Strafprozess: Kronzeugen packen auf eigene Gefahr aus

Strafprozess Kronzeugen packen eigene
Strafprozess Kronzeugen packen eigene(c) FABRY Clemens
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Die Affäre um mutmaßliche Marktmanipulationen in der Telekom Austria ist durch einen Kronzeugen ins Rollen gekommen: Eine erste Bewährungsprobe für die seit Jahresbeginn geltende große Kronzeugenregelung.

Wien. Ein ehemaliger Topmanager der Telekom Austria ist nach Medienberichten als Kronzeuge der wichtigste Informant der Staatsanwaltschaft bei der Aufklärung des Skandals um die Telekom-Aktienoptionen. Dieser Fall stellt das bisher aufsehenerregendste Beispiel für die Anwendung der seit 1. Jänner 2011 geltenden großen Kronzeugenregelung dar. Diese sieht für kooperationsbereite Straftäter, die durch ihre Angaben wesentlich zur Aufklärung oder Verhinderung von schweren Straftaten beitragen, die Möglichkeit vor, straffrei gestellt zu werden.

Die neue Kronzeugenregelung gilt für alle schwere Delikte, die in die Zuständigkeit des Schöffen- und Geschworenengerichts fallen, sowie für Korruptions– und Wirtschaftsdelikte. Damit werden Straftaten wie Missbrauch der Amtsgewalt und Bestechung sowie gravierende Vermögensstraftaten wie schwerer Diebstahl oder schwerer Betrug, Veruntreuung oder Untreue mit mehr als 50.000 Euro Schaden erfasst.

Was sind die Anforderungen?


• Freiwillig, rechtzeitig. Voraussetzung für die Einräumung der Stellung als Kronzeuge ist zunächst, dass die beweiserheblichen Informationen freiwillig geliefert werden und noch nicht Gegenstand eines Verfahrens gegen den Kronzeugen selbst sind. Wird bereits gegen den Kronzeugen wegen eines bestimmten Sachverhaltes ermittelt, dann ist es für die Kronzeugenregelung zu spät; Geständnis und Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden sind dann nur noch ein Milderungsgrund bei der Strafbemessung.


• Wesentlich. Zusätzlich muss die Preisgabe des Wissens einen wesentlichen Beitrag zur Förderung der Aufklärung einer Straftat liefern oder der Ausforschung der Führungsperson einer kriminellen Vereinigung dienen.


• Spezialpräventiv kein Bedarf. Letztlich darf eine Bestrafung im Hinblick auf die übernommenen Leistungen, das Aussageverhalten, insbesondere die vollständige Darstellung der eigenen Taten, und den Beweiswert der Informationen nicht geboten erscheinen, um den Kronzeugen von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten (Spezialprävention).

Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist eine Ermessensentscheidung, die für den Kronzeugen nicht eindeutig voraussehbar ist.

Der Kronzeuge kommt jedoch entgegen einer weit verbreiteten Meinung nicht völlig ungeschoren davon. Die Staatsanwaltschaft kann das Strafverfahren gegen den Kronzeugen in Anlehnung an die Diversionsbestimmungen nur dann einstellen, wenn der Kronzeuge eine Diversionszahlung leistet oder gemeinnützige Leistungen erbringt oder wenn eine Probezeit (allenfalls mit weiteren Pflichten) festgesetzt wird. Darüber hinaus schützt die Kronzeugenregelung einen Straftäter nicht davor, dass durch die Straftat Geschädigte zivilrechtliche Schadenersatzansprüche gegen ihn geltend machen. Mit seinem Geständnis liefert der Kronzeuge somit auch die Basis für Schadenersatzansprüche gegen sich selbst. So hat die Telekom Austria nach Medienberichten angekündigt, gegen die für die (angebliche) Marktmanipulation Verantwortlichen vollen Schadenersatz geltend machen zu wollen.

Einstellung unter Vorbehalt

Nach Erbringung der oben beschriebenen Leistungen durch den Kronzeugen hat der Staatsanwalt das Ermittlungsverfahren gegen den Kronzeugen unter dem Vorbehalt späterer Verfolgung einzustellen. Nur unter bestimmten Voraussetzungen kann es zu einer späteren Verfolgung des Kronzeugen kommen, insbesondere dann, wenn dieser seine Pflicht zur Mitwirkung bei der Aufklärung verletzt, sich seine Aussagen als falsch herausstellen oder der Kronzeuge in der Hauptverhandlung doch nicht mehr zur Aussage bereit ist.

Die Verfolgung kann auch wieder aufgenommen werden, wenn die gelieferten Informationen keinen Beitrag zur Verurteilung der Beschuldigten liefern konnten. Sollten daher die Beschuldigten freigesprochen werden, kann gegen den Kronzeugen das Strafverfahren ungeachtet der Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft wieder aufgenommen werden. Der Kronzeuge kann aber im Regelfall wenig Einfluss drauf nehmen, ob die Beschuldigten verurteilt werden oder nicht. Dass dem Kronzeugen auf diese Weise ein erhöhtes Risiko aufgebürdet wird, liegt auf der Hand; auch eventuelle Ermittlungsfehler der zuständigen Behörden gehen zu Lasten des Kronzeugen.

Angesichts der dargestellten Unsicherheiten ist die Einführung der Kronzeugenregelung ursprünglich auf Kritik gestoßen. Viele Experten rechneten damit, dass die große Kronzeugenregelung nur wenig praktische Bedeutung erlangen würde. Die große Kronzeugenregelung hat aber auch prominente Befürworter: Sie werde „helfen, die Mauer des Schweigens zu durchbrechen“, führte der Leiter der Korruptionsstaatsanwaltschaft bei einer öffentlichen Diskussion im Februar 2011 aus. Stimmen die Medienberichte über die Aussagen des ehemaligen Telekom-Austria-Managers, dann bröckeln gerade die Mauern...

Mag. Liane Hirschbrich LL.M. ist Rechtsanwältin in Wien.

Auf einen Blick

§ 209a. Zu Jahresbeginn ist mit dieser Bestimmung der Strafprozessordnung die „große Kronzeugenregelung“ in Kraft getreten. Nach ihr kann ein Täter, der freiwillig und ohne noch selbst verfolgt zu werden einen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung schwerer Straftaten leistet, darauf hoffen, dass der Staatsanwalt von seiner Verfolgung zurücktritt. Eine Garantie dafür gibt es nicht, und vor einer schadenersatzrechtlichen Haftung ist der Kronzeuge keinesfalls geschützt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2011)

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