OGH-Präsident hat Pflicht verletzt

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Eckart Ratz, Präsident des Obersten Gerichtshofs, griff am Höchstgericht in die richterliche Unabhängigkeit ein.

Wien. Es war zwar nicht das erste Mal, dass ein Höchstgerichtspräsident sich selbst anzeigte – auch der frühere Verfassungsgerichtshof-Präsident Ludwig Adamovich tat es einmal (um sich einen „Freispruch“ gegen Jörg Haider zu holen). Aber das Resultat ist wohl einmalig: Eckart Ratz, Präsident des Obersten Gerichtshofs, hat nach dem Urteil des hauseigenen Disziplinargerichts tatsächlich eine Pflichtverletzung begangen. „Der Präsident hat mit seinem Verhalten“, so heißt es in der vorige Woche veröffentlichten Entscheidung (Ds 25/13), „in die richterliche Unabhängigkeit eingegriffen.“

Anlass waren umstrittene Äußerungen des Präsidenten gegenüber Richterkollegen zu konkreten Strafverfahren. Bestraft oder auch nur (ohne Strafe) schuldig gesprochen wird Ratz deshalb aber nicht: Nicht jede Pflichtverletzung begründe ein Disziplinarvergehen, so der Senat. Weil „die Grenzen zwischen zulässiger Dienstaufsicht und unzulässigem Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit ex ante (im Vorhinein, Anm.) nicht immer leicht zu ziehen sind“ und bisher keine Judikatur des Disziplinargerichts existiere, an der Ratz sich hätte orientieren können, liege in diesem Fall kein Dienstvergehen vor.

Der ungewöhnliche Konflikt hat sich an einer Bestimmung der Strafprozessordnung entzündet: Nach §126/4 dürfen Sachverständige, die im Vorverfahren von der Staatsanwaltschaft eingesetzt worden sind, auch in der Hauptverhandlung als Stütze des Gerichts herangezogen werden. Die Gegenseite, also der Angeklagte, kann dem nichts Gleichwertiges entgegensetzen, sodass die Regelung möglicherweise das verfassungsrechtlich abgesicherte Gebot des fairen Verfahrens verletzt. Ratz ist definitiv dieser Meinung, die OGH-Vollversammlung hat zweimal etwas vorsichtiger auf das „Spannungsverhältnis“ zur Menschenrechtskonvention hingewiesen.

Dessen ungeachtet hat ein Senat des OGH im Juli 2013 in einem Verfahren gegen Ex-Hypo-Chef Wolfgang Kulterer (13 Os 131/12g) nicht den Verfassungsgerichtshof eingeschaltet, um Klarheit zu bekommen. Deshalb und wegen einer weiteren damals anstehenden Entscheidung hat Ratz sich in kritischen Schreiben an seine Richterkollegen gewandt. Die protestierten und verwahrten sich „gegen jeden Versuch von Justizverwaltungsorganen, in dieser Funktion Einfluss auf die richterliche Entscheidungsfindung zu nehmen“.

„Kreative Unruhe erzeugt“

Ratz, dem es nach eigenem Bekunden gelungen war, „kreative Unruhe zu erzeugen“, legte die Protestschreiben gleichsam als Selbstanzeige dem Disziplinargericht vor (Ratz zeigte auch die Mitglieder jenes Senats an, der den VfGH-Antrag unterlassen hatte, blitzte damit aber wie berichtet ab). Er rechtfertigte sein Verhalten damit, dass er die Richterkollegen im Rahmen der Dienstaufsicht habe unterstützen wollen. Laut Disziplinargericht ist Ratz dabei aber zu weit gegangen; er habe „unzulässigen Druck ausgeübt“, um im Sinn seiner – gegenüber einer früheren Einschätzung geänderten – Rechtsansicht von der Verfassungswidrigkeit der StPO-Bestimmung eine Anfechtung beim VfGH zu erreichen.

Ratz teilt auf Anfrage der „Presse“ die Ausführungen des Disziplinargerichts über die Rechte und Pflichten des Präsidenten „voll und ganz“; er hätte es nur für wünschenswert gehalten, dass auch seine damaligen schriftlichen Äußerungen veröffentlicht werden. Ratz will darin nämlich nicht das Votum gegen die VfGH-Anrufung kritisiert haben, sondern bloß den Umstand, dass der Senat dafür keine Begründung geliefert habe. Das sieht er, Ratz, aber nicht als Einmischung in die Rechtsprechung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2014)

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