Mangel an Beamten verzögert Großprojekte enorm

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Drei Jahre und drei Monate dauerte es bis zur Genehmigung einer wichtigen Starkstromleitung. Der Fall zeigt die Missstände bei der Umweltverträglichkeitsprüfung.

WIEN. Die Gesetzeslage wird immer komplizierter, das Personal immer weniger, die Verfahren immer länger: Dieser Mix macht die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) bei Großprojekten für die Beteiligten zunehmend unverträglich. Deutlich zeigt das ein Verfahren, das im Sommer mit sechs Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes (führendes Verfahren: 2007/05/0101-24) zu Ende gegangen ist. Das Höchstgericht hat damit für die sogenannte 380-kV-Steiermarkleitung endgültig grünes Licht gegeben. Diese 98 Kilometer lange Starkstromfreileitung zwischen dem Südburgenland und dem Großraum Graz ist für die Sicherheit der Stromversorgung in Österreich von allergrößter Bedeutung. Vom Planungsbeginn bis zur Fertigstellung vergingen sechseinhalb Jahre, die Hälfte dieser Zeitspanne entfiel auf die Genehmigungsverfahren nach dem UVP-Gesetz.

Einigkeit besteht darin, dass die Dauer der Genehmigungsverfahren für Großprojekte, namentlich nach dem UVP-Gesetz, verkürzt werden muss. Wie dies erfolgen soll, ist allerdings umstritten. Am Beispiel der Steiermarkleitung lässt sich die Sache freilich anschaulich darstellen: Das UVP-Gesetz umfasst nahezu alle (volks-)wirtschaftlich relevanten Vorhaben in den Bereichen Straße und Schiene, Anlagen der Energiewirtschaft (Kraftwerke, Leitungen), Industrieanlagen, die Abfallwirtschaft, den Bergbau, Einkaufszentren, Tourismusanlagen – all dies ist ab einer bestimmten Projektgröße nach dem UVP-Gesetz zu genehmigen. Das Gesetz fordert die Anwendung aller infrage kommenden Anlagengesetze (zum Beispiel Bauordnung, Gewerbeordnung, Wasserrechtsgesetz) in einem einzigen Verfahren und statuiert darüber hinaus höchste Anforderungen, vor allem sehr strenge und weit gespannte ökologiebezogene Genehmigungsvoraussetzungen. Neben den eigentlichen Betroffenen (also den Nachbarn einer Anlage) wurde, obwohl EU-rechtlich nicht gefordert, auch Bürgerinitiativen, Gemeinden, Umweltanwaltschaften und anderen eine Vielzahl von Mitspracherechten eingeräumt. So weit, so gut.

Jedes Gesetz ist freilich nur so gut, wie es auch wirksam vollzogen wird. Für das UVP-Gesetz bedarf es daher besonders versierter Behörden, die den hohen gesetzlichen Standard in angemessener Zeit umzusetzen vermögen. Das Gesetz beruft daher die Landesregierungen und als Oberbehörde den unabhängigen Umweltsenat in Wien zu seiner Vollziehung. Hinzu kommt ein Sachverständigendienst im jeweiligen Bundesland, dem bei UVP-pflichtigen Projekten überragende Bedeutung zukommt. Diese Behörden sollen in möglichst kurzer Frist hochwertige Genehmigungsentscheidungen treffen. Der Aspekt der Entscheidungsqualität ist wichtig, denn Tempo ohne Qualität führt nur zur höchstgerichtlichen Entscheidungsaufhebung, böses Erwachen inbegriffen.

In der Vollzugswirklichkeit ist freilich Folgendes zu beobachten: Seit Jahren wird unter dem Schlagwort der Verschlankung der Verwaltung eine schleichende Aushöhlung des Vollzugs betrieben; sie besteht in nichts anderem als der Einsparung von Dienstposten, vor allem durch unterbleibende Nachbesetzungen. Daher sind die (UVP-)Behörden in den Ländern teilweise erheblich unterbesetzt. Die Oberbehörde in Wien, der sogenannte Umweltsenat, besteht überhaupt nur aus hauptberuflich anderweitig tätigen Juristen (oder solchen im Ruhestand) und muss ohne eigenen Sachverständigenapparat auskommen.

Einziger Sachverständiger geht auf Urlaub

Wenn, wie beispielsweise jüngst erlebt, in einem großen Bundesland für ein bestimmtes Fachgebiet nur ein einziger Sachverständiger zur Verfügung steht und dieser, weil nicht für Großvorhaben freigestellt, die Akten nach Einlangen bearbeitet und dann auch noch den ihm zustehenden Urlaub konsumiert, so führt dies zu einem mehrmonatigen Stillstand des gesamten Verfahrensgeschehens. Gerade der chronisch unterbesetzte Sachverständigendienst ist eine Hauptursache für die langen Verfahrensdauern. Während die Gesetzeslage immer weiter verkompliziert wird – der Politik fehlt der Mut zu einer wirksamen Deregulierung –, wird der Vollzug langsam, aber beständig ausgezehrt. Dabei trifft es nicht alle gleich: Für konzeptive Abteilungen, die Legistik, die notwendige tägliche Beamtenkarawane nach Brüssel und retour haben die öffentlichen Dienstgeber weit mehr Verständnis. Die Knochenarbeit des Individualvollzugs wird dagegen kaum geschätzt. Was hier eingespart wird, wird durch den Schaden, den eine zunehmend demotivierte Vollziehung stiftet, bei Weitem übertroffen. Denn wenn sich der Ordnungsstaat seiner ureigenen Aufgabe immer weniger annimmt, ist dies nicht nur eine Frage der Sicherung des Wirtschaftsstandortes; letztlich wird eine ganze Staatsfunktion unterminiert.

Es wird noch schlimmer

Die zermürbende Politik der fortgesetzten Einsparungsschritte ohne konzeptive Grundlage, die durch Untergrabung der Qualität der öffentlichen Dienstleistung zulasten des Bürgers und der Wirtschaft geht, wird dennoch unvermindert fortgesetzt werden. Gleichzeitig werden wohl wieder neue Gesetzesinhalte geschaffen, um die Initiativbürger zufriedenzustellen und die Fahne des Umweltschutzes in den Wind zu hängen, die Schere wird also weiter aufgehen. Vielleicht werden wir uns im Rückblick wehmütig jener Zeiten erinnern, als es noch möglich war, eine 98 Kilometer lange Starkstromfreileitung in drei Jahren und drei Monaten rechtskräftig genehmigt zu erhalten.

Rechtsanwalt Dr. Christian Onz ist Partner der Onz, Onz, Kraemmer, Hüttler Rechtsanwälte GmbH in Wien.

AUF EINEN BLICK

Der Personalstand an den für die Umweltverträglichkeitsprüfung zuständigen Ämtern sinkt seit Jahren. Die Verschlankung bewirkt eine schleichende Aushöhlung. Die Mitglieder des Umweltsenats, der wichtigsten zentralen Umweltbehörde, müssen ihre Tätigkeit nebenberuflich ausüben. Die Einsparungen stehen in Kontrast zur Bereitwilligkeit der Politik, den Kreis der Mitspracheberechtigten ständig zu erweitern und so die Verfahren aufwendiger zu machen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2009)

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