EuGH schreibt die Unisex-Versicherung vor

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Urteil. Geringere Prämien für Frauen bei der Kfz-Versicherung oder Vorteile für Männer bei der privaten Pensionsvorsorge sind passé. Das Geschlecht darf nicht mehr als Risikofaktor gesehen werden.

Luxemburg/C.d./Nst. Vor der Versicherung haben alle gleich zu sein. Das entschied zumindest der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Dienstag so. Alle Anbieter müssen unabhängig vom Geschlecht Unisex-Tarife anbieten, und zwar ab Dezember 2012. Damit sind bisher übliche Differenzierungen nach dem Geschlecht obsolet. Als „Risikofaktoren“ für Versicherungsbeiträge hat man beispielsweise das statistisch untermauerte aggressivere Fahrverhalten von Männern bei der Kfz-Versicherung oder die medizinisch belegte längere Lebenserwartung von Frauen bei privater Pensionsvorsorge gesehen. Große Versicherungsanbieter warnen bereits, dass sie nun ihre Tarife für alle anheben müssten.

Schwangerschaft längst tabu

Die Gleichbehandlung von Männern und Frauen ist zwar schon längst Grundsatz des EU-Rechts und sollte für die Versorgung mit allen Gütern und Dienstleistungen gelten. Doch gab es bisher für Versicherungen Ausnahmeregeln, obwohl alle Verträge, die nach dem 21. Dezember 2007 geschlossen wurden, nur noch geschlechtsneutrale Prämien hätten aufweisen sollen. Die Richtlinien mussten genaue Vorgaben für versicherungsmathematische und statistische Risikobewertungen enthalten. Jeder EU-Staat sollte dieselben alle fünf Jahre prüfen. Unterschiedliche Tarife aufgrund von Schwangerschaft und Mutterschaft durften ohnehin ab 2007 nicht mehr verrechnet werden.

Auch das Rechnen in den anderen Fällen und das Kontrollieren derselben erspart man sich nun. Nachdem ein belgischer Verbraucherschutzverein und zwei belgische Privatpersonen bei ihrem Verfassungsgerichtshof Klage einbrachten, rief dieser den EuGH an. Und der entschied nun, dass die Anwendung von Ausnahmeregeln „der Verwirklichung des Ziels der Gleichbehandlung von Frauen und Männern zuwiderläuft“. Und daher ist per Jahresende 2012 Schluss mit den unterschiedlichen Tarifen. Es habe die Gefahr bestanden, dass es zu keiner Zeit zu einer Angleichung von Frauen- und Männertarifen kommt, weil die Ausnahmen quasi zur unbefristeten Regel würden. Außerdem argumentierte EuGH-Generalanwältin Juliane Kokott, dass „statistisch nachweisbare Divergenzen beim Lebensalter und dem Schadensprofil weniger auf den kleinen Unterschied, sondern vielmehr auf kulturelle, wirtschaftliche oder soziale Gegebenheiten wie die Berufstätigkeit zurückzuführen sind“.

In der Versicherungsbranche wurde das Urteil kritisch aufgenommen. Markus Rieß, der Chef von Allianz Deutschland sagte, es sei einfach falsch, „Ungleiches gleich“ zu behandeln. Und er ließ keinen Zweifel daran, „dass die Versicherungen teurer werden“.

Bedenken in Österreich

Auch in Österreich hat die Branche Bedenken – „schließlich werde die statistische Basis der Versicherungen infrage gestellt“, heißt es vonseiten des heimischen Versicherungsverbandes (VVO). Dieser geht etwa davon aus, dass Frauen für ihre Kfz-Versicherung künftig tiefer in die Tasche greifen müssen. In der Regel zahlt das weibliche Geschlecht derzeit nämlich weniger als ein versicherter Mann. Die Unfallversicherung für Frauen könnte sich ebenso verteuern. Weil Männer höhere Unfallzahlen haben, werden sie derzeit tendenziell stärker zur Kasse gebeten. „Hier findet eine Differenzierung statt, die sachlich notwendig ist“, argumentiert Manfred Baumgartl von der Allianz Österreich.

Künftig könnten sich die Tarife jedenfalls in der Mitte treffen. Genaue Berechnungen müssten aber erst angestellt werden. Welche Kosten damit verbunden seien, konnte der VVO nicht beziffern. Mehrbelastungen dürften letztlich aber auf die Kunden abgewälzt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2011)

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