Betagt und verletzt: Unfallopfer erhält Lifteinbau voll ersetzt

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OGH schützt eine Geschädigte vor Kosten, die sie ohne den Unfall nicht hätte.

Wien. Von null auf hundert in drei Instanzen: So lässt sich ein Schadenersatzprozess einer heute 84-Jährigen zusammenfassen, die bei einem Verkehrsunfall im Jahr 2009 verletzt wurde. Weil sie seither nur noch schwer die Stiegen zu ihrer Wohnung im 2. Stock überwinden kann, wollte sie vom Schädiger und dessen Versicherung einen Treppenlift finanziert bekommen. In erster Instanz blitzte sie mit dieser Klage voll ab; die zweite Instanz sprach der Frau den Ersatz zur Hälfte zu; erst der Oberste Gerichtshof gab ihr zur Gänze recht.

Die große Abweichung zwischen den Entscheidungen deutet darauf hin, dass eine schwierige und umstrittene Rechtsfrage zu klären war. Die schmerzhaften Fakten sind demgegenüber schnell erzählt: Die Frau zog sich bei dem Unfall eine Schenkelhalsfraktur zu. Die Heilung gestaltete sich schwierig, die Patientin musste mindestens zweimal operiert werden. Mittlerweile hat die Frau ein künstliches Hüftgelenk; sie leidet aber an den Folgen der Verletzung und der nachfolgenden Operationen.

39 beschwerliche Stufen

Um daheim in Vorarlberg in ihre Mietwohnung zu kommen, muss sie gezählte 39 Stufen steigen. Bis zum Unfall gelang ihr das problemlos, auch wenn sie schon damals unter Vorhofflimmern und Schwindelzuständen litt und ihre Kondition altersbedingt geschwächt war. Heute fällt ihr das Stiegensteigen so schwer, dass ihr von ärztlicher Seite empfohlen wird, einen Lift zu benützen. Diese Notwendigkeit ist zu 50 Prozent auf das Unfallereignis zurückzuführen. Baulich kommt nur ein Treppenlift in Betracht, eine Variante, die laut Baubehörde vorerst als „wahrscheinlich genehmigungsfähig“ eingestuft wird. Auch die Vermieterin wäre mit dem Einbau für schätzungsweise 43.000 Euro einverstanden – solange sie nicht dafür aufkommen muss (eine passende leerstehende Wohnung stand übrigens nicht zur Verfügung).

„Verletzung nicht ursächlich“

Das Landesgericht Feldkirch lehnte auch eine Ersatzpflicht der Beklagten ab: Die Notwendigkeit, sich eines Treppenlifts zu bedienen, sei nicht auf die unfallbedingte Verletzung zurückzuführen, so die erste Instanz. Das Berufungsgericht hielt immerhin einen Teil des Problems der älteren Dame für durch den Unfall verursacht: Diese „Unfallkausalität“ falle aber zusammen mit einem in der Sphäre der Klägerin liegendem „Zufall“. Gemeint war damit die ohnehin schon nicht mehr so gute gesundheitliche Verfassung der Frau. Also entschied das Oberlandesgericht Innsbruck auf eine 1:1-Teilung des Schadens, somit den halben Ersatz.

Damit wich das Gericht aber bei der Beantwortung der Kausalitästfrage von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ab, wie dieser bemerkte. Daher ließ er auch eine außerordentliche Revision der Klägerin zu. Die vom Oberlandesgericht angenommene Konkurrenz von Unfallkausalität und Zufall betreffe Fälle der sogenannten alternativen Kausalität, das sind solche, bei denen nicht feststeht, ob die Ursache des Schadens in der Sphäre des Geschädigten oder des Schädigers liegt. „Hier steht aber fest, dass der Treppenlift nur deshalb medizinisch indiziert ist, weil die Klägerin wegen ihrer unfallbedingten und ihrer altersbedingten Leidenszustände an der Bewältigung der Stufen auf eine ihr zumutbare Weise gehindert ist. Beide Umstände sind daher erwiesenermaßen kausal“, so der OGH (2 Ob 48/14v).

Für den Gerichtshof kann man der Klägerin ihre altersbedingten Gebrechen nicht vorwerfen. „Ihre (feststehende) Mitursächlichkeit allein reicht daher für eine Haftungsminderung nicht aus.“ Der OGH weiter: „Die Klägerin soll nicht mit Kosten belastet werden, die sie ohne den Unfall nicht gehabt hätte.“ Daher muss der Schädiger im Verein mit seiner Versicherung der Klägerin den Einbau des Treppenlifts in voller Höhe finanzieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2014)

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