Immunspritze für das Parlament mit Nebenwirkungen

Immunspritze fuer Parlament Nebenwirkungen
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Gesetzesentwurf: Vier Parteien wollen die berufliche Immunität von Abgeordneten erweitern und ein neues "Parlamentsgeheimnis" schaffen.

Bregenz. Der im Nationalrat von Abgeordneten von vier Parteien (SPÖ, ÖVP, FPÖ, Grüne) eingebrachte Antrag 1619/A dürfte noch für einige Diskussionen sorgen. Er bezweckt eine Neuregelung der parlamentarischen Immunität von Abgeordneten, die immer wieder als überholtes Privileg kritisiert wurde. Sie besitzt zwei Komponenten: einerseits die berufliche Immunität, die den Abgeordneten vor zivil- oder strafrechtlicher Verantwortlichkeit „in seinem Beruf“ schützt, wovon jedoch nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofs nur die im Plenum des Parlaments und seiner Ausschüsse gemachten Äußerungen erfasst sind.

Die zweite Komponente bildet die außerberufliche Immunität. Nach ihr ist die behördliche Verfolgung von Mitgliedern der Parlamente nur dann zulässig, wenn offensichtlich kein Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit des Abgeordneten besteht oder das Parlament zugestimmt hat. Der betreffende Abgeordnete kann zudem die Einholung der Zustimmung des Parlaments verlangen.

Diese außerberufliche Immunität soll nunmehr beseitigt werden, was durchaus zu begrüßen ist. Es ist tatsächlich nur historisch erklärbar, dass Abgeordnete vor der Strafverfolgung besonderen Schutz genießen, weil sie damit vor politisch motivierten Festnahmen und Verfahren bewahrt werden sollen. Sofern solche Fälle, die nie ganz auszuschließen sind, heute vorkommen, gibt es im modernen Rechtsstaat genügend andere Instrumentarien, sich zu wehren.

Die berufliche Immunität wird dagegen beibehalten, was seinen guten Sinn hat: Die Redefreiheit im Parlament soll und darf nicht dadurch eingeschränkt sein, dass ein Abgeordneter stets gewärtig sein muss, mit möglicherweise existenzbedrohenden Klagen eingedeckt zu werden. In der hitzigen Debatte fällt mitunter auch das eine oder andere Wort, das so nicht gesagt werden sollte.

„Wo und wann immer er will“

Nun wäre aber im neuen Art 33 B-VG vorgesehen, dass jeder, der über Verhandlungen in Sitzungen des Nationalrates und seiner Ausschüsse wahrheitsgemäß berichtet, von jeder Verantwortung frei ist. In den Erläuterungen zu dieser wenig spektakulär klingenden Regelung wird offenherzig ausgeführt, dass damit auf die Judikatur des OGH (6 Ob 79/00m) reagiert werden soll. Nach ihr erlaube die bisherige Formulierung nicht, dass der einzelne Abgeordnete „wo und wann immer er will, seine Äußerungen unter Immunitätsschutz wiederholen dürfe“ und „dass Politiker missliebige Personen ohne jede Verantwortlichkeit gegenüber dem Betroffenen nachhaltig schädigen könnten, wenn sie nur zuvor die Vorwürfe in einer Sitzung des Nationalrates geäußert haben“. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass genau das ermöglicht werden soll.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte judiziert, dass Immunitätsregelungen für Abgeordnete verhältnismäßig sein müssen. Dies gilt vor allem für Äußerungen außerhalb des Parlaments. Eine schrankenlose Wiederholbarkeit potenziell rufschädigender Äußerungen bei Pressekonferenzen oder in Internetblogs wirft daher die Frage der Vereinbarkeit mit Art 6 EMRK auf, der den Zugang zum Recht schützt und ein faires Verfahren garantiert. Das Gegenargument ist allerdings, dass die Neuregelung ohnehin nur die Wiederholung von Äußerungen im Parlament schützen soll und das Protokoll der Parlamentssitzung ohnehin im Internet zur Verfügung steht.

Völlig neu wäre das geplante „Parlamentsgeheimnis“: Im parlamentarischen Bereich soll ein Recht eingeführt werden, Zeugenaussagen zu verweigern. Es umfasst nicht nur Abgeordnete, sondern alle Mitarbeiter der Parlamentsklubs und ist dem Redaktionsgeheimnis nachgebildet. Ermittelt etwa eine Behörde wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses durch Weitergabe von Informationen an Abgeordnete, können sich diese sowie die Mitarbeiter der Klubs auf das Aussageverweigerungsrecht berufen. Damit können freilich auch behördliche Ermittlungen und die Aufklärung von Straftaten massiv behindert werden.

Univ.-Doz. Bußjäger ist Direktor des Vorarlberger Landtages und des Instituts für Föderalismus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2011)

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