"Richter nicht zu bloßem Schiedsrichter machen"

Richter nicht blossem Schiedsrichter
Richter nicht blossem Schiedsrichter(c) Michaela Bruckberger
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Susanne Reindl-Krauskopf, Professorin für Strafrecht an der Uni Wien, warnt davor, einzelne Elemente des US-Rechtssystems ins geplante neue Strafverfahren "einzupflanzen" - etwa das Wechselverhör.

„Die Presse“: Die heute beginnende Richterwoche in Geinberg ist dem Thema Strafprozessreform gewidmet. Zuletzt wurde das Vorverfahren, die Aufbereitung der Grundlagen für den Prozess, umfassend novelliert. Wozu noch eine Reform? Das Strafverfahren scheint zu funktionieren, wenn es einmal läuft.

Susanne Reindl-Krauskopf: Einerseits muss die neue Ausprägung der Rollen im Vorverfahren im Hauptverfahren weitergeführt werden. Außerdem gibt es in der Praxis immer wieder Dinge, die dann doch nicht so gut funktionieren. Es geht zum Beispiel darum, das Fragerecht des Beschuldigten zu stärken. Jetzt kann man punktuelle Reformen oder Reförmchen machen, oder man entscheidet sich für eine komplette Überarbeitung der Verfahrensregeln. Immerhin stammt die Strafprozessordnung aus den 1870ern.

Wo sehen Sie den größten Reformbedarf? Die Strafverteidiger wollen im Sinn eines stärkeren Fragerechts des Beschuldigten ein Wechselverhör zwischen Anklage und Verteidigung statt der Befragung durch den Richter.

Reindl-Krauskopf: Ich bin kein Fan des Wechselverhörs. Aber das Anliegen, das Fragerecht in der Praxis zu stärken, ist berechtigt.

Warum nicht im Wechselverhör?

Reindl-Krauskopf: Mir gefällt die Schiedsrichterrolle nicht, auf die der Richter zurückgedrängt werden soll. Das Wechselverhör kommt aus einem Parteienverfahren. Wir haben eine andere Tradition, mit einem starken Richter: Er betreibt die amtswegige Wahrheitserforschung, ermittelt die Tatsachen, aus denen er die rechtlichen Schlüsse zieht. Und er trägt die Verantwortung dafür, dass man die Wahrheit findet, so gut es geht.

Der US-Zugang ist ein anderer.

Reindl-Krauskopf: Da haben Sie die Parteien als Factfinder: den Staatsanwalt, der aus seiner Sicht ermittelt, den Verteidiger, der für den Beschuldigten in den Kampf zieht. Und da brauchen Sie den Richter, der das Zeremoniell bietet, der sich aber inhaltlich so gut wie gar nicht einmischen soll. Beides ist historisch gewachsen, beides hat in seiner Gesamtheit Vor- und Nachteile. Wenn man aber aus einem System etwas herausnimmt, wovon man begeistert ist, und es in ein anderes einpflanzt, vergisst man gerne die Wechselwirkungen in diesem System. Damit produziert man möglicherweise mehr Probleme, als man löst.

Warum soll das Fragerecht des Beschuldigten gestärkt werden?

Reindl-Krauskopf: Der Ablauf ist heute so: Der Zeuge wird vom Richter aufgefordert, eine zusammenhängende Darstellung zu geben. Danach stellt der Richter Fragen. Es liegt damit in seiner Hand, welcher Prozessstoff wie erhoben wird. Dann können der Beschuldigte und der Staatsanwalt ergänzende Fragen stellen. Da mag es vorkommen, dass ein Verteidiger auf keine sehr große Begeisterung stößt, der sich engagiert ins Zeug legt und nicht nur ergänzende Fragen stellt, sondern vielleicht auch Fragen wiederholt. Das ist zu einem gewissen Grad aber durchaus berechtigt; der Beschuldigte hat nach der EMRK (Europäischen Menschenrechtskonvention, Anm.) das Recht, die Zeugen „herauszufordern“, ihre Glaubwürdigkeit zu testen.

Ein weiterer umstrittener Punkt ist das „Schuldinterlokut“, die Zweiteilung der Hauptverhandlung in Klärung von Schuld- und Straffrage.

Reindl-Krauskopf: Da steckt das Unbehagen in Bezug auf die Abhandlung der Sanktionierung dahinter. Das Sanktionenrecht ist bei uns nicht allzu ausgeprägt, und deshalb kommt auch die Behandlung im Verfahren etwas zu kurz. Aber das Strafrecht basiert darauf, dass man einer bestimmten Person einen individuellen Vorwurf macht, und im individuellen Schuldstrafrecht muss man auch versuchen, eine für dieses Individuum passende Sanktion zu finden. Dazu müsste man auch die Regeln zur Strafbemessung überdenken und dem Richter eine bessere Leitlinie zur Hand geben. Außerdem sollte im Urteil eine ausführlichere Begründung erfolgen.

Die Strafbemessung wird begründet.

