„Unterlässt er/sie dies, so vermag ihn/sie...“

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Die sprachliche Gleichstellung von Mann und Frau treibt auch im juristischen Bereich seltsame Blüten. Ein Appell zur Zurückhaltung, um die Verständlichkeit von Rechtstexten zu fördern.

Wien. Sind Gesetze so abzufassen, dass sie ohne juristische Vorkenntnisse gelesen und verstanden werden können? Die Bundesverfassung sieht keine Bestimmung vor, die ihre Verständlichkeit einfordert, der Verfassungsgerichtshof hat allerdings präzisiert, dass Normen, zu deren Sinnermittlung „subtile verfassungsrechtliche Kenntnisse, qualifizierte juristische Befähigung und Erfahrung sowie geradezu archivarischer Fleiß vonnöten sind“ (VfSlg. 3130/1956), dem Legalitätsprinzip widersprechen. Dem ist prinzipiell beizupflichten – mit der Einschränkung, dass wir uns im Falle der Legistik nicht auf Verfassungsebene bewegen: Der Gesetzgeber will nicht bevormundet werden, und der Maßstab, inwieweit der Gesellschaft ein Norminhalt verständlich gemacht werden kann, entzieht sich der allgemeinen Beurteilung.

Testen Sie selbst, ob die zentrale Bestimmung über die außergerichtliche Patientenschlichtung (§ 41 ZÄG) unter die Zumutbarkeitsgrenze fällt und wie schnell sich ihr Sinn verstehen lässt (s.Wortlaut). Wie gehen Sie vor? Vermutlich eliminieren Sie zunächst die männliche oder weibliche Form des Textes. Um den Inhalt zu verstehen, ent-gendern Sie. Dann teilen Sie das sprachliche Ungetüm in zwei, drei fassbare Abschnitte mit dem Ergebnis, dass die Verjährungsfrist von dem Tag an gehemmt ist, an dem der Geschädigte sein schriftliches Einverständnis zur außergerichtlichen Regelung seiner Schadenersatzforderung erklärt hat.

Es ist richtig, dass rechtliche Regelungen zur Gleichstellung von Mann und Frau beitragen können und dass durch eine eindeutig männliche Formulierung die Wertschätzung der Frau in Schieflage gerät und das traditionelle Bild von Frauen- und Männerwelten tradiert wird. Die zentrale Frage ist jedoch, darf die Legistik in Kauf nehmen, dass durch ausufernde Formulierungen das Verständnis auf der Strecke bleibt?

Die verfassungsrechtliche Grundlage stellt Art 7 Abs 2 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) mit seinem Bekenntnis zur Herstellung der tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter dar. Aber sollte der Gleichheitsgrundsatz nicht zurückhaltender beurteilt werden?

Ja zur realen Gleichbehandlung

Um Missverständnissen vorzubeugen: nicht im Fall der realen Gleichbehandlung! Ist jeder Arbeitsplatz für Männer und Frauen gleich geeignet? Ja! Der Jurist formuliert: Es kommt darauf an; nicht auf den Arbeitsplatz, sondern auf den zu Beschäftigenden. Nicht jede Frau ist eine begnadete Technikerin, nicht jeder Mann eignet sich als Geschäftsführer. Die Gleichberechtigung in der Arbeitswelt verhindert die Teilung des Arbeitsmarktes in Männer- und Frauenberufe. Wer ständig damit konfrontiert ist, dass zwar Physiker gesucht werden, nie aber Physikerinnen, muss notgedrungen zu dem Schluss kommen, dass sich die Ausbildung zur Physikerin nicht lohnt. Chancen zwischen Männern und Frauen sind gleich oder zumindest weniger ungleich zu verteilen.

Retour zur Normsetzung: Internationale gemeinschaftsrechtliche und nationale gesetzliche Grundlagen haben zur Gleichstellung von Mann und Frau und zur Beseitigung tatsächlich bestehender Ungleichheiten beigetragen. Wo aber beginnt die Sache aus dem Ruder zu laufen?

Die Verpflichtung zur Gleichberechtigung von Mann und Frau (im Rahmen des sogenannten Gender-Mainstreaming-Konzepts) schließt die sprachliche Gleichbehandlung mit ein. Eine geschlechtergerechte Sprache soll gewährleisten, dass sich Frauen und Männer in gleicher Weise angesprochen fühlen. Eine Forderung, der sich die Gesetzgebung unterworfen hat. Resultat: Kein Schul- bzw. Lehrbuch passiert die Approbationsstellen des Ministeriums ohne strikte Umsetzung der rechtlichen Vorgaben, die teilweise so extensiv ausgelegt werden, dass in vorauseilendem Gehorsam weiblichen Formen der Vorzug gegeben wird.

