Religionsrechtsexperte Potz: "Durch den IS nicht ins Bockshorn jagen lassen"

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Religionsrechtsexperte Richard Potz warnt im Interview die demokratische Gesellschaft davor, sich durch Symbolverbote selbst zu relativieren. Eine verbindliche Einheitsübersetzung des Korans hält er für ausgeschlossen.

Die Presse: Dieser Tage soll ein neues Islamgesetz in Begutachtung gehen. Kann damit einem islamistischen Drohpotenzial entgegengewirkt werden?

Richard Potz: Indirekt vielleicht. Die Verabschiedung eines neuen Islamgesetzes ergibt sich aus der Notwendigkeit, das Recht für die islamischen Glaubensgemeinschaften auf einen Standard zu bringen, den unser heutiges Religionsrecht erfordert. Damit wird sicher das Gefühl des Angekommen- und Angenommenseins der Muslime in Österreich gestärkt. Ob das allerdings junge Leute davon abhält, in den Krieg zu ziehen, bezweifle ich.

Wo sehen Sie die Ursachen für die merkbare Radikalisierung?

Da kommen mehrere Faktoren zusammen. Folgt man den Berichten, dann stammt eine große Zahl der jungen Leute, die jetzt in den Krieg ziehen, aus Ländern, die vor Kurzem Bürgerkriegserfahrung hatten, wie Tschetschenien, Afghanistan und Bosnien. Dadurch ist sicher eine Entwurzelung und Brutalisierung bewirkt worden. Ein weiterer Punkt ist die Heimat- und Perspektivenlosigkeit in der Emigration. Schließlich müssen wir einfach auch mit einer Neigung zur Abenteuerlust bei Jugendlichen rechnen, die nur allzu leicht missbraucht werden kann. Dazu kommt das Nichtfertigwerden mit der Selbstverantwortung, welche die moderne Gesellschaft von den Einzelnen verlangt. Das bewirkt die Sehnsucht nach Wertesystemen mit einfach gestrickten Vorgaben, die zugleich die Möglichkeit geben, in einer globalen Öffentlichkeit auch in Bildern präsent zu sein. Meinem Gefühl nach sind unter diesen Leuten auch welche, die vielleicht vor einigen Jahrzehnten bei der RAF gelandet wären oder bei vergleichbaren Gruppierungen.

Das Heilsversprechen spielt wohl auch eine Rolle.

Die religiöse Dimension wird offenkundig zu einem wesentlichen Faktor. Die Frage, wie man mit Gewalt umgeht, stellt sich für jede Religion irgendwann einmal. Es macht aber einen Unterschied, ob für eine Religion bereits in ihrem Ursprung, in der Zeit der geschehenen Offenbarung, Gewalt eine Rolle gespielt hat, wie etwa im Alten Testament oder im Koran, oder ob das nicht der Fall ist wie etwa im Christentum. Durch das Politischwerden des Islam durch den Propheten bereits in der Zeit der geschehenden Offenbarung wird der Einsatz von Gewalt im Islam anders gesehen als im Christentum. Das ändert nichts daran, dass im Namen des Christentums genug Gewalt ausgeübt wurde, nur: Die Christen haben immer Probleme gehabt, sich dabei auf das Neue Testament zu berufen.

Um extremistischen Fehlinterpretationen vorzubeugen, hat sich Außenminister Sebastian Kurz für eine einheitliche Koran-Übersetzung ausgesprochen. Ist so etwas überhaupt möglich?

Das halte ich für ausgeschlossen. Das beginnt mit der Frage, welche Fassung übersetzt werden soll. Es gab immer schon und gibt auch heute noch mehrere Koran-Fassungen, die von der islamischen Welt akzeptiert werden.

Beim Übersetzen kommt dazu, dass arabische Begriffe oft ein breites Bedeutungsfeld haben.

Nicht nur. Es ist auch ein Arabisch, bei dessen Verständnis man sehr schnell ansteht. Vieles ist dunkel, sodass die heutigen Fassungen allesamt vielfach das Ergebnis der nach-koranischen Auslegung sind. Dazu kommt, dass der Koran ein in gebundener Sprache verfasstes Werk der altarabischen Dichtung ist. Einiges mag daher auch um des Reimes willen geschehen sein, um Morgenstern zu zitieren. Schließlich stellt sich eine Frage, die wir auch aus der Geschichte des Christentums kennen: Darf man den heiligen Text überhaupt übersetzen? Grundsätzlich sind daher alle Übersetzungen eigentlich nur Kommentare mit Anmerkungen.

Was kann man dann Richtung Einheitsübersetzung machen?

Die islamischen Glaubensgemeinschaften könnten sich etwa darauf einigen, eine bestimmte Koran-Ausgabe als jene für sie primär maßgebliche zu bezeichnen und diese im schulischen Bereich verwenden.

Umstritten ist auch das geplante Symbolverbot. Der Islamische Staat (IS) verwendet Symbole, die dem islamischen Glaubensbekenntnis entnommen sind. Kann man das verbieten?

Man könnte bestenfalls bestimmte Ausgestaltungen, die von IS verwendet werden, ausdrücklich verbieten. Einschränkungen eines für den Rechtsstaat so sensiblen Grundrechts wie der Meinungsfreiheit sind immer äußerst problematisch. Den in diesem Zusammenhang manchmal erwähnten Vergleich mit dem Verbotsgesetz halte ich übrigens für völlig unpassend. Dieses hat eine wichtige historische Wurzel, weil letztlich unser Staat heute ganz wesentlich auf der Überwindung des Nationalsozialismus beruht. Man sollte sich durch solche verbrecherischen Organisationen wie den IS, auch wenn sie ein grausames und unglaubliches Phänomen mit einem aktuellen Bedrohungspotenzial darstellen, nicht so ins Bockshorn jagen lassen, dass man seine eigene rechtsstaatlich-demokratische Identität relativiert.

Das Drohpotenzial radikalisierter Islamisten ist heute größer als das von ein paar Keller-Nazis.

Mag sein, aber ich glaube nicht, dass ein Verbot eine geeignete Maßnahme ist. Ich fürchte, dass ein derartiges Verbot von Symbolen lediglich ein symbolisches Gesetz wäre.

Wo würden Sie ansetzen, um Radikalisierungen vorzubeugen?

Am wichtigsten ist der Bereich der Bildung, in Österreich kein neues Thema. Dann das Reagieren auf die zuvor angesprochene Situation junger Leute. Eine Nachbesserung bei der strafrechtlichen Verfolgung der Verherrlichung der durch den IS und andere terroristische Organisationen gesetzten Straftaten in den Netzwerken wäre sicherlich auch zu überlegen.

ZUR PERSON

Richard Potz, Wiener des Jahrgangs 1943, ist Vorstand des Instituts für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht der Universität Wien. Der emeritierte Professor hat sich 1972 im Kirchenrecht habilitiert. Er ist einer der führenden Religionsrechtler in Österreich. [ Clemens Fabry ]

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2014)

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