Wenn die Behörde neugierig ist

APA-Photo: POOL/Harald Schneider
  • Drucken

Vertraulichkeit: EU-Recht schützt nur die Korrespondenz der Anwälte.

BRÜSSEL/LUXEMBURG. Die Vertraulichkeit von Anwaltskorrespondenz gehört zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts. Das Europäische Gericht erster Instanz hat sich vorige Woche erneut mit dieser Thematik befasst. Mit seinem Urteil vom 17. September (verbundene Rs. T-125/03, T-253/03) betont das Gericht erneut, dass nur selbstständige Rechtsanwälte, aber keine „unternehmensangehörigen Juristen“ (In-House-Juristen) Vertraulichkeitsschutz für ihre Korrespondenz genießen.

Die Vertraulichkeit der Anwaltskorrespondenz ist vor allem im Wettbewerbsrecht von großer Bedeutung. Sowohl die EU-Kommission als auch die Bundeswettbewerbsbehörde sind befugt, Nachprüfungen bei Unternehmen in Österreich zu veranlassen, die im Verdacht stehen, an einem Kartell beteiligt zu sein oder ihre marktbeherrschende Stellung zu missbrauchen. Sie dürfen in jegliche Bücher, sonstige Dokumente und E-Mails Einsicht nehmen und Kopien mitnehmen. Ausgenommen sind Schriftstücke, die Korrespondenz zwischen einem Anwalt und dessen Mandanten darstellen. Dieser Grundsatz der Vertraulichkeit entspricht dem Erfordernis, Rechtsbeistand in Anspruch nehmen zu können, und sichert das Recht der Verteidigung.

Um einfach beurteilen zu können, ob es sich um ein vertrauliches Schriftstück handelt, sollte ein solches von Anwälten mit einem offensichtlichen Vermerk wie „Vertraulich“ oder – wie im Englischen üblich – mit „Legal Privilege“ versehen sein. Dies ermöglicht der Kommission, auf einen Blick festzustellen, ob das Dokument als vertraulich zu behandeln ist. Dieser Vertraulichkeitsschutz umfasst auch Schriftstücke, die ausschließlich im Hinblick auf die Beiziehung eines Anwalts verfasst wurden.

Sollte es bei einer Nachprüfung zu einer Meinungsverschiedenheit zwischen Vertretern des Unternehmens und den ermittelnden Beamten hinsichtlich des Schutzes der Vertraulichkeit kommen, wird das betroffene Dokument vorerst ungelesen in einem Umschlag versiegelt. Die Entscheidung des Gerichts erster Instanz bzw., im Fall eines österreichischen Verfahrens, des Kartellgerichts über den Vertraulichkeitsstatus ist anfechtbar.

Auch wenn die Kommission ein vertrauliches Dokument nicht als Beweis verwenden kann, führt bereits die Lektüre mitunter zu irreversiblem Schaden: Die vertrauliche Information kann der Kommission dazu dienen, neue Informationen oder Beweismittel zu erhalten.

Voraussetzung für den Vertraulichkeitsschutz ist, dass es sich um Korrespondenz mit einem unabhängigen, in keinem Dienstverhältnis stehenden Anwalt handelt. In-House-Juristen genießen hingegen keinen solchen Schutz. Diese unterschiedliche Behandlung hat im EU-Recht Tradition: Schon vor 25 Jahren hat der EuGH so geurteilt.

In den USA ist der Vertraulichkeitsschutz vor allem aufgrund des dort herrschenden Beweismittelverfahrens etabliert, wobei allerdings In-House-Juristen eingeschlossen sind. Dort knüpft der Schutz an der Tatsache an, dass man auch als Unternehmensjurist bei einer Anwaltskammer eingetragener Rechtsanwalt ist, was in Österreich aber mit der Rechtsanwaltsordnung unvereinbar ist.

In anderen Mitgliedstaaten wie etwa Deutschland können In-House-Juristen unter bestimmten Voraussetzungen trotz aufrechten Angestelltenverhältnisses Mitglied einer Anwaltskammer sein. Das Gericht erster Instanz hat aber aufgrund von Unterschieden zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten Argumente, den Vertraulichkeitsschutz an die Eintragung bei einer Anwaltskammer zu knüpfen, ausdrücklich abgewiesen.

Es wird sich zeigen, ob dieses Urteil angefochten wird und wenn ja, ob der EuGH eine Trendwende einleiten wird. Eine solche wäre vor allem auch aufgrund der allgemeinen Entwicklung von zunehmenden Compliance-Pflichten von Unternehmen zu begrüßen, da diese dann unbedenklicher von In-House-Juristen durchgeführt werden könnten.

Dr. Hummer, LL.M. ist bei Willkie, Farr & Gallagher LLP, Brüssel.

URTEIL

EU-Gericht 1. Instanz im Fall Akzo Nobel Chemicals und Tochter Akcros Chemicals gegen Kommission: Verfahrensfehler waren unbeachtlich, betroffene Dokumente nicht schutzwürdig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.