Verwaltungsgerichte: Reform als Pflicht und Kür zugleich

(c) Bilderbox.com
  • Drucken

Eine umfassende verwaltungsgerichtliche Kontrolle ist aus grundrechtlicher Sicht nötig. Die Reform schafft auch die Basis für raschere Verfahren.

WIEN. Mit der Vorlage eines Begutachtungsentwurfs zur grundlegenden Neuordnung des Rechtsschutzes gegen Entscheidungen der Verwaltungsbehörden scheint – nach langer Diskussion und zahlreichen Vorschlägen – eine Realisierung der seit vielen Jahren geforderten Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz in greifbare Nähe gerückt.

Das vorgeschlagene neue Rechtsschutzmodell sieht die Einrichtung einer zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit vor. Danach soll es in jedem Bundesland anstelle der Unabhängigen Verwaltungssenate (UVS) ein Verwaltungsgericht erster Instanz geben. Für den Bund sind zwei Verwaltungsgerichte erster Instanz vorgesehen („9+2“-Modell), ein „allgemeines“ Verwaltungsgericht und ein Verwaltungsgericht für Finanzen, das an die Stelle des Unabhängigen Finanzsenates (UFS) treten würde. Der Asylgerichtshof würde bestehen bleiben, sodass es im Ergebnis drei Verwaltungsgerichte des Bundes geben würde (daher ist es eigentlich ein „9+3“-Modell). Zugleich würde der Instanzenzug an Verwaltungsbehörden – abgesehen von einer Ausnahme im Bereich der Gemeinden – zur Gänze abgeschafft. Das heißt: Gegen (erstinstanzliche) Entscheidungen von Verwaltungsbehörden wäre grundsätzlich als einziges Rechtsmittel die Beschwerde beim jeweils zuständigen Verwaltungsgericht möglich. Die Verwaltungsgerichte erster Instanz sollen prinzipiell in der Sache selbst entscheiden. Ihre Entscheidungen wären zwar weiterhin beim Verwaltungsgerichtshof (VwGH) bekämpfbar; dieser hätte allerdings ein weitreichendes Ablehnungsrecht. Im Gegenzug könnten mehr als hundert Behörden des Bundes und der Länder, die bisher mit Rechtsprechungsaufgaben betraut waren, aufgelöst werden. Außerdem würden durch die Übertragung von Aufgaben auf die Verwaltungsgerichte entsprechende Kapazitäten in den Bundesministerien und in den Ämtern der Landesregierung frei werden.

Die Notwendigkeit einer Reform des derzeitigen Systems resultiert nicht nur aus der Verpflichtung zum sparsamen Umgang mit Steuergeld, sondern vor allem aus den Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und der EU-Grundrechtecharta. Dazu kommt die dauernde und strukturelle Überlastung des Verwaltungsgerichtshofs.

2008 betrug die durchschnittliche Verfahrensdauer vor dem VwGH rund 20 Monate; mit Ende dieses Jahres waren über 12.000 Beschwerden unerledigt. Dass übermäßig lang dauernde Verfahren nicht nur das Vertrauen des Bürgers in den Rechtsstaat gefährden, sondern auch negative wirtschaftliche Auswirkungen haben können und damit dem Wirtschaftsstandort abträglich sind, liegt auf der Hand. In Zukunft sollen dem VwGH daher Verwaltungsgerichte erster Instanz vorgeschaltet werden, die einen Großteil der anfallenden Rechtssachen endgültig entscheiden. Angesichts des weitreichenden Ablehnungsrechts könnte sich der VwGH, seiner Rolle als Höchstgericht entsprechend, auf die Beurteilung grundsätzlicher Rechtsfragen konzentrieren. Dieses neue Modell des Rechtsschutzes lässt daher eine erhebliche Beschleunigung von Verwaltungsverfahren erwarten.

Gegenargumente überzeugen nicht

Freilich gibt es auch Stimmen, die sich gegen eine solche Reform wenden. So hört man, dass die Einführung von Verwaltungsgerichten Mehrkosten verursache und Entscheidungsspielräume der Verwaltung zugunsten der Gerichtsbarkeit verloren gingen. Beide Argumente vermögen jedoch nicht zu überzeugen.

Schon im Entwurf wird zu Recht darauf hingewiesen, dass den Kosten für die Einführung der Verwaltungsgerichte Einsparungen durch den Entfall der administrativen Berufungsinstanzen und die Auflösung zahlreicher Sonderbehörden gegenüberstehen. Mit der Einrichtung von Verwaltungsgerichten übernimmt der Staat keine neuen Aufgaben. Es geht vielmehr darum, durch die Vereinheitlichung der Rechtsschutzverfahren die Aufgabenbesorgung effizienter und kostengünstiger zu organisieren. Die vorgeschlagene Neuregelung bewirkt eine Verschiebung der für die Aufgabenerfüllung erforderlichen Ressourcen von der Verwaltung zur Verwaltungsgerichtsbarkeit und schafft ein nicht unerhebliches Einsparungspotenzial.

Was den befürchteten Verlust von Gestaltungsspielräumen der Verwaltung anlangt, ist darauf hinzuweisen, dass schon jetzt vielfach von der Verwaltung unabhängige Behörden entscheiden. Zu erwähnen sind hier beispielsweise der UFS als Rechtsmittelbehörde in Abgabensachen und das für den Vergaberechtsschutz im Bereich des Bundes zuständige Bundesvergabeamt. Aber auch bei Verfahren in Zusammenhang mit Betriebsansiedlungen entscheiden oftmals weisungsfreie Behörden. So sind Berufungen gegen Bescheide im Betriebsanlagengenehmigungsverfahren an die UVS zu richten; für bestimmte umweltrelevante Großprojekte ist der unabhängige Umweltsenat als Berufungsinstanz zuständig.

Ermessensspielraum der Behörden bleibt

Die Verwaltung entscheidet in Bindung an die Gesetze und unterliegt dabei der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Diese Kontrolle wurde bisher durch den VwGH ausgeübt und soll in Zukunft von den Verwaltungsgerichten erster Instanz wahrgenommen werden. Bei Ermessensentscheidungen bleibt der Spielraum der Verwaltungsbehörden unverändert. So wird auch in den Erläuterungen zum Gesetzesentwurf ausdrücklich festgehalten, dass das Verwaltungsgericht einen angefochtenen Bescheid weder aufheben noch ändern darf, wenn die Verwaltungsbehörde ein ihr gesetzlich eingeräumtes Ermessen im Sinne des Gesetzes geübt hat.

Univ.-Prof. Dr. Gerhard Baumgartner ist Professor für Öffentliches Recht an der Wirtschaftsuniversität Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.