärm, nicht auch für Erschütterungen, die Gebäude beschädigen: „Solche schwerwiegenden Beeinträchtigungen sind nämlich niemals als ortsüblich anzusehen und daher nicht entschädigungslos hinzunehmen“, schreibt der OGH. Sollten sich die Feststellungen der ersten Instanz über die Verursachung und Höhe der Schäden als richtig erweisen, steht einer Haftung nichts im Weg. Auf ein Verschulden kommt es in diesem Fall nicht an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2014)

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