Schluss mit „im Zweifel zugunsten des Fiskus“

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Ein einziges Verwaltungsgericht des Bundes sollte auch für das Steuerrecht zuständig sein. Die Verwirklichung des an sich begrüßenswerten Vorhabens bedarf der Zweidrittelmehrheit.

WIEN. Das Bundeskanzleramt hat vor wenigen Tagen den Entwurf einer lange vorbereiteten Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2010 versendet. Die vorgeschlagenen Änderungen des B-VG sehen eine mehrstufige Verwaltungsgerichtsbarkeit vor. Die Verwirklichung des an sich begrüßenswerten Vorhabens bedarf der Zweidrittelmehrheit. Die Regierungsparteien haben daher die Umsetzung nicht alleine in der Hand.

Der Unabhängige Finanzsenat (UFS) soll durch ein Verwaltungsgericht des Bundes für Finanzen ersetzt werden. Der UFS besteht seit 2003 und trat an die Stelle der früheren Berufungssenate. Die Mischverwendung der den Senaten angehörenden Beamten war jahrzehntelang kritisiert worden. Sie waren nur als Senatsmitglieder weisungsfrei, bei ihren anderen Aufgaben aber weisungsgebunden. Der UFS brachte wesentliche Verbesserungen: Seine Mitglieder sind unabhängig. Zwischen Finanzamt und Steuerpflichtigen besteht nun „Waffengleichheit“. Gerichtsähnlich ist der UFS dennoch nicht. Er steht sogar hinter den Unabhängigen Verwaltungssenaten (UVS) zurück, die ebenfalls durch Verwaltungsgerichte ersetzt werden sollen. So ist die feste Geschäftsverteilung beim UFS nur ansatzweise verwirklicht. Der weitere Ausbau des Rechtsschutzes ist daher unbedingt erforderlich. Für das Steuerrecht dürfen keine niedrigeren Standards maßgebend sein als für das sonstige Verwaltungsrecht.

Der Entwurf ermöglicht die Mitentscheidung „fachkundiger Laienrichter“. Derzeit gehören abgabenrechtlichen Berufungssenaten des UFS – im Gegensatz zu den zollrechtlichen Senaten – zwei Laien an. Anders als bis 2002 kommen Angehörige der rechtsberatenden Berufe als Laienbeisitzer heute nicht mehr in Betracht. Dafür sprechen überzeugende Gründe: Ein Rechtsanwalt, Notar oder Steuerberater sollte nicht Senatsmitglied sein und am nächsten Tag vor seinen richterlichen „Kollegen“ als Parteienvertreter plädieren können. Laien dürfen daher nur von anderen Interessensvertretungen entsendet werden. Ihre Mitwirkung bringt aber wenig. Ihr Einfluss ist gering. Sie verfügen häufig nicht über die erforderlichen steuerrechtlichen Kenntnisse. Wegen des Dirimierungsrechts des Vorsitzenden bleiben sie gegenüber den beiden hauptberuflichen Mitgliedern in der Minderheit. Der Gesetzgeber sollte auf die Laienmitwirkung im Steuerrecht verzichten.

Verfahrensrechte angleichen

Der Entwurf strebt ein einheitliches Verfahrensrecht für alle Verwaltungsgerichte an. Abweichende Regelungen sollen nur zulässig sein, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind. Dies ist begrüßenswert. Einzelne abgabenrechtliche Sonderregelungen werden zwar unvermeidlich sein. Entscheidend ist aber: Im Steuerrecht sollte das verwaltungsgerichtliche Verfahren dem Grundsatz nach nicht anders geregelt sein als sonst im Verwaltungsrecht. Weitgehend übereinstimmende verwaltungsgerichtliche Regelungen könnten dann Anlass für eine weitere Reform sein: Die bestehenden Unterschiede zwischen AVG und BAO für das verwaltungsbehördliche Verfahren sind kritisch zu überprüfen, die Regelungen soweit wie möglich anzugleichen.

