Richter müssen Hundegebell auf 30 DVDs ansehen

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Streit über Lärm. Gerichte wiesen Unterlassungsklage vorschnell ab, entschied der OGH.

Wien. Wenn Hunde auffallend laut sind und ihre Besitzer jede Rücksichtnahme auf die Umwelt vermissen lassen, können Nachbarn mit Unterlassungsklage gegen die Besitzer vorgehen. Theoretisch. Praktisch erweist sich der Schutz vor Immissionen in Form von Hundegebell allerdings mitunter als schwierig. Das zeigt ein Streit zwischen Nachbarn in Wien Floridsdorf, wo eine Hauseigentümerin die gesamte Nachbarschaft seit 2009 durch einen Hund terrorisiert sieht. Der Fall ging bereits durch drei Instanzen und wurde jetzt an die zweite Instanz zurückverwiesen. Denn noch ist unklar, ob der Hund wirklich zu laut und zu lang bellt und jault, wie die Klägerin findet.

Zehn Minuten Dauerbellen

Das Tier belle jedes Mal, wenn Spaziergänger, Radfahrer oder andere Freizeitsportler am Grundstück seiner Besitzer vorbeikämen; wenn es allein sei, belle und jaule es permanent. Erst 2011 sei eine gewisse Besserung eingetreten, seit der Hund in der Nacht offensichtlich im Haus gehalten werde. Das Gebell und Geheul störe die Klägerin regelmäßig länger als zehn Minuten am Stück und länger als 30 Minuten am Tag.

Zum Beweis legte die Klägerin eine Sammlung von mehr als 30 DVDs vor, auf denen der Hund zu sehen und zu hören sein soll. Ganz genau weiß man das bis dato noch nicht, denn nach zwölf der vorgelegten Datenträger reichte es dem Bezirksgericht Floridsdorf. Dies nicht bloß wegen der Lautstärke, sondern deshalb, weil die DVDs mangels Unmittelbarkeit keine taugliche Grundlage für irgendwelche Feststellungen böten. Zweifellos sei „der Eindruck des Hörens zusammengeschnittener einzelner Bellsequenzen in maximaler Lautstärke in einem Verhandlungssaal gewaltig und geradezu unerträglich und geeignet, vorderhand eine exorbitante, ortsunübliche, beeinträchtigende, unzumutbare Immission durch Hundegebell zu suggerieren“. Es sei aber völlig unklar, unter welchen Umständen die Aufnahmen zustandegekommen seien, und eine lückenlose Dokumentation ergäben die aneinandergestückelten Aufnahmen auch nicht.

Also beschränkte sich das Bezirksgericht auf die Feststellung, das Gebell unterscheide sich nicht von dem anderer Hunde in der Umgebung, und wies die Klage der Nachbarin ab. Diese bemängelte beim Landesgericht für Zivilrechtssachen, dass die erste Instanz nicht das gesamte Material abgespielt hätte. Doch auch die zweite Instanz schaute bloß zwei weitere DVDs (teilweise) an, bestätigte aber die abschlägige Entscheidung. Warum es die übrigen DVDs für nicht relevant hielt, sagte das Gericht nicht.

Vorgreifende Beweiswürdigung

Also musste erneut das Verfahren beanstandet werden, und der Oberste Gerichtshof bestätigte: Auch das Berufungsurteil leidet unter einem Begründungsmangel. Der OGH gibt zu erkennen, dass die restlichen DVDs wohl auch noch betrachtet werden müssen; denn einen Beweis mit der Begründung nicht aufzunehmen, er werde ohnehin unergiebig sein, stelle eine unzulässige vorgreifende Beweiswürdigung dar (3 Ob 93/14v).

Einen ähnlichen Fall gab es vor 15 Jahren, als ein Gericht es für unnötig hielt, Tonbänder längere Zeit abzuhören. Eine Entscheidung mit einer präzisen Angabe, ab wann Hundegebell ortsunüblich und unzumutbar ist, sucht man hingegen vergeblich. Beides muss für einen Unterlassungsanspruch vorliegen: eine Lautstärke, die a) über den üblichen Lärmpegel in der Umgebung deutlich hinausgeht und b) für normal empfindliche Menschen unzumutbar ist. Zwischen 22 Uhr und sechs Uhr sollte Lärm möglichst überhaupt vermieden werden.

Die DVDs müssen jetzt von einer der Vorinstanzen betrachtet werden. Am Ende kann trotzdem herauskommen, dass zehn Minuten durchgehendes Bellen um die 30 Minuten täglich ortsüblich und zumutbar sind.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2014)

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