„Sclaverey oder Leibeigenschaft nicht gestattet“

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Am Mittwoch feiert das ABGB den 200. Geburtstag. Die Bedeutung des Gesetzbuches ging weit über den Bereich des Zivilrechts hinaus: Das Werk schuf erstmals das Recht auf persönliche Freiheit. von Gerhart Wielinger

Graz. Am 1. Juni 1811 ist das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch Österreichs kundgemacht worden, am 1. Jänner 1812 ist dieses Gesetz in Kraft getreten. Damit ist für jene Gebiete, die das Kaisertum Österreich umfasste, erstmalig eine einheitliche rechtliche Ordnung für die wesentlichsten Bereiche des menschlichen Zusammenlebens geschaffen worden – und große Teile davon stehen noch heute in Österreich in Geltung. Der 200. „Geburtstag“ des ABGB wird nicht nur unter österreichischen Juristen zum Anlass genommen, Bedeutung und Qualität dieser gesetzgeberischen Großtat in Erinnerung zu rufen und zu würdigen.

Dabei ist bisher aber außer Betracht geblieben, dass dieses Gesetz in den ersten Jahrzehnten seiner Geltung eine Wirkung gehabt hat, die weit über den Bereich des „Zivilrechts“ hinausgegangen ist: Durch das ABGB ist erstmals auf dem gesamten Hoheitsgebiet einer Großmacht das elementarste Menschenrecht effektiv geworden, nämlich das Recht auf persönliche Freiheit. Weithin wird übersehen, dass das ABGB eine Bestimmung enthält, durch deren Anwendung dieses Gesetz durch lange Jahre in der Welt einzigartig gewesen ist, weil auf seiner Grundlage der Kaiserstaat Österreich – im Gegensatz zu allen anderen Großmächten dieser Zeit – das Verbot der Sklaverei und der Leibeigenschaft ohne Wenn und Aber durchgesetzt hat. Die Rede ist von § 16, welcher lautet: „Jeder Mensch hat angeborne, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte, und ist daher als eine Person zu betrachten. Sclaverey oder Leibeigenschaft, und die Ausübung einer darauf sich beziehenden Macht, wird in diesen Ländern nicht gestattet.“

Die Idee, dass jeder Mensch allein auf Grund seiner physischen Qualität als Mensch die Fähigkeit haben soll, Träger von Rechten zu sein, ist im 17. Jahrhundert entstanden, im 18. politisches Programm und erst im 19. Jahrhundert in Teilen der Welt effektiv geworden. Politische Erklärungen, die diese Idee zum Ausdruck bringen, finden sich erstmalig in Nordamerika. Das erste politische Dokument solchen Inhalts ist die Erklärung über die Rechte der Bürger (Bill of Rights) der britischen Kolonie Virginia vom 12. Juni 1776. In ihr heißt es in Art. 1: „Alle Menschen sind von Natur aus in gleicher Weise frei und unabhängig und besitzen bestimmte angeborene Rechte ...“ In der Präambel der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten vom 4. Juli 1776 findet sich abermals die Erklärung, dass alle Menschen mit gleichen Rechten geboren werden. In Europa steht Derartiges erstmalig in der von der französischen Nationalversammlung am 26. August 1789 beschlossenen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. Auch in dieser heißt es: „Alle Menschen werden frei und mit gleichen Rechten geboren.“

Viele unehrliche Erklärungen

Doch diese Erklärungen waren durch ein hohes Maß an Unehrlichkeit belastet: Sowohl die Bill of Rights von Virginia als auch die Unabhängigkeitserklärung hatten nämlich den primären Zweck, Ansprüche gegenüber dem König von England geltend zu machen und diesen ins Unrecht zu setzen. Wenn in diesen Erklärungen von Rechten der Menschen die Rede ist, so waren damit ausschließlich die Rechte von Angehörigen der jeweiligen Gemeinschaft von europäischen Siedlern gemeint, die sich gegen die Herrschaft des Königs auflehnten. Es konnte jedoch keine Rede davon sein, dass die Verheißung, frei und unabhängig zu sein und mit gleichen Rechten geboren zu werden, tatsächlich für alle auf dem jeweiligen Territorium lebenden Menschen gelten sollte: Weder die Ureinwohner noch die Sklaven – Virginia war eines der Gebiete, in denen es Sklaverei gab – waren als rechtsfähig anerkannt. In Frankreich war es ähnlich: Auch die Déclaration des Droits de l'Homme war primär ein politisches Instrument im Kampf gegen den König und keineswegs eine Garantie von Freiheit und gleichen Rechten für alle Menschen.

