Zweite Chance für überforderte Mutter

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Weil ihr Baby Verletzungen aufwies, wurde einer Frau das Sorgerecht entzogen. Zu leichtfertig, sagt der OGH. Zudem sei das Kind inzwischen älter und die Eltern womöglich reifer.

Wien. Auch wenn man mit einem Baby überfordert erscheint, muss man deswegen nicht gleich das Sorgerecht verlieren. Das zeigt ein Urteil des Obersten Gerichtshofs.

Begonnen hat alles mit dem Verdacht auf Kindesmisshandlung. Die Mutter, die in Lebensgemeinschaft mit dem Vater lebte, suchte wegen einer Verletzung des Babys das Spital auf, später noch eine Kinderärztin. Bei der Untersuchung wurde ein Bruch am linken Oberschenkel festgestellt. Weitere Untersuchungen ergaben aber, dass zwei bis vier Wochen zuvor die Speiche des Kindes gebrochen war. Weiters wurde ein Schienbeinbruch diagnostiziert, der zehn bis 14 Tage her sein musste. Die Kinder- und Jugendhilfe schritt ein, auf deren Initiative begab sich die Mutter in eine Wohngemeinschaft für junge Mütter. Als die Frau nach einigen Monaten nicht mehr in der Einrichtung bleiben wollte, wurde die Obsorge für das Kind im Bereich Pflege und Erziehung vorläufig der Tante statt der Mutter übertragen.

Dagegen wehrte sich die Mutter. Das Bezirksgericht Ried im Innkreis entschied aber, dass der Mutter das Sorgerecht für Pflege und Erziehung entzogen wird. Die Brüche an Oberschenkel und Speiche seien durch äußere Gewalteinwirkung entstanden. Diese sei auch beim Schienbeinbruch mit größter Wahrscheinlichkeit die Ursache.

Nun blieb unklar, wer dem Baby die Verletzungen zugefügt hat. Das Kind wurde meist von den Eltern betreut, manchmal aber auch von den Großeltern. Es sei jedoch als ziemlich wahrscheinlich anzusehen, dass die Verletzungen von einem der Elternteile verursacht wurden, zumal diese meist beim Kind waren, befand das Erstgericht. Jedenfalls hätten die Eltern es nicht geschafft, für die körperliche Unversehrtheit des Kindes zu sorgen, weswegen dieses bei der Tante besser aufgehoben sei.

Das Landesgericht Ried bestätigte das Urteil des Bezirksgerichts. Die Eltern seien nicht in der Lage gewesen, Übergriffe gegen ihr Kind zu verhindern. Und sie hätten wahrnehmen müssen, dass das Kind akute Schmerzen habe. Mutter und Vater seien den Erziehungsaufgaben nicht gewachsen, weswegen eine erhebliche Gefährdung des Kindeswohls vorliege.

Die Mutter freilich hatte die Vorwürfe immer von sich gewiesen. Sie betonte, dass das Gutachten des in dem Fall konsultierten Sachverständigen nicht ausschließe, dass die beiden ersten Verletzungen für die Eltern unerkannt blieben. Zumal Schreien oder Weinen des Kindes beim An- oder Ausziehen auch als bloße Unmutsäußerung interpretiert werden könne. Zudem dürfe es immer nur das letzte Mittel sein, jemandem die Obsorge zu entziehen. Und die Mutter erklärte, sie habe angeboten, jede vom Gericht erteilte Auflage zu akzeptieren, wenn sie nur das Kind behalten dürfe.

Liebevolle Beziehung achten

Beim Obersten Gerichtshof (OGH) fand die Frau Gehör. Er kritisierte, dass das Landesgericht sich mit wichtigen Argumenten der Frau nicht auseinandergesetzt habe. Beweisergebnisse, aus denen sich eine liebevolle Beziehung der Mutter zum Kind ergeben könnte, seien missachtet worden. Auch habe die Mutter im relevanten Zeitraum aus verschiedenen Gründen Ärzte aufgesucht, die keine Verletzungen beim Kind feststellen konnten.

Der OGH hob das Urteil der Unterinstanz auf und ordnete dem Landesgericht an, neu zu entscheiden. Dabei müsse man auch berücksichtigen, dass das Kind, als die Missstände bekannt wurden, acht Monate alt war. Nun aber werde das Kind bald drei Jahre alt. „Auch wenn junge Eltern mit der Betreuung eines Säuglings möglicherweise überfordert sind, muss dies nicht notwendigerweise gleichermaßen für ein Kind im Kindergartenalter gelten“, erklärten die Höchstrichter (1 Ob 37/16x). Die Eltern könnten inzwischen auch reifer geworden sein, gab der OGH der Unterinstanz mit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2016)

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