Arbeitsrecht: Lücke im geschützten Sektor?

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Ab 1. Jänner sollen Personen, die auf dem regulären Arbeitsmarkt nicht vermittelbar sind, kollektivvertraglich besser geschützt sein. Fraglich ist aber, ob der Schutz auf sie anwendbar ist.

Wien. Am 1. Jänner tritt eine Bestimmung im Kollektivvertrag der Sozialwirtschaft Österreich in Kraft, die „niederschwellig, fallweise Beschäftigten“ kollektivvertragliche Garantien gewährt. Damit wird eine weitere Gruppe von Dienstleistenden im geschützten Bereich dem kollektivvertraglichen Arbeitsrecht unterstellt. Während man in Gewerkschaftskreisen von einem Puzzlestein für ein geschlossenes System sozialer Beschäftigung spricht, läuft eine wissenschaftliche Grundsatzdiskussion über den Arbeitnehmerstatus sozial Beschäftigter.

Nach dem Motto „Arbeit statt Arbeitslosigkeit fördern“ unterstützt die öffentliche Hand die soziale Beschäftigung von Menschen, die dem Wettbewerbsdruck des regulären Arbeitsmarktes nicht gewachsen sind. Zu ihnen zählt, wer physisch oder psychisch beeinträchtigt ist, an einer Suchterkrankung leidet oder wegen langer Arbeitslosigkeit nicht Schritt halten kann. Statt sie in die dauernde Arbeitslosigkeit zu drängen, soll diesen Menschen durch Eingliederung in einen Arbeitsprozess ein möglichst normales Leben ermöglicht werden. Geht es um Personen, die vorübergehend nicht regulär vermittelt werden können, ist vom Zweiten Arbeitsmarkt die Rede, bei dauerhaft unvermittelbaren vom Dritten Arbeitsmarkt. Beides zusammen ist der geschützte Sektor.

Auf kollektivvertraglicher Ebene wird versucht, die arbeitsrechtlichen Bestimmungen an die Besonderheiten im geschützten Bereich anzupassen. Ein Urteil des Obersten Gerichtshofes von 2010 nährt aber Zweifel daran, dass soziale Beschäftigungsverhältnisse überhaupt dem gesetzlichen und dem kollektivvertraglichen Arbeitsrecht unterliegen. Sie haben nämlich mit dem gewöhnlichen Arbeitsverhältnis kaum etwas gemeinsam. Ist dieses vom wirtschaftlichen Austausch von Arbeit gegen Entgelt geprägt, werden geschützte Beschäftigungsverhältnisse von einem sozialen Zweck bestimmt und auch nach diesem gestaltet. Sie sind deshalb auf die Bedürfnisse des Dienstleistenden zugeschnitten: Die Leistungsanforderungen werden an sein individuelles Leistungsvermögen angepasst; bei der Arbeit wird er angeleitet. Die psychologische oder medizinische Betreuung dient seinem allgemeinen Wohl. Die Nachfrage nach den hergestellten Erzeugnissen ist meistens gering. Schon die Aufnahme einer geschützten Tätigkeit ist an die Förderungswürdigkeit gebunden, sodass sein Arbeitsplatz ohne Subventionen womöglich nicht aufrechtzuerhalten wäre. Mit anderen Worten: Es kommt der Job zum Dienstleistenden, nicht der Dienstleistende zum Job.

Kein „wirkliches“ Arbeitsleben

Weist das Beschäftigungsverhältnis diese Merkmale auf, könnte das Arbeitsrecht also keine Anwendung finden – und zwar auch dann nicht, wenn das Hauptmerkmal des Arbeitsvertrages, das persönliche Abhängigkeitsverhältnis, vorliegt. Sicherlich unterliegt nicht nur der typische Arbeitnehmer dem Arbeitsrecht. Behinderte, Suchtkranke und Langzeitarbeitslose sind in aller Regel Arbeitnehmer, wenn sie persönlich abhängig sind. Ist aber ein Zusammenhang mit dem „wirklichen“ Arbeitsleben nicht mehr herzustellen, scheint das Arbeitsrecht nicht mehr zu passen. Laufen die Bemühungen der Sozialwirtschaft Österreich, sozial Beschäftigten eine Perspektive innerhalb des Arbeitsrechts zu geben, möglicherweise ins Leere?

Tatsächlich spricht einiges für die Ansicht des OGH. Das Arbeitsrecht versteht unter Arbeitnehmerschutz in erster Linie den Schutz des Erwerbsinteresses des Dienstleistenden. Auch hinsichtlich des Arbeitgebers bezieht es sich klar auf dessen wirtschaftliche Interessen. Das spricht dafür, dass das Arbeitsrecht nicht anwendbar ist, wenn mit einem Vertrag überwiegend Interessen verfolgt werden, die es nicht oder nur wenig schützt. Genau das ist am Zweiten und Dritten Arbeitsmarkt oft der Fall.

Das hat jedoch eine brisante soziale Dimension: Just die Schwächsten in der Arbeitswelt gehen aller mit der Arbeitnehmereigenschaft verbundenen Rechte verlustig. Der neuen Regelung zugunsten niederschwellig, fallweise Beschäftigter könnte daher noch vor ihrem Inkrafttreten 2015 teilweise der Boden entzogen sein. Diese Lücke im Arbeitsrecht zu schließen ist ein Gebot der Stunde. Für Menschen im geschützten Sektor braucht es Rechtssicherheit – durch ein Sonderarbeitsrecht, das die Erfordernisse am Zweiten und Dritten Arbeitsmarkt berücksichtigt.


Dr. Kreiter, M.A. ist Jurist und Politikwissenschaftler. Seine Dissertation über „Beschäftigungsverhältnisse mit besonderer Zweckbestimmung“ erschien im Verlag Österreich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2014)

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