In einem Schulbuch für die 1./2. Klasse Volksschule findet sich der Satz: „Frage deine Partnerin/deinen Partner, was sie/er gerne isst!“ Und in einem AHS-Schulbuch: „Ein Schüler/eine Schülerin schließt die Augen, der/die andere führt ihn/sie langsam umher.“ Oder: „Er/Sie denkt, unser/-e Klassensprecher/-in sollte...“ Und: „Dabei bekommt jede/-r eine/-n „Gegenspieler/-in“ zugewiesen.“

In einer Publikation einer Interessenvertretung steht zu lesen, „...im Fall von Unterhaltspflichten für den/die Ehepartner/-in, dessen/deren Einkommen...“, und in einem Buch über EU-Recht: „Der/die ArbeitgeberIn muss den/die FremdeN tatsächlich in seinem/ihrem Betrieb beschäftigen.“

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einer Entscheidung formuliert: „Unterlässt er/sie dies, so vermag ihn/sie die Unkenntnis des Gesetzes im Grunde des § 5 Abs 2 VStG nicht von seiner/ihrer Schuld zu befreien“ (2008/09/0117). Er sah sich auch schon gezwungen, zum Thema der weiblichen Amtsbezeichnungen Stellung zu nehmen. Gegen einen Bescheid der Landeshauptfrau von Salzburg war vorgebracht worden, er stamme von einer Nichtbehörde, weil die Bundesverfassung nur den Landeshauptmann kenne. Dazu bemerkte der VwGH, dass nach Art 7 Abs. 3 B-VG Amtsbezeichnungen auch in der Form verwendet werden können, die das Geschlecht des Amtsinhabers oder der Amtsinhaberin zum Ausdruck bringe. „Als Amtsbezeichnung ist auch die Bezeichnung Landeshauptmann anzusehen. Es war daher zulässig, dass der angefochtene Bescheid mit der Behördenbezeichnung ,Landeshauptfrau‘ erlassen wurde“ (2004/07/0166).

Dass der Held in unseren Volksschulbüchern auch eine Heldin ist, warum nicht! Dass in unseren Gesetzen der Berechtigte, der Geschädigte, der Verurteilte eine Frau sein kann, ist selbstverständlich. Befremdlich aber das neue Bundeshaushaltsgesetz 2013, das jedes Mal beide Geschlechter verwendet: „... die Bundesministerin für Finanzen oder der Bundesminister für Finanzen“ Wie bitte? Ist die Präzisierung der Formulierung eine Verfassungsfrage? Nein, der VfGH ist damit nicht befasst.

Prinzipiell kann natürlich jede Rechtsfrage zur Verfassungsfrage hochstilisiert werden, aber bei der sprachlichen Gleichbehandlung von Mann und Frau handelt es sich um eine bloße Klarstellung im B-VG.

Widerspricht sich die Verfassung?

Widerspricht das B-VG dem Gleichheitssatz und damit einer Fundamentalnorm der Verfassung, wenn es nur vom Bundespräsidenten spricht? Sollte die Gleichstellungspolitik das B-VG einmal erreicht haben, stehen folgende Möglichkeiten – und nicht nur diese – zur Wahl:
•der Bundespräsident/die Bundespräsidentin
•der/die Bundespräsident/-präsidentin
•der/die Bundespräsident/-in
•der/die BundespräsidentIn

Art19 B-VG lautete dann – unter Verwendung von Variante 1 – vermutlich so: (1) Die obersten Organe der Vollziehung sind der Bundespräsident/die Bundespräsidentin, die Bundesminister/die Bundesministerinnen und die Staatssekretäre/die Staatsseketärinnen sowie die männlichen und weiblichen Mitglieder der Landesregierungen etc.

Professor Eugen Klunzinger, Juristische Fakultät der Universität Tübingen, formulierte treffend: „Die konstante Beachtung der ,political correctness‘ führt unweigerlich zur Kastration jeder lebendigen Rhetorik.“ Mehr noch: Wenn die Legistik sich aller Redundanzen bedient, wenn die Rechtssetzungstechnik versagt und wenn die Intention des Gender-Mainstreaming-Konzepts darin kulminiert, den Wiedererkennungswert einzelner Normen zu verschleiern, ist der an sich löblichen Gleichbehandlung und Gleichberechtigung der Frau kein guter Dienst erwiesen.

Dr. Ondrej ist Geschäftsführende Gesellschafterin der Firma Exakta GmbH – Layout, Satz und Bild.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2010)

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