Restitutionsstreit: Hitlers Bild und die freie Wissenschaft

VERMEERS ´MALKUNST´ SOLL NICHT RESTITUIERT WERDEN
VERMEERS ´MALKUNST´ SOLL NICHT RESTITUIERT WERDEN(c) APA/ KUNSTHISTORISCHES MUSEUM
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Frau klagte, weil sie den Ruf ihres Vater durch ein Gutachten beschädigt sah.

Wien. Es ist ein ungewöhnlicher Prozess, der nun vor dem Obersten Gerichtshof (OGH) ein Ende fand. Im Mittelpunkt: ein Gemälde, das Adolf Hitler 1940 kaufte. Und die Frage, ob der Verkäufer, Jaromir Czernin, und seine Erben durch eine wissenschaftliche Schlussfolgerung in der Ehre gekränkt wurden. Zumal eine Historikerin zum Schluss gekommen war, dass das Bild ohne Zwang verkauft worden war.

Das Bild „Die Malkunst“ von Jan Vermeer (1632–1675) ist eines der Prunkstücke im Wiener Kunsthistorischen Museum (KHM). Der Wert lässt sich kaum abschätzen. Nach Ende der NS-Diktatur versuchten Czernin und später seine Erben, eine Restitution des Gemäldes zu erreichen. Vergeblich. Auch die Kommission für Provenienzforschung – sie untersucht Objekte, die infolge einer NS-Entziehung im Eigentum des Bundes stehen und sich in heimischen Museen befinden – nahm sich des Falles an. Die Kommission kam aber ebenfalls zum Schluss, dass der einstige Verkauf ohne Zwang erfolgt sei.

Ehre des Vaters verletzt?

Doch nun klagte die Tochter von Jaromir Czernin die Provenienzforscherin Susanne Hehenberger, die für die Kommission im KHM tätig war. Und das Ergebnis ihrer Forschung in einem Buch publizierte.

Die Historikerin hatte geschrieben, dass der damalige Verkaufspreis nicht diktiert worden, sondern das Ergebnis von Verhandlungen gewesen sei. Es gebe keinen Hinweis darauf, dass der Verkauf unfreiwillig erfolgt sei. Auch habe sich die jüdische Abstammung von Czernins Frau auf den Verkauf nicht ausgewirkt.

Die Tochter Jaromir Czernins meinte nun aber, dass die Publikation das Lebensbild ihres Vaters grob entstelle und dessen Ehre verletze. Sie begehrte vor Gericht die Entscheidung, dass die Historikerin ihre Behauptungen unterlassen solle (Streitwert: 34.000 Euro). Denn sie stelle ihren Vater fälschlich als Betrüger dar, der zuerst aus freien Stücken an Hitler verkauft habe, um das Gemälde dann unter Vorgabe falscher Tatsachen zurückzufordern.

Die Forscherin wandte ein, dass ihre Schlussfolgerungen auf seriösen Quellen fußen würden und das Ergebnis einer wissenschaftlichen Arbeit seien. Die von ihr in der Arbeit gewählten Formulierungen seien zudem nicht geeignet, die Ehre des Vaters zu verletzen. Insbesondere habe sie ihm niemals eine betrügerische Absicht unterstellt.

Freiheit der Wissenschaft

Schon die erste Instanz wies die Klage ab. Es handle sich um eine Publikation mit wissenschaftlichem Charakter. Eingriffe in die Rechte anderer könnten durch das Recht auf Freiheit der Forschung und Lehre gerechtfertigt sein. Es obliege nicht einem Gericht, zu entscheiden, ob ein Historiker historische Quellen richtig interpretiert habe oder nicht. Das Oberlandesgericht Wien bestätigte das Urteil. Durch „die bloße Wiedergabe ,ihrer‘ Version der Geschichte“ habe die Historikerin weder den Verstorbenen noch Historiker, die anderer Ansicht seien, dem Vorwurf der Lüge oder des Betrugs ausgesetzt.

Auch der OGH konnte keine Ehrverletzung erkennen. Die Historikerin habe Czernin ja „in keinem Punkt auch nur annähernd eine Sympathie für den Nationalsozialismus oder Adolf Hitler unterstellt“. Und „der − nicht ideologisch motivierte – Verkauf eines Gemäldes an Hitler oder sonstige hochrangige Vertreter des Nationalsozialismus wird, auch wenn er nicht erzwungen war, von der Gesellschaft nicht als grundsätzlich verpönt angesehen“, erklärte der OGH. Auch „der Umstand der ,Nichtverfolgung‘ im Dritten Reich stellt als solcher keine Schande dar“, konstatierten die Höchstrichter.

Zudem hätten schon die Vorinstanzen zu Recht auf die im Staatsgrundgesetz verbriefte Freiheit der Wissenschaft und Lehre verwiesen. Und es handle sich zweifelsfrei um eine wissenschaftliche Arbeit.

Fall für Historiker statt Juristen

Eine Ehrenbeleidigungsklage sei in dem Fall „nicht der geeignete Weg“, meinte der OGH. Die Vollständigkeit und die Richtigkeit der von der Historikerin publizierten Ergebnisse könnten „vielmehr nur ihrerseits wieder mit historischen Methoden überprüft werden“, sagten die Höchstrichter (6 Ob 182/15f).

AUF EINEN BLICK

Der Oberste Gerichtshof wies

die Klage gegen eine Historikerin ab. Sie war zum Schluss gekommen, dass ein berühmtes Bild 1940 von Adolf Hitler gekauft wurde, ohne dass der Preis diktiert worden sei. Die Tochter des damaligen Verkäufers hatte in den Schlussfolgerungen der Historikerin eine Ehrenbeleidigung erblickt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.11.2015)

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