Für besseren Schutz der Ehre, gegen „Klagsgesellschaft“

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Die Richterwoche bot eine Zusammenschau der wichtigsten Reformanliegen im Bereich des ABGB. Eine behutsame Ausdehnung des Schadenersatzes wurde gefordert.

Lochau/Wien. Eine behutsame Ausdehnung des Schadenersatzes, ohne damit die Lust aufs Prozessieren zu steigern: Das ist eine der Zielsetzungen, die sich bei der am Freitag im Vorarlberger Lochau zu Ende gegangenen Richterwoche für eine Reform des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB) herauskristallisierten. „Tenor der Reform im Schadenersatzrecht sollte sein, den Opferschutz zu verstärken, aber jede Ausuferung der Haftung zu verhindern“, sagte Georg Kathrein, Chef der Zivilrechtssektion im Justizministerium, zur „Presse“. Kathrein weiter: „Niemand will eine Klagsgesellschaft, in der der Schadenersatz die Regel wird und der zahlt, der die dicksten Kassen hat.“

Die Tagung, die Praktiker, Wissenschaftler und Legisten zusammenführte, stand genau 200 Jahre nach Einführung des ABGB ganz im Zeichen des bürgerlichen Rechts. Neben dem Schadenersatzrecht, das bei den Erörterungen den breitesten Raum einnahm, ging es auch um das Erbrecht, das Familienrecht und um das Gesellschaftsrecht: Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, deren überkommene Regelung im Gesetz in Kontrast steht zur großen praktischen Bedeutung (vom kleinen Start-up bis zur Arbeitsgemeinschaft für große Bauprojekte), ist zurzeit eine Art Versuchsobjekt im Testlabor der ABGB-Reform.

Zurück zum Schadenersatzrecht: Die Reformüberlegungen setzen schon beim Begriff des Schadens an: Denn dieser wird, je nachdem, wie groß das Verschulden des Schädigers war, unterschiedlich definiert, nämlich mit oder ohne Einschluss des „entgangenen Gewinns“ (z. B. in Folge einer Umsatzminderung). Zwar hat die Rechtsprechung die Unterscheidung immer weiter abgeschliffen, doch mehren sich die Stimmen, die eine gänzliche Beseitigung befürworten.

Umgekehrt könnte jenes richterliche Mäßigungsrecht, das für den Fall von Kindern als Schädigern schon jetzt im Gesetz steht, verallgemeinert werden. Ziel: Für eine kleine Unachtsamkeit mit großen Folgen soll der Einzelne nicht sein Leben lang Schadenersatz zahlen müssen. Kathrein nennt ein Beispiel: Ein Passant, der ins Gespräch vertieft vom Gehsteig auf die Straße tritt, löst einen Tankwagenunfall mit Millionenschaden aus. Viele Richter befürchten allerdings, dass bei einem generellen Mäßigungsrecht in jedem Prozess der Einwand des Beklagten zu erwarten wäre, er könne sich den Ersatz nicht leisten.

Wider das „Salami-Recht“

In Richtung Ausdehnung des Ersatzes gehen die Überlegungen zum immateriellen Schaden (vor allem Schmerzengeld): Insbesondere bei schweren Verletzungen von Persönlichkeitsrechten (z. B. der Ehre) sollte es künftig generell eine Entschädigung für die erlittenen Unbilden geben – und nicht mehr nur unter der Voraussetzung, dass entweder ein Medium als Schädiger aufgetreten ist (durch üble Nachrede, Beschimpfung oder Verleumdung) oder die Schädigung die „geschlechtliche Selbstbestimmung“ betraf. Kathrein verwendet für die scheibchenweise Einräumung von Ersatzansprüchen in diesen Bereichen das Wort vom „Salami-Recht“.

Wer beispielsweise in einer E-Mail-Aktion verleumdet oder bei einer öffentlichen Veranstaltung beleidigt wird, hat bisher keinen Anspruch auf Schmerzengeld. Doch nicht nur bei diesen Fällen würden Experten systematisch konsistentere Lösungen bevorzugen, sondern beispielsweise auch beim Angehörigenschmerzengeld: Wer um einen Getöteten trauert, bekommt dafür vom Verursacher nur dann Schadenersatz, wenn dieser vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat.

Dauerbrenner in der schadenersatzrechtlichen Reformdiskussion sind weiters die Haftung für Gehilfen (und die Unterscheidung je nachdem, ob ein Vertragsverhältnis im Spiel ist) oder die Schadenersatzpflicht auch von Kindern im Straßenverkehr (Kathrein würde sie gern nach deutschem Vorbild bis zum Alter von zehn Jahren von der Haftung befreien). Was den Stil der Reform betrifft, bevorzugen die Experten überwiegend ein Teilreform anstelle einer Gesamtreform: „Keine Revolution“, sagt Kathrein, „sondern eine Evolution, die auf dem bisherigen Recht aufbaut und die Reformkosten minimiert.“

Zu den großen zivilrechtlichen Baustellen gehört auch das Pflichtteilsrecht: Es regelt die Erbfolge für den Fall, dass nahe Angehörige in einem Testament grundlos übergangen wurden. Hier gibt es unter den Hinterbliebenen oft Überraschungen über die Anrechnung (bzw. ihr Unterbleiben) von Zuwendungen zu Lebzeiten. Auch der Umstand, dass der Pflichtteil sofort fällig wird, erweist sich immer wieder als problematisch, wenn aus diesem Grund z. B. ein vererbtes Unternehmen zerschlagen oder eine Immobilie sogleich verkauft werden muss.

Unterhalt für Alleinerziehende?

Für Diskussionen sorgte in Lochau der Vorschlag des Anwalts Norbert Marschall, alleinerziehenden Müttern/Vätern unehelicher Kinder einen länger befristeten Unterhaltsanspruch (für sich selbst; für das Kind gibt es ihn ohnehin) gegen den anderen Teil einzuräumen. In Deutschland gibt es einen solchen „Betreuungsunterhalt“ für einen Zeitraum von drei Jahren, im ABGB bloß für sechs Wochen. In Österreich springt allerdings vielfach die öffentliche Hand mit Sozialleistungen nicht bloß zugunsten des Kindes, sondern auch des betreuenden Elternteils ein.

Das ABGB enthält manche leicht schrullig wirkende Formulierung: So soll das, was der Mann der Frau „zum Putze“ gibt (gemeint ist damit Schmuck), im Zweifel als geschenkt und nicht als geliehen angesehen werden. Ein Kuriosum, gewiss. Die Mehrheit der Praktiker und Experten in Lochau befürworteten dennoch die Beibehaltung der Regelung (§1246).

In der Öffentlichkeit bisher unbemerkt nimmt indessen eine Reform der „Gesellschaft bürgerlichen Rechts“ (mit gemeinsamem Zweck, aber ohne eigene Rechtspersönlichkeit) Gestalt an. Die Vorarbeiten zu einer Neuregelung, die Fragen von der Entstehung bis zur Beendigung der „GesbR“ klären soll, sind weit gediehen und sollen demnächst in größerer Runde diskutiert werden. Der Ablauf bei diesem Modellprojekt lässt aber nicht gerade auf überstürzte Änderungen schließen: Kathrein spricht von einer Vorlaufzeit von eineinhalb bis zwei Jahren, und danach sollte es wahrscheinlich noch ein halbes Jahr Legisvakanz geben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2011)

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