Unrecht als Gesetz: Strafbare Herbergssuche

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Unmenschliches Gesetz und Stimmungsmache der Innenministerin führten zu ungerechter Verurteilung von Asylwerbern.

Wien. Einer kam aus Indien, einer aus Afghanistan, und fünf kamen aus Pakistan, zwei Länder im Krieg mit den Taliban, die gerade 132 Schulkinder systematisch, eine Klasse nach der anderen, niedermetzelten. Für sie war Österreich das gelobte Land, das zweitreichste Land der EU, dessen Hauptprobleme darin bestehen, die Steuerquote um einige Zehntel Prozent zu reduzieren, das Pensionsantrittsalter von 58 Jahren um ein, zwei Jahre anzuheben und den Murks seiner Politiker und Aufsichtsbehörden bei einer konkursreifen Landesbank zu verkraften.

„Auf brutalste Art und Weise“

Wie wurden die Asylwerber im gelobten Land empfangen, das 1956 über 180.000 Ungarn aufgenommen hat, aber heute darüber streitet, in welchen leeren Kasernen des heruntergewirtschafteten Bundesheers jährlich einige tausend Asylwerber unterzubringen sind? Nach den Votivkirchenprotesten von der Caritas im Servitenkloster einquartiert, kamen sie wegen Verdachts der Schlepperei rund acht Monate in U-Haft. Das BKA glaubte, einen Schlepperring zu verfolgen, der von tausend Personen bis zu 10.000 Euro pro Person kassiert hat. Die Behauptung, die Gruppe der Verhafteten gehe auf „brutalste Art und Weise“ bzw. „äußerst unmenschlich“ vor und hätte „schwangere Frauen auf der Schlepperroute hilflos zurückgelassen“, musste die Innenministerin nach heftiger Kritik durch Caritas und Medien zurückziehen. Nach intensiven Ermittlungen der „Soko Schlepperei Süd“ räumte die Staatsanwaltschaft ein, von Millionen und Gewalthandlungen sei – außer von den Äußerungen der Innenministerin – nichts bekannt.

In der ersten Adventwoche kam das Urteil des LG Wr.Neustadt: drei Verurteilungen wegen gewerbsmäßiger Schlepperei, sechs der sieben Angeklagten gehörten einer „kriminellen Vereinigung“ zur Förderung der rechtswidrigen Einreise an. Doch: Niemand hat beim Grenzübertritt geholfen, geschweige denn Schlepperlohn kassiert. Hilfe wurde Landsleuten bei Unterkunft und Essen gewährt, und gelegentlich wurden Tickets, aber nicht für die Einreise, besorgt. Doch für die Richterin ist Hilfe an bereits Eingereiste eine (nachträgliche?) Förderung der rechtswidrigen Einreise. Manchmal wurden nicht nur Kosten ersetzt, sondern auch geringe Aufschläge von zehn bis 40Euro verrechnet. Selbst die Staatsanwältin sah „kein großes Business“. Doch: „Mangels Bagatellgrenze“ reichte dies dem Gericht für die höher bestrafte Gewerblichkeit.

Kommunikationen zwischen den Pakistani über die Hilfe im täglichen Leben sollen eine kriminelle Vereinigung begründen, obwohl sich manche Angeklagte erst in der U-Haft kennengelernt haben. Ein Zusammenschluss „über wenige Tage“ reiche, sagte die Richterin, obwohl im Gesetz „längere Zeit“ steht. Mangels eines „großen Business“ wurden nur sieben bis 28 Monate verhängt, teilweise bedingt und unbedingt nur in Höhe der verbüßten U-Haft. Damit sich die Justiz die Blamage unberechtigter U-Haft und der Staat Haftentschädigungen erspart. „Einen gewissen schlechten Eindruck“ ortet daran vornehm zurückhaltend der Strafrechtsprofessor Fuchs: „Die U-Haft wird zu oft und zu lang verhängt.“ Wie sich hier gezeigt hat, ist sie meist eine kaum revisible Vorverurteilung.

