Parlament: Neue Mitwirkungsrechte in der EU

Parlament Neue Mitwirkungsrechte
Parlament Neue Mitwirkungsrechte(c) Illustration Vinzenz Schüller
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Verfassungsnovelle: Nationalrat, Bundesrat und Landtage sollten sich stärker als bisher europäisieren. Ein Appell.

BREGENZ. Nach einer Zeit des Zögerns hat sich das Parlament nun doch entschlossen, „Lissabon“ an der Bundesverfassung nicht einfach vorbeiziehen zu lassen. Vorige Woche hat der Nationalrat in der umfangreichen „Lissabon-Begleitnovelle“ zur Bundesverfassung die Mitwirkungsrechte des Parlaments in der EU neu geregelt (Art 23c bis 23k B-VG).

•Bindende Stellungnahmen. Wie bisher hat der Nationalrat das Recht, bindende Stellungnahmen gegenüber den Bundesministern zu formulieren, die diese dann in Brüssel zu vertreten haben (Art 23e B-VG). Der Bundesrat hat nun dasselbe strikte Bindungsrecht, allerdings nur, wenn ein europäisches Vorhaben zwingend durch ein Bundesverfassungsgesetz umzusetzen ist und dabei in die Länderkompetenzen eingreift, oder, weil es unmittelbar anwendbar ist, wie ein solches Bundesverfassungsgesetz wirkt. Unverändert bleibt das Recht der Länder, gegenüber der Bundesregierung bindende Stellungnahmen zu verabschieden, wenn ihre Kompetenzen betroffen sind (Art 23d B-VG).

•Subsidiaritätskontrolle. Neu ist hingegen das Verfahren der Subsidiaritätskontrolle geplanter EU-Rechtsakte (Art 23g B-VG). Beide Kammern des Parlaments können eine begründete Stellungnahme verabschieden, in welcher sie behaupten, dass ein Gesetzgebungsvorhaben der EU gegen das Subsidiaritätsprinzip verstößt. Der Bundesrat hat dabei auch die Landtage zu informieren und ihre Stellungnahmen bei seiner Entscheidung zu erwägen. Eine strikte Bindung an allfällige Landtagsbeschlüsse besteht allerdings nicht.

Das Verfahren ist im Vertrag von Lissabon geregelt: Jedes Parlament der 27 EU-Mitglieder verfügt über zwei Stimmen, zusammen also über 54 Stimmen. In Parlamenten mit zwei Kammern – wie Österreich – kommt jeder der beiden Kammern eine Stimme zu. Erreicht die Zahl der ablehnenden Stimmen der nationalen Parlamente ein Drittel, also 18, hat die Kommission ihren Vorschlag zu prüfen und zu begründen, weshalb er doch mit dem Subsidiaritätsprinzip in Einklang steht. Dabei müssen sich die nationalen Parlamente innerhalb von acht Wochen äußern und zweckmäßigerweise koordinieren – kein leichtes Unterfangen. Immerhin hat zumindest der Bundesrat in den letzten Jahren dieses bisher von der Kommission inoffiziell praktizierte Instrument im Vergleich zu den meisten anderen Parlamenten durchaus rege genützt.

•Subsidiaritätsklage. Das an sich relativ schwache Instrument der Subsidiaritätsprüfung gewinnt eine gewisse Schärfe dadurch, dass der Nationalrat oder der Bundesrat beim EuGH wegen Verstoßes gegen das Subsidiaritätsprinzip Klage erheben kann(Art 23h B-VG). Es genügt ein Beschluss der jeweiligen Kammer, Nationalrat und Bundesrat müssen nicht koordiniert vorgehen. Es wird sich zeigen, ob der EuGH das Subsidiaritätsprinzip ernst nehmen wird, und ob es ein Instrument gegen überbordende Regulierungswut aus Brüssel sein kann.

•„Brückenklausel“. Ein anderer Regelungskomplex ist noch komplizierter, für das Parlament aber von grundlegender Bedeutung: Wenn die Union die sogenannte „Brückenklausel“ in Anspruch nehmen will, muss die Bundesregierung dazu zuerst die Zustimmung von Nationalrat und Bundesrat einholen. Dabei ist jeweils eine Zweidrittelmehrheit erforderlich (Art 23i B-VG). Im Wege der Brückenklausel kann die Union nämlich beschließen, in einer Angelegenheit, in der das Einstimmigkeitsprinzip gilt (etwa im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit oder bei der Verfügung über Wasserresourcen), davon abzugehen. Den nationalen Parlamenten kommt (nach Art 48 Abs 7 des EU-Vertrags) ein Zustimmungsrecht zu. Für das deutsche Bundesverfassungsgericht war in seinem umstrittenen Lissabon-Urteil gerade die Mitwirkung des Parlaments bei der Inanspruchnahme der Brückenklausel ein entscheidender Punkt, um das Vertragswerk mit dem Grundgesetz für vereinbar zu erachten. Nun ist klargestellt, dass im Falle einer Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip auf europäischer Ebene beide Kammern des Parlaments ein starkes Mitwirkungsrecht mit „Verfassungsmehrheit“ haben.

Die Lissabon-Begleitnovelle ist eine nicht unbeachtliche Neuerung, insbesondere für den Bundesrat. Er dürfte sich auf europäischer Ebene auch leichter aus der parteipolitischen Umarmung des Nationalrats lösen können. Nationalrat, Bundesrat und Landtage sollten sich ermuntert sehen, sich stärker als bisher zu europäisieren.

Ob es gelingt, die Mitwirkungsrechte der nationalen Parlamente mit Leben zu erfüllen, wird nicht allein von Österreich abhängen. Nur dann, wenn die Parlamente rasch und flexibel auf Gesetzesvorhaben der europäischen Ebene reagieren, wird die Kommission überhaupt unter Zugzwang kommen. Wenn das Instrument ungenützt bleibt, werden die Parlamente nicht länger über „Entparlamentarisierung“ klagen dürfen. Ein solches, von manchen nationalen Regierungen und vielleicht auch der Kommission durchaus gewünschtes Resultat wäre ein Negativszenario.

Univ.-Doz. Dr. Peter Bußjäger ist Direktor des Instituts für Föderalismus, Innsbruck, sowie des Vorarlberger Landtages.

STICHWORT

Der Lissabon-Vertrag ist am 1. Dezember 2009 in Kraft getreten. Ursprünglich war bereits ein Inkrafttreten am 1. Jänner 2009 geplant, ein anfängliches Nein der Iren in einem Referendum verzögerte aber den Zeitplan. Der Lissabon-Vertrag macht Beschlüsse auf EU-Ebene einfacher. Zugleich sollen nationale Parlamente in EU-Fragen stärker eingebunden werden. Für Österreich bedurfte es zu diesem Zweck einiger Änderungen in der Bundesverfassung, mit der die Mitwirkung des Parlaments an der europäischen Willensbildung geregelt wurde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2010)

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