Weil der Tod billiger kommt: Versicherung muss zahlen

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Aus religiösen Gründen lehnte ein Unfallopfer Blutkonserven ab und starb. Höchstgericht spricht Witwer trotzdem Geld zu.

WIEN. Es ist ein bemerkenswertes Urteil, das der Oberste Gerichtshof (OGH) nun fällte. Im Mittelpunkt stand der tragische Unfall einer Frau, die im Jahr 2005 als Fußgängerin in Wien von einem Sattelzug mit polnischem Kennzeichen erfasst worden war. Ihr Leben hätte möglicherweise mit Blutkonserven gerettet werden können, doch das verweigerte die Frau als Angehörige der Zeugen Jehovas.

Wegen dieses Umstands stand es zwischenzeitlich schlecht um die Schadenersatzansprüche des Witwers. Nachdem die beiden Unterinstanzen uneinig gewesen waren, entschied der OGH im Jahr 2011, dass die Folgen der abgelehnten Bluttransfusion der Frau zuzurechnen seien. Der Witwer hatte vergeblich gefordert, dass die Verweigerung einer medizinischen Behandlung aus religiösen Gründen nicht die Schadenersatzansprüche mindern dürfe. Die Gewissensfreiheit des einen könne aber nicht dazu führen, dass jemand anderer einen Schaden zahlen müsse, meinten die Höchstrichter damals. Denn sonst wäre neben der Religionsfreiheit ein anderes Grundrecht betroffen, jenes auf Eigentum.

Bei Überleben Pflegefall

Nicht geklärt wurde damals aber, ob die Blutkonserven unbedingt nötig gewesen wären und ob sie das Leben wirklich gerettet hätten. Ein zweiter Rechtsgang wurde nötig. In diesem wartete der Witwer bzw. seine Rechtsvertretung mit einer neuen Argumentation auf. Nämlich damit, dass die Gegenseite (also die Versicherung) noch viel mehr hätte bezahlen müssen, wenn die Frau durch die Blutkonserven überlebt hätte. Denn die Verletzungen der Frau waren schwerwiegend. Hätte sie überlebt, dann nur mit Amputationen, die wiederum eine dauernde Pflegebedürftigkeit zur Folge gehabt hätten.

So gesehen habe die Weigerung, sich Bluttransfusionen geben zu lassen, den finanziellen Schaden sogar verringert, argumentierte die Klägerseite. Denn der Witwer forderte kleinere Beträge ein. Neben 600 Euro für die Schmerzen, die die Frau verspürte (darüber war bereits im ersten Rechtsgang befunden worden), verlangte der Mann für sich ein Trauerschmerzengeld von 10.000 Euro. Denn er war nach dem Tod der Frau, mit der er 44 Jahre verheiratet gewesen war, in ein „schwarzes Loch“ gefallen. Zudem sollten die Kosten für das Begräbnis (5675 Euro) beglichen worden.

Erste Instanz weist ab

Die Beklagtenseite, der Verband der Versicherungsunternehmen, sah keinen rechtlichen Grund zu zahlen. Auch das Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen wies die Klage ab. Hätte die Frau Blutkonserven akzeptiert, hätte diese Maßnahme die Todesursache Blutverlust verhindert. Und auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Frau trotz Fettembolie überlebt hätte, wäre höher gewesen, meinte das Erstgericht. Die Frau habe somit gegen die Schadensminderungspflicht verstoßen, die man als Geschädigter habe. Und in diesem Fall komme eine „Vorteilsanrechnung“ (weil der Tod weniger kostet als das Überleben) nicht in Betracht.

Das Oberlandesgericht Wien hob das Urteil auf. So habe die Unterinstanz die medizinischen Folgen des Erhalts bzw. Nichterhalts der Blutkonserven nicht ausreichend klar beleuchtet. Und sollte sich herausstellen, dass das Verhalten der Frau den finanziellen Schaden gar nicht vergrößert, sondern verkleinert hat, sei dabei auch dies zu berücksichtigen. Um die Beweislastverteilung für diese Fragen zu klären, wurde aber noch der Rekurs an den Obersten Gerichtshof erlaubt.

Es komme hier aber gar nicht darauf an, ob die Frau nun mit Blutkonserven überlebt hätte oder nicht, meinte der OGH. Klar sei nämlich jedenfalls, dass bereits das Schmerzengeld für die Frau, falls sie überlebt hätte, zwangsläufig ein Mehrfaches der Summe betragen hätte, die nun ihr Mann einfordert.

Zwar müsse man einerseits berücksichtigen, dass die Frau gegen die Schadensminderungspflicht verstoßen habe, wenn sie Blutkonserven ablehnte. Aber schon aus Gründen des „juristischen Gleichgewichts“ dürfe sich der Witwer der Frau auf den „Gegeneinwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens“ berufen, sagte der OGH. Also auf das Szenario, das passiert wäre, wenn die Frau die Blutkonserven akzeptiert hätte.

Mögliche Rettung irrelevant

Und „selbst wenn mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststünde, dass die Bluttransfusionen lebenserhaltend gewirkt hätten, wäre dem Kläger jedenfalls der Beweis gelungen, dass in diesem Fall der maßgebliche rechnerische Schaden höher gewesen wäre, als er durch den Tod der Geschädigten bewirkt worden ist“, erklärte der OGH (2 Ob 148/15a). Die Höchstrichter sprachen dem Mann somit nun die begehrten 15.675 Euro Schadenersatz zu. Unabhängig davon, ob die Bluttransfusion das Leben der Frau gerettet hätte.

AUF EINEN BLICK

Der Oberste Gerichtshof (OGH) gab der Klage eines Witwers, dessen Frau bei einem Verkehrsunfall getötet worden war, statt. Die Frau hätte zwar möglicherweise gerettet werden könne, wenn sie Bluttransfusionen akzeptiert hätte. Das verweigerte sie aber als Angehörige der Zeugen Jehovas. Weil aber das Überleben der Frau als Pflegefall höhere Schadenersatzansprüche ausgelöst hätte als ihr Tod, sprach der OGH dem Witwer trotz der verweigerten Bluttransfusion Schadenersatz (Trauerschmerzengeld, Begräbniskosten) zu.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2016)

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