Verschuldung: Muss Regierung Schadenersatz leisten?

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Symbolbild(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Ständig gibt der Staat mehr aus, als er einnimmt. Regierungsmitglieder könnten dafür haftbar gemacht werden. Klagen sind allerdings politisch unwahrscheinlich und überdies kaum durchsetzbar.

Wien/Graz. Mitte 2011 betrug die Staatsschuld Österreichs über 210 Milliarden Euro, die jährliche Zinszahlungslast fast acht Milliarden Euro. Es ist unbegreiflich, dass die Organe des Staates die Einsicht vermissen ließen, dass jährlich – auch in „guten“ Jahren – nicht mehr ausgegeben als eingenommen werden darf und es daher zu diesem enormen Schuldenberg kam. Unverständlich ist auch, dass lediglich zaghafte Reformen und Sparmaßnahmen erfolgen. Es erweckt aber Hoffnungen, wenn Finanzministerin Maria Fekter nun betont, es sei „wirklich darüber nachzudenken, wie wir den Schuldenberg rückführen können“.

Die politische Verantwortlichkeit war bisher offenkundig kein ausreichender Anreiz, verantwortungsvoll zu handeln. Es erscheint daher der Versuch lohnend, über das Schadenersatzrecht den Anreiz zu verstärken.

•Ausgangslage. Da der Nationalrat die Gesetze beschließt, trifft jedenfalls diesen die Verantwortung für die nachteilige Finanzlage. Die Abgeordneten können aber „wegen der in Ausübung ihres Berufes geschehenen Abstimmungen niemals“ verantwortlich gemacht werden (Art 57 B-VG), und auch den Bund trifft keine Haftung für Gesetzgebungsakte (Art 23 B-VG, § 1 Amtshaftungsgesetz).

Gemäß Art 51 B-VG, §§ 12 und 34 Bundeshaushaltsgesetz obliegt die Ausarbeitung des Bundesvoranschlagsentwurfs dem Finanzminister. Dieser Entwurf bedarf des einstimmigen Beschlusses der Bundesregierung, bevor er dem Nationalrat zum Beschluss vorgelegt wird. Da der Nationalrat seinen Beratungen diesen Entwurf zugrunde zu legen hat und ferner die den Regierungsparteien angehörigen Abgeordneten gemäß dem Klubzwang für die Regierungsvorlage zu stimmen haben, ist der Einfluss der Regierung auf den Nationalrat überaus hoch: Dieser befolgt jedes Jahr den Vorschlag der Regierung.

Da somit die Regierung und wegen des Einstimmigkeitsprinzips auch jedes einzelne Regierungsmitglied ursächlich für den Inhalt des Bundesfinanzgesetzes sind, kommt deren Haftung für den dem Bund zugefügten Schaden gemäß §1 Organhaftpflichtgesetz in Betracht: Sie sind Organe des Bundes und haften bei rechtswidrigem, schuldhaftem Verhalten nach den bürgerlichrechtlichen Bestimmungen.

Dritten können die Regierungsmitglieder allerdings laut Amtshaftungsgesetz nicht haftbar werden. Es wäre nur möglich, dass der Rechtsträger, der den Schaden ersetzt hat, Rückgriff gegen die Organe nimmt (§3 Amtshaftungsgesetz).

•Rechtswidrigkeit, Verschulden.Der Bund hat bei der Haushaltsführung die Sicherstellung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes und nachhaltig geordnete Haushalte anzustreben (Art 13 B-VG). Diese Bestimmung gibt ein Staatsziel vor, das noch erhebliche politische Handlungsspielräume offenlässt. §2 Bundeshaushaltsgesetz bringt jedoch eine Konkretisierung: Es sind die Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit sowie die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes zu beachten.

Der Finanzminister hat bei Ausarbeitung des Entwurfs zum Bundesfinanzrahmengesetz auf diese Ziele sowie auf die finanziellen Leistungsmöglichkeiten des Bundes Bedacht zu nehmen (§ 12e Bundeshaushaltsgesetz). Aber auch alle anderen Regierungsmitglieder haben bei der Beschlussfassung diese Grundsätze zu beachten und die Rechtmäßigkeit des Entwurfes zu prüfen.

