Haircut kontra EU-Recht: Unwirksam?

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Wenn die gesetzliche Verpflichtung von Gläubigern, auf Kapital und Zinsen zu verzichten, die Grundrechtecharta verletzt, ist sie auch ohne VfGH-Spruch unanwendbar.

Wien. Die Regierungsvorlage zum Hypo-Sondergesetz sieht vor, dass Verbindlichkeiten aus begebenen Anleihen, Zerobonds und Schuldverschreibungen sowie die dafür bestellten Sicherheiten erlöschen, womit die Anleihegläubiger um ihre Forderungen und die dafür bestellten Sicherheiten umfallen sollen. Sollte nach Abschluss der Abwicklung Vermögen vorhanden sein, so entsteht eine neue Forderung der Anleihegläubiger, die vor Verteilung des Vermögens an die Aktionäre zu befriedigen ist. Dass dieser Fall eintreten wird, ist angeblich nahezu ausgeschlossen.

Nach dem Plan der Bundesregierung sollen die Zeichner der Anleihen zur Sanierung der Bank einen Totalausfall erleiden und weder das eingesetzte Kapital noch die in den Anleihebedingungen zugesagten Zinsen zurückerhalten. Die Hypo Alpe Adria hat die Zeichnung der Anleihe unter anderem damit beworben, dass das Bundesland Kärnten für die Erfüllung haftet und dementsprechend eine höhere Sicherheit als bei nicht besicherten Anleihen besteht.

Bonität hat gelitten

Für Fachkreise war von vornherein klar, dass die internationalen Finanzmärkte auf den Haircut reagieren würden und die Bonität österreichischer Marktteilnehmer infolge dieser Maßnahmen herabgestuft werden würde. Die Ratingagentur Moody's hat postwendend reagiert und das Rating mehrerer österreichischer Emittenten gesenkt.

Bei der Erstellung der Regierungsvorlage wurde nicht berücksichtigt, dass europäisches Primär-recht, nämlich die EU-Grundrechtecharte, verletzt wird. Das hat weitreichende Folgen.

Entschädigungslos enteignet

Die Anleihegläubiger verlieren ihr Forderungsrecht und damit ihr Eigentum entschädigungslos. Bond-Inhaber werden gesetzlich gezwungen, im Umfang ihrer Gesamtforderung auf Kapital und Zinsen einen Sonderbeitrag zur Sanierung zu leisten, während alle anderen Unionsbürger (Steuerzahler) davon nicht betroffen sind. Dass eine bestehende Forderung und die von einem Bundesland garantierte Erfüllung durch Gesetz für erloschen erklärt werden, ist ein Eingriff in das Eigentumsrecht der Anleiheinhaber und diskriminiert die Inhaber der Anleihen gegenüber allen anderen Unionsbürgern. Der geplante Haircut verletzt somit das Europäische Grundrecht auf Nichtdiskriminierung (Art 21 Grundrechtecharta) und auf Eigentum (Artikel 17 der Charta).

Österreichische Gerichte haben Gesetze, die gegen die österreichische Verfassung verstoßen, so lange anzuwenden, bis diese vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben wurden.

Ganz anders verhält es sich aber bei einem Verstoß gegen Europarecht. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) hat EU-Recht Anwendungsvorrang. Das bedeutet, dass innerstaatliche Normen, die gegen EU-Recht verstoßen, von Gerichten und Behörden der Mitgliedstaaten nicht angewendet werden dürfen. Gerichte haben somit nicht abzuwarten, ob ein Höchstgericht ein EU-widriges Gesetz aufhebt, sondern haben proaktiv die EU-Widrigkeit eines Gesetzes zu prüfen und ein EU-widriges Gesetz gegebenenfalls nicht anzuwenden.

Unumschränkter Vorrang

Der Anwendungsvorrang des Europarechts gilt unumschränkt. Innerstaatliche Gerichte können beim EuGH eine Vorabentscheidung beantragen und haben die Entscheidung bis zur Beantwortung der Fragen durch den EuGH auszusetzen.

Fallbezogen können Gläubiger bei Fälligkeit der Anleiheforderungen und unterbliebener Tilgung durch den Schuldner und den Garanten trotz des Hypo-Alpe-Adria-Sanierungsgesetzes vor dem zuständigen Zivilgericht klagen und argumentieren, dass die Forderung aus den Bonds fällig ist, weil das Sanierungsgesetz aufgrund des Anwendungsvorranges der Grundrechtecharta nicht anwendbar ist.

Das Gericht hat in diesem Fall auf Grundlage der Anleihebedingungen zu prüfen, ob der Anspruch berechtigt ist, darf dabei aber das Sanierungsgesetz wegen der Verletzung der Grundrechtecharta nicht anwenden. Der Klage ist bei Erfüllung der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen stattzugeben. Der mühsame Weg der Anfechtung des Gesetzes beim Verfassungsgerichtshof ist somit nicht erforderlich.

Die Gesetzesinitiative hat viel Staub aufgewirbelt und zu einer Herabstufung des Ratings österreichischer Marktteilnehmer geführt. Sie erreicht aber angesichts des Anwendungsvorrangs des EU-Rechts nicht das definierte Ziel des Haircuts.

Ergebnis ist, dass ein gewaltiger Schaden für den österreichischen Kapitalmarkt eingetreten ist, dem kein juristischer Nutzen gegenübersteht.

Dr. Michael BRAND MBL-HSG ist

Rechtsanwalt in Wien und Partner der

Brand Rechtsanwälte GmbH.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2014)

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