Als Romanfigur wiedererkannt: Kein Schadenersatz für echten Arzt

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Ein Buch von Dirk Stermann habe ihn Patienten gekostet, sagt ein Mediziner. Er heißt wie eine Romanfigur. Der OGH glaubt eher, dass die Patienten nur "belustigt lächeln".

Wien. Als „Roman einer Entpiefkenisierung“ bezeichnete Dirk Stermann sein Buch „6 Österreicher unter den ersten 5“. Als Teil der Integration kann der aus Deutschland stammende Kabarettist nun auch anführen, vor das österreichische Höchstgericht gebracht worden zu sein. Grund war ebendieses Buch.

Ein Grazer Zahnarzt fühlte sich nämlich darin wiedererkannt. Tatsächlich kam in dem Buch ein gewisser Dr. Braun de Praun – so heißt auch der echte Mediziner – vor. Der Mann wird im Roman zum Auftragsdieb, nachdem er zuvor einige Jahre als Zahnarzt ordiniert hat. Die fiktive Figur stiehlt historische zahnärztliche Instrumente, später auch historische Brillen oder reißt sich gar ein „Original-Córdoba-Fußballtrikot“ unter den Nagel. Selbst ins Kunsthistorische Museum (eine Anspielung auf den Saliera-Diebstahl) bricht er ein, was eine mehrjährige Freiheitsstrafe zur Folge hat. Die eigenen Angstgefühle beim Diebstahl, die der Arzt sonst nur von seinen Patienten kannte, bereiten dem fiktiven Mediziner dabei Genuss.

Der echte Zahnarzt fand diesen Humor nicht besonders spritzig: Für ihn lag die Verwechslungsgefahr mit der erfundenen Person auf der Hand, nicht nur desselben Namens wegen. Auch die Romanfigur stamme aus Graz, habe denselben Beruf erlernt, und ähnle ihm in Alter und dem beschriebenen Aussehen. Und ja, sogar beide hätten schon einen Bandscheibenvorfall erlitten.

Stermann hingegen argumentierte damit, dass es sich bei seinem Werk um einen „fiktiven Roman“ handle und berief sich auf die Freiheit der Kunst. In einem Interview hatte der Kabarettist erklärt, die Geschichten in seinem Buch seien zu je einem Drittel wahr, dramatisiert oder aber „erstunken und erlogen“. Den Namen Braun de Praun erwählte Stermann laut seinen Angaben, weil es in Graz ein Lokal gibt, das so heißt und dessen Name dem Kabarettisten einfach gefiel. Das Lokal wird von einem Verwandten des echten Zahnarztes geführt. Den Namen Braun de Praun verwendete Stermann bereits in einem vorherigen Buch – damals allerdings noch als Bezeichnung für eine Anwaltskanzlei.

„Leute fragen, ob ich vorbestraft sei“

Eine Anwaltskanzlei suchte auch der echte Dr. Braun de Praun auf, nachdem er von Leuten auf das Buch angesprochen worden war und sich selbst ein Exemplar gesichert hatte. Der Arzt forderte rund 25.000 Euro Schadenersatz. Nach Erscheinen des Buches im Herbst 2010 hätte ihn eine Vielzahl an Leuten und insbesondere Patienten gefragt, ob er tatsächlich vorbestraft sei. Zahlreiche Patienten wären trotz Terminvereinbarung nicht erschienen und hätten ihn in weiterer Folge auch nie mehr konsultiert. Er habe einen Umsatzverlust hinnehmen müssen, Stermann soll den Verdienstentgang ersetzen.

Das Handelsgericht Wien sah grundsätzlich eine Haftung Stermanns gegeben: Dieser hätte prüfen müssen, ob seine „zwielichtige Romanfigur“ nicht einer echten Person ähnelt. Dafür hätte er nur das Internet oder ein Telefonbuch konsultieren müssen. Den entstandenen Schaden setzte das Gericht aber nur mit 8000 Euro an.

Das Oberlandesgericht Wien hingegen kam zum Schluss, dass der Zahnarzt gar keinen Anspruch auf Schadenersatz habe. Stermann habe im Vorhinein keine Recherchepflicht getroffen, ob es den Zahnarzt wirklich gebe. Der seiner Romanfigur zugeschriebene Lebenslauf grenze ans Absurde und schließe eine Verwechslung mit einer realen Person aus. In diesem Fall könne eine „objektive Pflicht zu Vorwegrecherchen nicht verlangt werden“. Zwar möge aus heutiger Sicht das Interesse des Arztes, dass sein Name aus dem Roman entfernt werde, überwiegen. Aber das seinerzeitige Interesse Stermanns, „beim Verfassen des Romans seine mannigfaltigen Figuren fantasievoll ohne Hemmnisse zu entwickeln“ stehe über dem Interesse echter Namensträger.

OGH: Zusammenhang nicht erwartbar

Auch der Oberste Gerichtshof (OGH) urteilte zugunsten des Kabarettisten (4 Ob 154/ 13w). Die Höchstrichter erklärten, es komme hier gar nicht darauf an, ob ein Autor vor der Verwendung eines ungewöhnlichen Namens recherchieren müsse, ob es diesen wirklich gebe. Stermann müsse schon deswegen nicht zahlen, weil er als Autor mit einem derartigen Schadenseintritt nicht rechnen konnte. Es sei „bei objektiver Betrachtung nicht nachvollziehbar“, warum der Umsatz einer Person durch das Buch zurückgehen sollte, wenn ihr Name im Zusammenhang mit einem „geradezu absurd gezeichneten Straftäter“ verwendet wird. „Unter normalen Umständen wäre bei Lesern des Buches, die den Kläger kennen, ein belustigtes, allenfalls schadenfrohes Lächeln zu erwarten gewesen, keinesfalls aber eine dadurch verursachte Entscheidung gegen eine medizinische Behandlung durch den Kläger“, meint das Höchstgericht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2014)

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