Es scheint evident, dass bei den meisten Haushaltsentwürfen der letzten Jahrzehnte, die in Zeiten der Hochkonjunktur erstellt wurden, diese Vorgaben nicht ausreichend beachtet wurden, also gesetzwidrig waren: Ohne Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit wurden verzichtbare Ausgaben vorgeschlagen, Reformen versäumt und populistische, nicht den Interessen des Staates dienende Wahlgeschenke beschlossen. Weitere Anhaltspunkte für die Verletzung von Sorgfaltspflichten durch die Regierung liefert das EU-Recht, das „übermäßige öffentliche Defizite“ untersagt (Art 126 AEUV) – die für die Haushaltsdisziplin entscheidenden Kriterien werden in Österreich verfehlt.

Das Verschulden der Regierungsmitglieder ist an einem hohen objektiven Maßstab zu messen, da sie Sachverständige im Sinne des § 1299 ABGB sind; sie übernahmen ein Amt, das besondere Kenntnisse und „nicht gewöhnlichen Fleiß“ erfordert.

•Schaden des Rechtsträgers. Durch die übermäßigen Defizite kam es ohne Zweifel zu einer Schädigung des Bundes, sei es durch unzweckmäßige Ausgaben, sei es durch die Belastung mit den Zinsenzahlungen und dem wegen der hohen Verschuldung ungünstigeren Zinssatz, sei es durch die Unfinanzierbarkeit erforderlicher, die Zukunft sichernder Maßnahmen.

Schadenersatzansprüche gegen die Regierungsmitglieder nach dem Organhaftpflichtgesetz sind von den Zivilgerichten zu beurteilen. Für die Erhebung des Anspruchs ist wohl analog Art 76 B-VG der Nationalrat zuständig. Eine Anspruchserhebung ist daher zwar so lange nicht wahrscheinlich, als dieselben Mehrheitsverhältnisse weiterbestehen, sie könnte jedoch bei deren Änderung durchaus Realität werden.

•Schäden Dritter. Verschuldung und Zinsenbelastung können auch für Dritte nachteilig sein: Pensionen werden nicht erhöht, Universitäten können Studenten keine adäquaten Studienbedingungen bieten, Forschungsprojekte müssen abgebrochen werden. Derartige Schäden Dritter sind jedoch wohl nicht vom Schutzbereich der verletzten Haushaltsvorschriften umfasst. Die Ersatzansprüche Dritter werden vielfach schon daran scheitern, dass noch keine subjektiven Rechte oder sonstige geschützte Rechtspositionen verletzt wurden.

Anderes gilt, wenn der Bund wegen Zahlungsunfähigkeit Ansprüche von Gläubigern nicht erfüllen kann und von den Regierungsmitgliedern (§ 161 StGB) der Tatbestand der „grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen“ (§ 159 StGB – vormals fahrlässige Krida) verwirklicht wurde. Da diese Strafbestimmung dem Gläubigerschutz dient, werden derartige Gläubigerschäden auch schadenersatzrechtlich vom Schutzzweck erfasst. Gläubiger könnten ihre Ersatzansprüche laut Amtshaftungsgesetz jedoch nur gegen den Rechtsträger geltend machen, gegen den auch der uneinbringliche Zahlungsanspruch besteht – diese Ansprüche bringen daher keinen Vorteil.

•Haftungsumfang. Schadenersatzansprüche gegen die Regierungsmitglieder werden wegen ihrer Höhe nicht vollständig realisierbar sein. Überdies sieht § 3 Organhaftpflichtgesetz eine Mäßigung oder sogar den Erlass des Ersatzes aus Billigkeit vor.

Selbst wenn es regelmäßig zu keinem vollen Ersatz durch die Regierungsmitglieder kommen wird, kann das Wissen um die drohende Verpflichtung zum Teilersatz eine heilsame Präventivwirkung entfalten und zu einer besseren Wahrung der Interessen des Staates führen.

Helmut Koziol lehrte an der Universität Wien und ist Hon.-Prof. in Graz. Er war Direktor des Instituts für Europäisches Schadenersatzrecht der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und ist Direktor des Europäischen Zentrums für Schadenersatz- und Versicherungsrecht. Ein ausführlicher Beitrag zu diesem Thema erscheint im August-Heft der Zeitschrift „Recht der Wirtschaft“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2011)

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