Wie die Kronzeugenregelung zu retten wäre

 Gernot Schieszler, ehemaliger Telekom-Manager, blieb beim Rückgriff auf die Kronzeugenregelung ziemlich allein.
Gernot Schieszler, ehemaliger Telekom-Manager, blieb beim Rückgriff auf die Kronzeugenregelung ziemlich allein.(c) APA/HELMUT FOHRINGER
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Das Justizministerium möchte über den Sommer noch einmal die Möglichkeiten ausloten, die Kronzeugenregelung zu verlängern. Das wäre im Interesse einer effizienten und raschen Strafverfolgung in komplexen Fällen von Vorteil.

Wien. War das ein Begräbnis erster Klasse? Vorige Woche hätte die modifizierte Kronzeugenregelung den Ministerrat passieren sollen, in letzter Minute wurde sie zurückgezogen. Dass eine Kronzeugenregelung ein schwieriger Balanceakt für den Rechtsstaat ist, war von Anfang an klar – deshalb wurde sie 2010 vorerst befristet auf sechs Jahre beschlossen. Dass sie in der bisherigen Form große Schwächen hat, ist ebenfalls klar. Sie jetzt einfach zu schubladisieren wäre trotzdem ein großer Fehler. Das wissen auch alle Beteiligten, deshalb darf man im Herbst mit einem neuen Anlauf rechnen. Bei einem so umstrittenen Thema noch eine Extrarunde zu drehen trägt zur Akzeptanz bei.

Unerträglich lange Verfahren

Eine effektive Kronzeugenregelung wäre gerade in komplexen Strafverfahren ein guter Hebel, um die oft unerträglich langen Ermittlungsverfahren zu beschleunigen. In zwei Punkten bringt der vorgelegte Entwurf eine deutliche Verbesserung: Kronzeuge kann man nun auch werden, wenn die Staatsanwaltschaft bereits ermittelt. Und es ist nicht mehr zwingend notwendig, dass es zu einer Verurteilung kommt – wesentlich ist nur, dass man einen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung des Sachverhalts leistet. Zweck des Ermittlungsverfahrens ist schließlich objektive Aufklärung und nicht Anklage um jeden Preis. Das nimmt auch den Druck auf Kronzeugen, im Zweifel die Vorwürfe aufzubauschen.

Genügt das bereits für Rechtsstaat und potenzielle Kronzeugen? Für eine taugliche Kronzeugenregelung sind folgende Punkte von zentraler Bedeutung:
•Es braucht einerseits einen klaren Kriterienkatalog, mit dem man selbst prüfen kann, ob man als Kronzeuge infrage kommt und unter welchen Umständen der Status später aberkannt werden kann.
•Es braucht andererseits bereits am Beginn eines Verfahrens eine Entscheidung, ob der Status grundsätzlich zuerkannt wird, mit klarer rechtsstaatlicher Einbettung und Kontrolle. Eine Kronzeugenregelung steht im Spannungsverhältnis mit althergebrachten Grundsätzen. Deshalb muss sie transparent und sorgsam angewendet werden.
•Eine Lösung für die zivilrechtliche Haftung wäre anzudenken. Solange Kronzeugen fürchten müssen, für einen illiquiden oder untergetauchten Mittäter durch solidarische Haftung wirtschaftlich vernichtet zu werden, werden sie nicht auspacken. Eine aliquote Haftung entsprechend dem Tatbeitrag würde einen sinnvollen Kompromiss auch im Sinne des Opfers darstellen, denn ohne Kronzeugen erhält das Opfer oft gar nichts.

Bereit, alles zu sagen?

Der erste Punkt ist einfach zu bewerkstelligen. Gestützt auf Beispiele schon in den erläuternden Bemerkungen (wie beim Korruptionsstrafrecht) könnte ein Handbuch konkrete Konstellationen durchdeklinieren. Die einzige Unsicherheit sollte künftig beim potenziellen Kronzeugen liegen: Weiß ich genug, um den Status zu erhalten? Und bin ich wirklich bereit, alles auszusagen, was ich weiß?

Der zweite Punkt, eine Entscheidung bereits zu Verfahrensbeginn, ist viel komplexer: Die Staatsanwaltschaft sollte deutlich rascher als bisher zu entscheiden haben, ob von einem Kronzeugen ein ausreichender Mehrwert zu erwarten ist. Unsere Rechtstradition legt es nahe, die Zuerkennung des außergewöhnlichen Kronzeugenstatus zumindest einer richterlichen Kontrolle zu unterwerfen. Das vergrößert für den Kronzeugen aber nicht nur die Gefahr einer negativen Entscheidung, es verzögert auch die Entscheidung. Dem kann nur durch einen möglichst engen Ermessensspielraum und kurze Fristen begegnet werden.

Binnen vier Wochen nach Meldung müsste die Staatsanwaltschaft entscheiden. Zur Beschleunigung sollten Dienstbesprechungen schriftliche Vorhabensberichte gänzlich ersetzen. Weitere vier Wochen müssen genügen, bis ein Haft- und Rechtsschutzrichter (HR-Richter) sich sein eigenes Bild gemacht hat, ob die Zuerkennung durch die Staatsanwaltschaft in Ordnung geht. Auf die Einhaltung dieser Frist sollte auch der potenzielle Kronzeuge drängen können. Angesichts der vermutlich auch weiterhin überschaubaren Fallzahlen ist es zumutbar, dass der Rechtsschutzbeauftragte sich parallel zum HR-Richter mit dem Fall vertraut macht.

Ein derartiger Kompromiss sollte eigentlich alle zufriedenstellen, die eine reine Entscheidungskompetenz der Staatsanwaltschaft als unakzeptablen Systembruch betrachtet hätten.

Über Grundsatzdiskussionen sollten wir nach sechs Jahren eigentlich hinaus sein. Dass es dem Rechtsstaat und dem Opfer mehr dient, fast alle Täter einer schwerwiegenden Tat zu überführen als keinen einzigen, steht inzwischen weitgehend außer Streit. Dass tätige Reue und Selbstanzeige in Finanzstrafsachen eine vergleichbare, höchst erfolgreiche Brücke in die Legalität bieten, wird ebenso anerkannt wie der Bonus für den Täter, der ein Kartell offenbart.

Um rechtspolitischen Bedenken Rechnung zu tragen, könnte man eine Gruppe vom Kreis der Kronzeugen ausschließen: Wer selbst andere zur Tat bestimmt hat, sollte nicht infrage kommen. Allerdings gilt auch hier wieder: Diese Einschränkung ist nur praktikabel, wenn sie so klar definiert ist, dass Betroffene sich treffsicher selbst einordnen können. Das schönste Konstrukt nützt nichts, wenn es den potenziellen Kronzeugen keine Sicherheit gibt. Unser (Straf-)Recht muss wieder einfacher werden.

Mag. Georg Krakow, MBA, ist Partner bei der internationalen Anwaltskanzlei Baker & McKenzie. Als Kabinettschef im Justizministerium war er 2010 wesentlich an der Einführung der Kronzeugenregelung beteiligt.

georg.krakow@bakermckenzie.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2016)

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