VfGH durchlöchert Rechtsschutz in Strafprozess

VfGH durchloechert Rechtsschutz Strafprozess
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Der Verfassungsgerichtshof lässt gerichtliche Einsprüche gegen Maßnahmen der Kriminalpolizei im Vorfeld des Strafprozesses nicht zu. Die Reform des Vorverfahrens wird insgesamt damit aber nicht in Zweifel gezogen.

Wien. Der Verfassungsgerichtshof verbietet Einsprüche bei Gericht gegen Ermittlungs- und Zwangsmaßnahmen der Kriminalpolizei. In einem in der Vorwoche bekannt gewordenen Erkenntnis (G 259/09 u. a.) hat der VfGH zwei Wörter in §106/1 StPO als verfassungswidrig aufgehoben. Betroffene müssen sich künftig an die Unabhängigen Verwaltungssenate (UVS) wenden.

In ersten Berichten war von einer weiteren Schlappe für die Justiz und davon die Rede, dass die seit 2008 geltende Neuordnung des Strafverfahrens verfassungswidrig sei. Ist die Aufhebung von zwei Wörtern einer großen Reform tatsächlich so bedeutend?

Nach jahrzehntelangen Vorarbeiten hat der Nationalrat 2003 mit dem Strafprozessreformgesetz das Verfahren vom Beginn der Ermittlungen bis zur Anklage neu kodifiziert. SPÖ und Grüne bekannten sich zwar zu den Grundzügen wie der Gesamtverantwortung der Staatsanwaltschaft und der Abschaffung der gerichtlichen Voruntersuchung, stimmten aber nicht zu. Sie vermissten die Weisungsfreiheit der Staatsanwaltschaften und die verfassungsrechtliche Absicherung des gerichtlichen Rechtsschutzes gegen Akte der Polizei.

Abhilfe gegen Polizeimaßnahmen

Ein einheitlicher Rechtsschutz war ein Kernelement der Reform: Die Gesamtverantwortung der Staatsanwaltschaft sollte gerichtlichem Rechtsschutz unterliegen. Gegen Maßnahmen wie Durchsuchungen und Festnahmen aus eigener Macht oder die Verweigerung von Akteneinsicht durch die Polizei sollten sich Beschuldigte und Opfer mit Einspruch an das Gericht wehren können.

Die Aufhebung betrifft nun gerade diese vom Gedanken des effektiven Rechtsschutzes geprägte Regelung, weil ein solcher Rechtszug das Verbot der Behandlung einer Sache durch Vollziehungsorgane verschiedenen Typs verletzt. Ein gerichtliches Einspruchsrecht gegen kriminalpolizeiliche Zwangsakte ohne gerichtliche bzw. staatsanwaltschaftliche Anordnung verletzt den Trennungsgrundsatz und das Rechtsschutzsystem des B-VG, wonach für Akte unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt der Verwaltung eine Zuständigkeit der UVS und der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts besteht.

Während nun für unmittelbare Zwangsakte der Polizei wieder Rechtsschutz durch die UVS und den Verwaltungs- und den Verfassungsgerichtshof eröffnet wird, klafft eine Rechtsschutzlücke für die Durchsetzung von Verfahrensrechten (insbesondere Akteneinsicht und Beweisanträgen) gegenüber der Polizei. Betroffene müssen sich direkt an die Staatsanwaltschaft wenden. Das wird mit Effizienzverlusten erkauft: Die Staatsanwaltschaft muss sich oft erst von der Polizei berichten lassen, während sie bisher Einsprüche samt Akten vorgelegt erhielt. Entscheidungen der UVS über Beschwerden gegen die Polizei haben auch keine Wirkung im Verfahren – sie werden nicht einmal Bestandteil des Aktes.

Eine Verfassungswidrigkeit der Reform insgesamt kann aus diesem Erkenntnis nicht abgeleitet werden; auch deren Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit wird nicht bezweifelt. Die Aufhebung betrifft einen wichtigen Aspekt, aber nicht die Grundzüge der Reform.

Das Risiko des Widerspruchs zum Trennungsgrundsatz war den Verfassern der Reform bekannt und wurde in den Gesetzesmaterialien offengelegt. Der Verfassungsgesetzgeber ist mit der Schaffung des Art. 90a B-VG, durch den die Staatsanwaltschaften in der Gerichtsbarkeit verankert wurden, wohl auf halber Strecke stehen geblieben und nun aufgerufen, die entstandene Rechtsschutzlücke zu schließen. Es wirkt für ein einheitliches Verfahren befremdlich, wenn Anordnungen der Polizei bei den UVS, Anordnungen der Staatsanwaltschaft jedoch bei den ordentlichen Gerichten bekämpft werden müssen.

Der Autor leitet die Sektion Strafrecht im Justizministerium und war an der StPO-Reform beteiligt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2011)

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