Wer vier Ohrfeigen hinnimmt, muss noch keine 30 dulden

Musikveranstaltungen führen bei unfreiwilligen Zuhörern manchmal zu Ärger
Musikveranstaltungen führen bei unfreiwilligen Zuhörern manchmal zu Ärger
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Der Oberste Gerichtshof veranschaulichte einen Streit um Lärm mit sehr plakativen Ausdrucksweisen.

Wien/aich. Manchmal übernehmen sogar Höchstrichter volksnahe Formulierungen. So geschehen im Fall des Grazer Bahnhofskinos. 1956 hatten die ÖBB das Kino genehmigt, seit der Jahrtausendwende ließ der Betreiber dort aber zunehmend auch Musikveranstaltungen abhalten. Diese wurden von Jahr zu Jahr häufiger. Die Folge waren Lärmbelästigungen, denn die Musik war auch außerhalb des Kinos zu hören. Überdies hielten sich betrunkene Personen vor dem Kino und vor einem benachbarten Hotel auf. Ja, selbst auf den Bahnsteigen und in den Zügen verliehen Jugendliche ihrer Feierlaune Ausdruck.

Da ein Mahnschreiben erfolglos blieb, brachte der Vermieter Räumungsklage ein. Der Kinobetreiber verwies darauf, dass der Vermieter jahrelang die Veranstaltungen geduldet habe. Das Bezirksgericht Graz-West entschied für den Vermieter. Das Grazer Landesgericht für Zivilrechtssachen wies die Räumungsklage hingegen ab. Der Oberste Gerichtshof (OGH) entschied aber wieder für den von der Kanzlei Doralt Seist Csoklich vertretenen Vermieter. Dabei haben die Höchstrichter betont, dass man als Vermieter, nur weil man sich die Veranstaltungen einst (viermal im Jahr) hat gefallen lassen, noch nicht auf das Räumungsrecht bei künftigen Problemen verzichtet.

Und mittlerweile fänden die Musikveranstaltungen dreißigmal pro Jahr statt. Wörtlich meinte der OGH: „Das in der Revisionsbeantwortung selbst als ,plastisch drastisch‘ bezeichnete Beispiel des Mieters, der den Vermieter zunächst vier Mal jährlich und in der Folge acht Mal jährlich ohrfeigt, ohne dass der Vermieter Konsequenzen zieht, belegt die Richtigkeit dieses Grundsatzes eindrucksvoll.“

Und weiter folgerte das Höchstgericht: „Selbstverständlich kann der Vermieter in diesem von der beklagten Partei gewählten Beispielsfall das Mietverhältnis auflösen, wenn der Mieter ihn nun im achten Jahr 25- bis 30-mal jährlich ohrfeigt“ (3 Ob 87/10f).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2010)

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