Reindl-Krauskopf: Ja, aber verglichen mit der Begründung der Schuldfrage ist der Anteil sehr gering. In aller Regel beschränkt man sich darauf, Erschwerungs- oder Milderungsgründe aufzuzählen. Möglicherweise könnte das auch das Schuldinterlokut leisten, aber wenn wir heute von einer Reform sprechen, müssen wir auch auf die Ressourcen schauen. Und dass eine Zweiteilung der Hauptverhandlung mehr Zeit und personelle Ressourcen benötigt, liegt auf der Hand. Dazu kommt, dass man oft Schuld- und Straffrage nicht komplett trennen kann, etwa beim gewerbsmäßigen Diebstahl: Bei der Schuldfrage lässt sich die Gewerbsmäßigkeit nicht beurteilen, ohne die Person des Täters zu betrachten. Diese soll beim Schuldinterlokut aber erst bei der Straffrage eine Rolle spielen.

Ein großes Thema sind Absprachen zwischen Ankläger und Beschuldigtem, um Verfahren im Tausch für reduzierte Sanktionen abzukürzen.

Reindl-Krauskopf: Da bin ich selbst noch im Zweifel. Es gibt die Absprachen, das ist eine Tatsache. Die Judikatur des Obersten Gerichtshofs besagt andererseits, dass sie verboten sind, und werden sie getätigt, ist das ein Amtsmissbrauch des Richters oder Staatsanwalts und möglicherweise eine Beteiligung des Verteidigers daran. Man wird auch mit einem strikten Verbot nicht verhindern, dass es Absprachen gibt. Und wenn man sie erlaubt, steigt eher der Druck auf den Beschuldigten, in eine Absprache einzuwilligen. Das Argument der Prozessökonomie ist auf den ersten Blick sehr verführerisch: Man spart sich die Hauptverhandlung oder kann sie zumindest kürzen. Trotzdem muss es in einem rechtsstaatlichen System eine gewisse Überprüfungsmöglichkeit geben, etwa ob kein unzulässiger Druck ausgeübt wurde oder ob der Sachverhalt ausreichend geklärt war. Und diese Überprüfung muss vielleicht ausführlicher sein, als ein Rechtsmittel heute ist, weil einiges nachgeholt werden muss, was durch die Absprache weggefallen ist. Damit geht aber das Argument der Prozessökonomie zum Teil ins Leere. Mir persönlich gefallen die Absprachen nicht, weil ich dieses Aushandeln in einem Strafverfahren nicht richtig finde. Alles, was an einen Deal erinnert, finde ich unwürdig in einem Verfahren, wo es für das Opfer um etwas geht, für den Beschuldigten und für die Gesellschaft – nämlich um die gerechte Durchsetzung des Strafanspruchs. Und das brauchen wir letztlich, damit die Gesellschaft funktioniert.

Sind Sie mit der heutigen Geschworenengerichtsbarkeit zufrieden?

Reindl-Krauskopf: Nein, überhaupt nicht. Ihre große Symbolwirkung rechtfertigt es nicht, über ihre Schwächen hinwegzusehen. Dazu gehört: Bei einer immer komplizierter werdenden Rechtslage muss der echte Laie irgendwann überfordert sein. Ein zweiter Punkt ist, dass ein Laie nicht so robust gegenüber Beeinflussungen ist, sei es durch aggressive Verfahrensbeteiligte oder durch Medien. Da wir unsere Geschworenen nicht von der ersten bis zur letzten Schlagzeile abschirmen und nicht jeden medialen Kontakt vollständig verhindern können, wächst die Gefahr, dass man sich diesem Einfluss als Laie nicht entziehen kann. Der Berufsrichter ist zwar sicher auch nicht komplett immun, aber er ist auf eine gewisse, auch emotionale, Distanz gegenüber medialer Berichterstattung geschult. Dann gibt es noch das Problem der Auswahl der Laien; sie sollten ein repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung sein, aber das sind sie nicht. Das ließe sich durch eine kleine Reform beheben, ebenso wie man erreichen könnte, dass die Rechtsbelehrung der Geschworenen zumindest parteiöffentlich ausfällt.

Was ist das größte Problem?

Reindl-Krauskopf: Es geht um die schwersten Straftaten, aber es wird nicht ausführlich offengelegt, aus welchen Gründen der Schuld- oder Freispruch erfolgt. Das ist das wesentliche Manko. Es fragt sich, ob man sich das als Rechtsstaat leisten soll. Ich denke nicht: Die Entscheidung gründet sich nur auf die Fragebeantwortung durch die Geschworenen; damit ist die Nachvollziehbarkeit nicht mehr für alle Betroffenen gewährleistet. Ich sehe aber keine Möglichkeit, eine vollständige Urteilsbegründung mit der alleinigen Entscheidung durch die Geschworenen zu kombinieren. Man könnte die Geschworenengerichte wohl nur, wie auch schon Ministerin Bandion-Ortner gesagt hat, zu großen Schöffengerichten umgestalten, mit einer Beteiligung des Berufsrichters an der Entscheidung über die Schuld. Das würde aber eine Verfassungsänderung erfordern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2010)

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