Leider sieht der Entwurf ein eigenes Verwaltungsgericht des Bundes für Finanzen vor. Die Verfasser sahen offenbar ein einziges Verwaltungsgericht des Bundes als zu groß und zu schwerfällig zu administrieren an. Diese Gefahr könnte aber durch entsprechende Gestaltung der innergerichtlichen Organisation beseitigt werden. Die Nachteile zweier unterschiedlicher Verwaltungsgerichte des Bundes wiegen schwer. Das Steuerrecht und die anderen Verwaltungsrechtsgebiete würden sich weiterhin und noch stärker auseinanderentwickeln. Schon jetzt wenden Behörden und Gerichte bedauerlicherweise immer wieder steuerliche „Sondermethoden“ an: Sie missverstehen gelegentlich die steuerrechtlich gebotene „wirtschaftliche Betrachtungsweise“ als Ermächtigung zur Umdeutung des Sachverhalts nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Oft lösen sie Umgehungsversuche fälschlich durch Rückgriff auf die angeblichen Motive des Steuerpflichtigen und die behauptete Ungewöhnlichkeit der Gestaltung, statt bei der Interpretation der vermeintlich oder tatsächlich umgangenen Regelung auf deren Zweck abzustellen. Mitunter erfolgt sogar noch heute die Auslegung von Steuergesetzen im Zweifel zugunsten des Fiskus. Die Gefahr derartiger Fehlentwicklungen steigt bei Abschottung der steuerlichen Gerichte. Stattdessen sollten die für das Steuerrecht zuständigen Richter gelegentlich an Entscheidungen in anderen Rechtsgebieten mitwirken. Sie würden davon profitieren. Umgekehrt sollten Experten anderer Gebiete des Verwaltungsrechts mitunter bei steuerlichen Fällen beigezogen werden. Für die steuerrechtliche Rechtsprechung wäre dies eine Bereicherung. Ein einziges Verwaltungsgericht des Bundes würde die personelle Durchmischung erleichtern, die Entwicklung einer gemeinsamen richterlichen Kultur begünstigen und die Gefahr methodischer Sonderwege verringern.

Gegen ein einziges Verwaltungsgericht scheinen die unterschiedlichen Ernennungsvoraussetzungen für die Mitglieder zu sprechen. Der Entwurf fordert für Finanzrichter nicht unbedingt ein rechtswissenschaftliches Studium. Ein „einschlägiges Studium“ genügt. Dem UFS gehören derzeit auch Wirtschaftswissenschaftler an. Der UFS hat mit ihnen gute Erfahrungen gemacht. Sie haben im Studium oft eine qualifizierte steuerrechtliche Ausbildung erworben. An ihnen kann aber auch bei Errichtung eines einzigen Verwaltungsgerichts festgehalten werden. Für die Mitglieder abgabenrechtlicher Senate dieses Gerichtes könnten spezifische Ernennungsvoraussetzungen gelten.

Monopol für Juristen

Vielleicht würden die Finanzrichter dann aber zu Richtern „zweiter Klasse“. Als Alternative ist daher zu erwägen, die Ernennung der derzeit dem UFS angehörenden Wirtschaftswissenschaftler zu Richtern des Verwaltungsgerichts des Bundes als Ausnahme zuzulassen. Sonst sollten auch die für Steuerrecht zuständigen Richter einen rechtswissenschaftlichen Studienabschluss benötigen. Das Juristenmonopol wäre dann auch in der Steuerrechtsprechung langfristig wiederhergestellt.

Ein für das Steuerrecht zuständiges Verwaltungsgericht sollte keinesfalls zum Finanzministerium ressortieren. Derzeit liegt dort die Dienstaufsicht über den UFS. Die Finanzämter sind als nachgeordnete Dienststellen des Ministeriums Partei vor dem UFS. Controllingmaßnahmen des Ministeriums gegenüber dem UFS wurden daher schon wiederholt – auch wenn der Sache nach völlig unberechtigt – als Retourkutsche für gegen die Interessen des Fiskus gerichtete Entscheidungen des UFS gesehen. Die schiefe Optik ist derzeit nicht zu vermeiden. Die Akzeptanz des UFS und die Wahrnehmung seiner Unabhängigkeit leiden darunter. Jeder Anschein einer Einflussnahme des Fiskus auf ein Verwaltungsgericht des Bundes ist unbedingt zu vermeiden. In Deutschland ist die steuerliche Rechtsprechung in fast allen Bundesländern aus guten Gründen bei den Justiz- und gerade nicht bei den Finanzministerien angesiedelt.

Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Lang ist Vorstand des Instituts für Österreichisches und Internationales Steuerrecht der WU.

NEUE RECHTSWEGE

Neun plus zwei. Bundeskanzler Faymann schlägt neun neue Verwaltungsgerichte in den Ländern und zwei auf Bundesebene vor. Im Gegenzug werden rund 120 Sonderbehörden und Senate des Bundes und der Länder aufgelöst. Oberste Instanz bleibt – außer für Asylwerber – der Verwaltungsgerichtshof, der Verfahren verstärkt ablehnen kann. Die Verwaltungsgerichte der Länder erledigen Rechtsmittel anstelle der Verwaltungsinstanzen. Auf Bundesebene ersetzt ein Verwaltungsgericht des Bundes unter anderem Bundesvergabeamt und -umweltsenat. Der Unabhängige Finanzsenat wird zum Verwaltungsgericht des Bundes für Finanzen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2010)

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