In anderen europäischen Staaten (etwa in England, Portugal oder Dänemark) gab es zwar teils schon im 18. Jahrhundert Verbote der Sklaverei, doch galten die Verbote nicht für die Kolonien dieser Länder. Preußen wiederum hatte im Allgemeinen Landrecht von 1794 zwar in § 196 normiert, dass Sklaverei „in den Königlichen Staaten“ nicht geduldet wird. Als § 198 fand sich aber die Regelung: „Fremde, die sich nur eine Zeitlang in Königlichen Landen befinden, behalten ihre Rechte über die mitgebrachten Sklaven.“

Vor dem Hintergrund all dieser halbherzigen Akte gegen Sklaverei wird deutlich, wie einzigartig die Regelung des § 16 ABGB gewesen ist. Die volle Tragweite dieser Regelung ergibt sich aus dem Hofkanzleidekret vom 26. Juni 1826, welches auf § 16 ABGB Bezug nimmt. In diesem heißt es in § 1: „Jeder Sclave wird in dem Augenblicke frey, da er das k.k. Gebieth, oder auch nur ein österreichisches Schiff betritt. Eben so erlangt jeder Sclave auch im Auslande seine Freyheit in dem Augenblicke, in welchem er unter was immer für einem Titel an einen k.k. österreichischen Unterthan als Sclave überlassen wird.“

Die weiteren Paragraphen verweisen auf strenge Strafbestimmungen gegen österreichische Untertanen, die – einerlei, ob im Inland oder im Ausland – einen Menschen als Sklaven behandeln oder als solchen veräußern, aber auch für den Fall, dass ein österreichischer Schiffskapitän die Verfrachtung von Sklaven übernimmt oder einen „auf das österreichische Schiff gekommenen Sclaven an dem Gebrauche der dadurch erlangten persönlichen Freyheit hindert“. Ausdrücklich wird auch normiert, dass diese Strafdrohungen auch für Ausländer gelten sollen, die „inner den Gränzen der österreichischen Staaten, oder auf einem österreichischen Schiffe“ einen Menschen als Sklaven behandeln. Um sicherzustellen, dass diese Vorschriften möglichst vielen Adressaten auch tatsächlich bekannt werden, war angeordnet worden, dass der Text dieses Dekretes jedem österreichischen Schiffskapitän „in deutscher, italienischen und slavischer Sprache zuzustellen“ und in diesen Sprachen „an jedem österreichischen Schiff an einer zugänglichen und sichtbaren Stelle anzuschlagen“ ist.

Lukratives Geschäft an der Grenze verboten

Es darf nicht vergessen werden, dass in dieser Zeit das Thema Sklaverei und Sklavenhandel für österreichische Behörden keineswegs unaktuell gewesen ist: Österreich war seit 1815 wieder zur Seemacht geworden; sein Hoheitsgebiet erstreckte sich auf weite Teile der Küste der Mittelmeeres. Und Österreich grenzte an einen sehr großen Staat, in welchem es Sklaverei und Sklavenhandel gab, nämlich die Türkei. Das türkische Hoheitsgebiet begann in Bosnien, wenige Kilometer hinter der dalmatinischen Küste. Es liegt auf der Hand, dass unter diesen Gegebenheiten der Transport von Sklaven aus der Türkei, aber auch der Handel mit Sklaven für manchen österreichischen Schiffseigner ein lukratives Geschäft hätte sein können. Aber darauf haben die Behörden des österreichischen Kaiserstaates in keiner Weise Rücksicht genommen. Die „angebornen Rechte“ der Menschen hatten Vorrang vor jedem geschäftlichen Interesse.

So hat Österreich durch die Anwendung des ABGB als erster Staat das elementarste Menschenrecht effektiv werden lassen.

Dr. Gerhart Wielinger ist Univ.-Prof. am Institut für Öffentliches Recht der Universität Graz und seit 2007 Vorsitzender des Menschenrechtsbeirats im Innenministerium.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2011)

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