Fuchs und sein Linzer Kollege Birklbauer kritisieren die zu weit gehende Annahme der Gewerblichkeit und der kriminellen Vereinigung. Doch die Ausrede vom typisch österreichischen Pfusch in der Gesetzestechnik zieht hier nicht. Die Wahrheit ist weit schlimmer: Illegale Einreise allein ist nicht gerichtlich strafbar. Kriminalisierung erfolgt durch Gewerblichkeit und kriminelle Vereinigung. Und diese setzt der Gesetzgeber planmäßig gegen die Einreise von Asylwerbern ein. Das verrät die Definition der kriminellen Vereinigung: Nach §278 StGB ist nicht jede Straftat erfasst, sondern sind es v.a. „Verbrechen und andere erhebliche Gewalttaten gegen Leib und Leben“, Sachbeschädigungen, Diebstähle oder Betrügereien aber nur, wenn sie nicht geringfügig sind. Warum fehlt bei der Förderung der illegalen Einreise im selben Gesetz die Geringfügigkeitsausnahme? Sind Vereinigungen zu geringfügigen Diebstählen oder Betrügereien straffrei, warum werden Vereinigungen zu geringfügigen Hilfestellungen, wie Essens- und Unterkunftsbeschaffung, kriminalisiert, mit einem Strafrahmen bis zu zehn Jahren, wie etwa bei Totschlag? Ein Skandalparagraf, der in unserem Rechtsstaat nichts zu suchen hat. Hier liegt Unrecht in Gesetzesform vor!

Vorgehen der Justiz irritiert

Irritierend auch die Vorgangsweise der Justiz: Personen, die als Landsleute in einem fremden Land Kontakte unterhalten und anderen Landsleuten helfen, sind keine Vereinigung. Hilfe bei Unterkunft und Essen ist keine Förderung der Einreise. Das verschämte Eingeständnis dieser exzessiven, überdehnten Gesetzesanwendung ist die Verhängung niedriger Strafen bei einem Strafrahmen von bis zu zehn Jahren. Ausländerfeindlichkeit wird man hier (hoffentlich) nicht unterstellen, doch die rechtsfremde Tendenz zur Rechtfertigung der U-Haft ist unverkennbar.

Die lange Dauer des Verfahrens ist die Folge unverhältnismäßig intensiver Ermittlungen kombiniert mit Schlamperei und dem Nebeneffekt der Steuergeldverschwendung: Monatelange Telefonüberwachung von Essens- und Unterkunftsbeschaffungsaktionen, deren Kosten Innenministerin Mikl-Leitner nach einer Neos-Anfrage nicht nennen kann oder will, wird in 12.000 Mitschnitten dokumentiert, diese werden falsch übersetzt, die „Dolmetscher“ vor Gericht mangelhafter Sprachkenntnisse überführt. Der Pfusch der Verfolgungsbehörden führt zu 43 Verhandlungstagen. Privatkonkurse wird es, anders als beim mehrjährigen Tierschützerprozess, der auf das Konto derselben Staatsanwaltschaft und desselben Gerichts geht, bei den Asylwerbern aber wohl nicht geben.

Alle haben dazu beigetragen: der Gesetzgeber durch einen Unrechtsparagrafen, die (laut Eigenbeurteilung christlich-soziale, nicht ausländerfeindliche) Innenministerin, die – wie bei ihrem skandalösen „Panzerknacker“-Ausspruch („Her mit dem Zaster“) – offenkundig nicht Frau ihrer Formulierungen ist, mit jenem Klima, das zu den exzessiven Ermittlungen ihrer nachgeordneten Soko geführt hat. Und – weil sie kraft ihrer Unabhängigkeit gegen solche Klimastörungen immun sein sollte: besonders betrüblich – auch die Justiz, die ein ohnehin bereits zu weit gefasstes, menschenverachtendes Gesetz auch noch überdehnt angewendet hat: allesamt Beiträge zu Freiheitsentzug, Verurteilung und Demütigung von Schutzsuchenden, die anderen Schutzsuchenden bei der Herbergssuche in unserem Land helfen wollten.


Univ.-Prof. Dr. Hanns F. Hügel ist Wirtschaftsanwalt und lehrt Unternehmens- und Steuerrecht an der Universität Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2014)

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