Scheidungsrecht: Regeln sind nicht zeitgemäß

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Unterhalt. Im Prozess wird entschieden, wer der „Schuldige“ ist. Dabei will das niemand. Es besteht weit verbreiteter Konsens, dass die Verschuldensscheidung eigentlich beseitigt werden sollte.

Wien. Universitätsprofessorin Astrid Deixler-Hübner hat im „Rechtspanorama“ erklärt, das österreichische Familienrecht sei das altmodischste in Europa. Ich teile diese Einschätzung. Seit Jahren ist der Reformbedarf des Unterhaltsrechts und der Verschuldensscheidung offensichtlich.

Nach wie vor ist der Unterhaltsanspruch nach einer Scheidung vom Verschuldensausspruch abhängig. Der Richter muss entscheiden, wer die Zerrüttung der Ehe verursacht hat. Davon hängt es ab, ob jemand unter Umständen sogar ein Leben lang Unterhalt zahlen muss – oder auch, ob jemand gar nichts bekommt. Doch außer Menschen mit verdichtetem Unrechtsbewusstsein liebt niemand die Verschuldensscheidung. Die Richter wollen nicht im Intimleben der Parteien herumstöbern müssen. Die Anwälte und die Parteien quälen sich durch stundenlange Einvernahmen über Ehebruch oder sonstige Eheverfehlungen. Und den Scheidungswilligen ist es peinlich.

Es besteht weit verbreiteter Konsens, dass die Verschuldensscheidung eigentlich beseitigt werden sollte. In Europa ist dies in sehr vielen Staaten schon geschehen, aber bei Weitem nicht in allen. Auch in den verschiedenen Bundesstaaten der USA gibt es nach wie vor „fault-states“ und „non-fault states“. Die Problematik des Unterhalts nach der Scheidung ist ein vielschichtiges, nämlich ein gesellschaftspolitisches, soziales und wirtschaftliches. Die große Frage ist, wovon nachehelicher Ehegattenunterhalt abhängig gemacht wird, wenn es nicht mehr das Verschulden ist. Es gibt verschiedene Lösungsansätze.

Andere Länder, andere Sitten

In Deutschland waren bis Ende 2007 die „ehelichen Lebensverhältnisse“ relevant. Nach der Reform gibt es nur mehr bei einem „ehebedingten Nachteil“ Unterhalt. Dieser ist schwieriger zu beweisen. Nach der Intention des Gesetzgebers sollte es auch nur mehr für begrenzte Zeit einen Unterhalt geben. Es kam allerdings zu einem Nord-Süd-Gefälle. In Bayern zum Beispiel wurde auch nach 2007 immer lebenslanger Unterhalt zuerkannt, weil man den Begriff des „ehebedingten Nachteils“ sehr weit auslegte. In Berlin gab es oft nicht einmal einen befristeten Unterhalt. Dies hat zu einer totalen Unsicherheit und einem neuen Einschreiten des deutschen Gesetzgebers geführt. Nach wie vor spielt in Deutschland aber die Verschuldensfrage eine Rolle, zwar nicht bei der Scheidung selbst, aber bei der Bemessung des Unterhalts im Einzelfall. Das Problem wurde also nur verlagert.

In Spanien ist jederzeit eine „grundlose“ Scheidung möglich. Es gibt keine gesetzliche Regelung, und es herrscht dort praktisch richterliches „Case law“. In der Praxis führt das meist zu einem zwei- bis dreijährigen Ehegattenunterhalt. Lebenslangen Unterhalt gibt es nur nach einer 20-jährigen Ehe. Dieser Ansatz ist klar, wird aber im Hinblick auf unsere tatsächlichen soziologischen Verhältnisse mit zahlreichen Hausfrauenehen politisch nicht durchsetzbar sein und zu einem Aufschrei aller Frauenvereinigungen führen.

Ebenso wäre das französische Modell, bei dem kurzfristiger Unterhalt und eine einmalige Abschlagszahlung vorgesehen sind, politisch nicht umsetzbar, weil er keine Mehrheit in der Bevölkerung finden würde. Ich erinnere mich an das Scheidungsverfahren einer Französin gegen ihren Mann, der Generaldirektor einer französischen Niederlassung in Österreich war. Nach österreichischem Recht stand der Frau dem Grunde nach lebenslanger Unterhalt zu. Als die Mandantin ihre französische Anwältin fragte, was sie in ein bis zwei Jahren machen sollte, entgegnete die aber ohne nachzudenken: „Dann werden Sie arbeiten müssen!“ Das zeigt, dass das gesellschaftliche Verständnis für die Rolle der Frau in Frankreich ein anderes ist. Allerdings muss man in diesem Zusammenhang betonen, dass die Kinderbetreuungseinrichtungen in Frankreich besser entwickelt sind. Es gibt die Ganztagsschule, Frauen haben gute Möglichkeiten, berufstätig zu sein.

Interessant ist die Regelung in Kalifornien. Dort gibt es keine Verschuldensscheidung mehr, dafür mehrere Kriterien für den nachehelichen Unterhalt, zum Beispiel:
•Fähigkeiten der Ehegatten, Zeit im Haushalt während der Ehe, Erwerbsfähigkeit des Unterhaltsberechtigten unter Berücksichtigung des Kindeswohles;
•Bedürfnisse beider gemäß dem bisherigen Lebensstandard; das Vermögen beider;
•Dauer der Ehe; Alter und Gesundheitszustand der Eheleute; Gewalt in der Ehe;
•steuerliche Scheidungsfolgen; •der Unterhaltsberechtigte soll in angemessener Zeit selbsterhaltungsfähig sein. Zur Bemessung dieser Zeit wird meist die halbe Dauer der Ehe herangezogen. Überdies gibt es eine Generalklausel und Gründe, wann der Unterhalt verwirkt sein kann. Die kalifornische Regelung sieht also eine richterliche Entscheidung im Einzelfall vor.

Es gibt kein ideales Modell

Es gibt bei der Frage des nachehelichen Unterhalts kein Idealmodell. Ein vorhersehbares System bringt Klarheit, führt aber bei abweichenden Lebensverhältnissen immer zu ungerechten Ergebnissen. Eine Einzelfallgerechtigkeit, wie zum Beispiel das kalifornische Modell, führt aber zu einer vollkommenen Unvorhersehbarkeit für die Betroffenen.

Österreich ist ein konservatives Land und hinkt nicht nur im Ehegattenunterhaltsrecht, sondern insbesondere im Kindschaftsrecht den Entwicklungen hinterher. Die Meinungen der Sachverständigen bei Obsorgeentscheidungen würden in den meisten europäischen Ländern nicht dem Standard entsprechen. Glücklicherweise entwickelt die österreichische Rechtsprechung das Unterhaltsrecht und das Familienrecht weiter. Wünschenswert wäre jedoch, wenn der Gesetzgeber das Unterhaltsrecht umsichtig, aber bald reformiert.

Dr. Alfred Kriegler ist
Rechtsanwalt in Wien.

AUF EINEN BLICK

In Österreich spielt das Verschulden am Scheitern der Ehe eine große Rolle, die Unterhaltsfolgen richten sich danach. Richter kritisieren aber, dass sie nicht im Privatleben der Eheleute herumstöbern wollen. Den Scheidungswilligen ist die Beweisaufnahme meist peinlich. Andere europäische Staaten haben die Verschuldensscheidung bereits abgeschafft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2010)

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