Internet-Abzocke: Ruf nach kollektiver Rechtsdurchsetzung

Internet nach kollektiver Rechtsdurchsetzung
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Eine Expertentagung zeigt Bedarf an neuen zivil- und strafprozessualen Behelfen. Konsumentenschützer Instrumente, um den "Trickbetrügern der Gegenwart" das Handwerk legen zu können.

Wien. Die Methoden, mit denen leichtgläubigen Menschen im Internet oder per Telefon Geld für null Gegenleistung herausgelockt wird, werden immer dreister. Einer der jüngsten Schmähs: Windige Unternehmen geben sich als Verbraucherschützer aus und schwatzen ahnungslosen Verbrauchern völlig sinnlose Verträge auf. Das berichtete Bianca Skutnik vom deutschen „Verbraucherzentrale Bundesverband“ vorige Woche im Rahmen der alljährlichen „Wilhelminenberg Gespräche“, die das Sozialministerium diesmal dem Thema „Catch me if you can/Geschäfte an der Grenze des Erlaubten“ widmete. Wichtigstes Ergebnis: (Echte) Konsumentenschützer und Experten fordern neue prozessuale Instrumente, um den „Trickbetrügern der Gegenwart“ (Zitat Anwalt Richard Soyer) das Handwerk legen zu können. Sie treten dafür ein, Sammelklagen im Zivilprozess und auch ein kollektives Instrument der Rechtsdurchsetzung im Strafprozess einzuführen.

Zwar konnte Bernhard Jungwirth, Projektleiter im Verein Internet Ombudsmann, von einer rückläufigen Entwicklung bei der Zahl der Beschwerden wegen Internet-Abzocke – seit dem Jahr 2005 gab es bereits mehrere zehntausend bei österreichischen Konsumentenschutzeinrichtungen – berichten. „Dennoch konnte bis heute – trotz erfolgreicher Verbandsklagen und Präventionsarbeit – die Problematik nicht gelöst werden.“ Auf unzähligen, professionell wirkenden Webseiten böten Geschäftemacher Dienstleistungen wie Routenplaner, Software-Downloads, Tattoo-Vorlagen oder Informationen über Outlet-Verkäufe an. Um die in dieser Form wertlosen Dienste in Anspruch nehmen zu können, müssen sich die User persönlich registrieren; sie „übersehen dabei die mit Absicht unauffällig gestalteten Hinweise auf die Kostenpflicht“, so Jungwirth. Es folgten Zahlungsaufforderungen, Drohungen, Inkassomahnungen und Rechtsanwaltsschreiben. „Viele Betroffene lassen sich verunsichern und bezahlen schließlich die an sich unbegründeten Forderungen.“

Weil aber ein ausreichend deutlicher Hinweis auf die Entgeltlichkeit der Dienste fehle, wären die Konsumenten gar nicht verpflichtet zu zahlen. Freilich: In der Praxis „konnte bisher kein nachhaltig wirksames Mittel gegen das Phänomen ,Abzocke‘ gefunden werden“, stellt Jungwirth fest.

„Das eine oder andere Urteil könnte viel bewirken“, sagte Leopold Löschl, Experte für Internet-Kriminalität im Bundeskriminalamt. Die Deliktsformen würden sich dann rasch „verlagern“, im besten Fall sogar verringern.

„Herausklagen der Gewinne“

Peter Kolba, Leiter des Bereichs Recht im Verein für Konsumenteninformation, nannte ein Beispiel erfolgreichen Einschreitens: „Friedrich Müller“, der Anfang der 2000er-Jahre mit sagenhaften Gewinnversprechen gelockt hatte, wurde gemäß §5j Konsumentenschutzgesetz auf Herausgabe der verheißenen Gewinne geklagt und auch verurteilt; die Staatsanwaltschaft wurde ebenfalls aktiv (ermittelt allerdings immer noch). „Dank des Herausklagens von Gewinnen und dank des Einschreitens des Staatsanwalts hat Friedrich Müller in Österreich aufgehört, während die Aktivitäten im europäischen Ausland forciert wurden“, sagte Kolba zur „Presse“.

§5j hilft aber nur bei Fällen falscher Gewinnzusagen und nicht bei den vielfältigen anderen Gaunereien. Deshalb spricht sich Kolba für weitere Möglichkeiten der Gewinnabschöpfung und erneut für die gesetzliche Verankerung einer Sammelklage aus. Zwar gibt es bereits ein Behelfsinstrument, aber an den AWD-Anlegerprozessen sehe man, wie unzureichend dieses sei: Noch immer werde über die Zulässigkeit gestritten. „Das sind lauter Vorfragen, die geregelt gehören.“

Anders als bisher geregelt gehört für Richard Soyer, Rechtsanwalt und Professor für Strafrecht, auch das Strafprozessrecht. Soyer erläuterte, dass die meisten Formen der Abzocke zwar gerichtlich strafbar sind – sei es die Kostenpflicht für „Gratisdienste“ (Betrug), seien es wiederholte Anrufe durch Telefonautomaten (Stalking) oder Werbefahrten mit vielfach überteuertem Verkauf von Waren (möglicherweise Sachwucher, sicherer aber Betrug). Dennoch führe die Art der Begehung – sehr viele Opfer mit vergleichsweise kleinen Schäden – dazu, dass die Rechtsdurchsetzung zu wünschen übrig lasse.

Soyer plädiert dafür, die mit der letzten großen Strafprozessreform ohnehin schon vorbildlich verbesserte Stellung der Opfer noch ein Stück auszubauen: mit einem kollektiven Instrument der Rechtsdurchsetzung auch im Strafprozess. Das Kollektiv könnte sich als Privatbeteiligter dem Strafprozess anschließen und dessen Vorteile – kein Kostenrisiko, Zwangsmittel zur Wahrheitsfindung – nutzen. „Wenn aber hundert Einzelne beim Staatsanwalt anrufen, verstehe ich, dass der genervt ist.“

Auf einen Blick

Kollektiv klagen. Die Vielzahl der Opfer mit jeweils nur vergleichsweise kleinen Schäden erschwert das Vorgehen gegen Internet-Abzocke sowohl im Zivil- als auch im Strafrecht. Experten plädieren deshalb dafür, auch für diese Fälle Sammelklagen gesetzlich zu regeln und – im Strafverfahren – einen Anschluss von Geschädigten im Kollektiv als Privatbeteiligter zu ermöglichen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2011)

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