UVP-Verfahren: Neue Rechte für betroffene Öffentlichkeit nur vor Gericht

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EuGH-Urteil über Beteiligung an Umweltverfahren lässt im Verwaltungsverfahren nicht unbegrenzt Einwände zu. Eine Replik.

Wien. Große Aufregung um ein Urteil des EuGH im Industrie- und Umweltsektor: Die Entscheidung in der Rs C-137/14, Kommission/Deutschland, vom 15. Oktober hat auffällig rasch für einen verblüffend anfechtbaren Kommentar gesorgt. Im Rechtspanorama vom 19. Oktober vertreten Sander/Reichel die Auffassung, dass die sogenannte Präklusion nunmehr weggefallen sei und daher jedermann ab sofort zu jedem Zeitpunkt in Behördenverfahren rechtswirksam einschreiten könne. Nichts dergleichen kann diesem Urteil entnommen werden.

Die Präklusion ist ein im Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz normiertes Instrument zur Straffung behördlicher Verfahren und bedeutet den Wegfall der Parteistellung in jenem Umfang, in dem eine Partei bis zu einem bestimmten Zeitpunkt keine Einwendungen erstattet. Dieses Instrument des verwaltungsbehördlichen Verfahrens wird im Urteil mit keinem Wort angesprochen.

Der EuGH geht vielmehr davon aus, dass das gerichtliche Überprüfungsverfahren – und nur um dieses geht es in dem Urteil – als ein eigenständiger, vom behördlichen Verfahren unabhängiger Prozess zu begreifen ist. Daraus folgt, dass die Gründe, auf die ein Beschwerdeführer einen gerichtlichen Rechtsbehelf stützen kann, nicht beschränkt werden dürfen. Dies bedeutet aber keineswegs den Wegfall der Präklusion, begrifflich notwendigerweise mit dem behördlichen Verfahren verbunden, sondern ihrer Rechtswirkungen für die Beschwerde an die Verwaltungsgerichte. Diese sind – und das ist tatsächlich neu – nicht mehr an eine eingetretene (Teil-)Präklusion von Parteien gebunden. Die betroffene Öffentlichkeit (im Wesentlichen also die Nachbarn und die Umweltorganisationen, nicht hingegen Umweltanwälte und Bürgerinitiativen) ist nach dem Urteil des EuGH ab sofort – eine Übergangsfrist gibt es nicht – in Verfahren betreffend IPPC-Anlagen (alle wichtigen Industrieanlagen) und UVP-Verfahren (nur dafür ist das Urteil des EuGH einschlägig) unabhängig von ihrer Mitwirkung im Behördenverfahren legitimiert, eine Beschwerde im Rahmen der Reichweite der Parteistellung zu erheben. Dies setzt eine ausreichende Publizität der Bescheiderlassung voraus, die mit der Kundmachung im Internet gegeben ist.

Verwaltungsgerichte verlieren

Die Verlierer dieses EuGH-Urteils sind die Verwaltungsgerichte, die – wie schon bisher – nach dem Primat der Sachentscheidung regelmäßig in der Sache zu entscheiden haben werden. Eine Zurückverweisung mangels ausreichender Sachverhaltserhebung wird in den vom Urteil betroffenen Verfahren aufgrund der ohnehin bestehenden, geradezu enzyklopädischen Ermittlungspflichten der Behörde und der Mitwirkungspflichten der Antragsteller sowie der damit verbundenen behördlichen Feststellungen kaum je möglich sein.

Die Effizienz gerichtlicher Überprüfungsverfahren ist freilich auch dem EuGH ein Anliegen. „Missbräuchliches oder unredliches Vorbringen“ sei unzulässig, hier könne der Gesetzgeber spezifische Verfahrensvorschriften vorsehen. Gestützt auf diese Aussage werden Stimmen laut, wonach neue Bremsen auf gesetzlicher Ebene eingebaut werden müssten.

Vor einem Missbrauch des EuGH-Missbrauchsdiktums ist jedoch zu warnen. Erfahrungsgemäß lässt sich schikanöse Rechtsausübung kaum je nachweisen. Die auch aus der Sicht des Unionsrechts zulässige Beschränkung auf die Beschwerdegründe und das Instrument des Schlusses des Ermittlungsverfahrens müssen wohl ausreichen. Eine gesetzgeberische Reaktion auf das EuGH-Urteil stünde sehr wahrscheinlich im Verdacht neuerlicher Unionsrechtswidrigkeit.

Vor dem Hintergrund personell ausgedünnter Behörden und Sachverständigendienste sowie des Konstruktionsfehlers der Verwaltungsgerichte (inhaltliche Überprüfung ohne eigene Sachverständige) wirkt das Urteil verschärfend. Den Untergang der heimischen Vollzugskultur, den manche vielleicht sehen, bedeutet es aber nicht.


Dr. Christian Onz und Ing. Dr. Florian Berl sind Partner der Onz Onz Kraemmer Hüttler Rechtsanwälte GmbH.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2015)

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